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Brückenbauer zwischen Orient und Okzident

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Zum hundertsten Geburtstag des türkischen Komponisten Ahmed Adnan Saygun
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Am 7. September diesen Jahres wäre Ahmed Adnan Saygun, der bedeutendste Komponist der Türkei, 100 Jahre alt geworden. Noch so ein „Nationalkomponist“, und jetzt auch noch ein Türke, wo in diesem Land die klassische Musik so gut wie keine Rolle spielt?

Wenn wir das Verhältnis von Bevölkerungszahl und an klassischer Musik interessierten Menschen betrachten, hat klassische Musik in der Türkei keine nennenswerte Bedeutung – überhaupt spielt auch die populäre westliche Musik dort so gut wie keine nennenswerte Rolle. Andererseits gibt es eine auf den Staatsgründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, zurückgehende Pflege der am Westen orientierten klassischen Musik durch die Aristokratie. Mit Atatürks politischen und gesellschaftlichen Reformen in den 20er-Jahren bekam die im abendländischen Sinne „komponierte“, polyphone Musik immensen Rückenwind eingehaucht, und eine Handvoll Komponisten, allesamt im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren und in ihrer Kindheit und Jugend von den radikalen Umwälzungen und dem Idealismus der neuen, säkularen Türkei geprägt, formierte sich (nach dem Vorbild des russischen „Mächtigen Häufleins“ um Rimsky-Korsakov, Borodin und Mussorgsky) zu den „Türkischen Fünf“: Cemal Resit Rey, Ulvi Cemal Erkin, Necil Kazim Akses, Ferid Alnar und Saygun. Unter diesen sind Rey und Erkin beeindruckende Meister internationalen Formats. Die in ihrer unverwechselbaren Eigenart und ihrem kreativen Reichtum überragende Figur freilich ist Ahmed Adnan Saygun.
Der Vater des in Izmir geborenen Tonsetzers war nicht nur Mathematiklehrer, sondern zugleich ein Derwisch des Mevlevi-Ordens (des Ordens der wirbelnden Derwische, mit denen heute der türkische Tourismus wirbt). Die Mevlevi gehen zurück auf Mevlana Celaleddin Rumi (1207–1273), weltberühmt als einer der größten Dichter der Menschheitsgeschichte, und im Orient angesehen als ein Heiliger, ein wahrhaft Verwirklichter, der in der Poesie seine Verbindung mit der göttlichen Gegenwart zum Ausdruck bringt. So wuchs der junge Saygun in die sufische Tradition hinein, die stets Menschen hervorbrachte, die für sich stehen, die tragende, aktive Elemente der Gesellschaft sind, ohne sich mit ihr zu identifizieren – gemäß der Maxime: „Wir sind in der Welt, nicht von der Welt.“

Als Zwölfjähriger komponierte Saygun sein erstes Stück. Er lernte die Poesie von Yunus Emre kennen und lieben – was später, 1942, seinen Niederschlag in seinem bis heute bekanntesten Werk fand: dem Oratorium Yunus Emre op. 26, das 1947 in Ankara zur Uraufführung kam, ein Jahr später in Paris erklang, 1958 bei den United Nations in New York unter den magischen Händen von Leopold Stokowski seine überwältigende Wirkung entfaltete und daraufhin in aller Welt gegeben wurde.

Ab 1926 war der junge Saygun Musiklehrer am Gymnasium in Izmir und schrieb eine ganz am klassischen Vorbild ausgerichtete („nullte“) Sinfonie. 1928 wurde er als staatlicher Stipendiat nach Paris geschickt, wo er an der von Vincent d’Indy geleiteten Schola Cantorum studierte. Er erreichte in kürzester Zeit vollendete technische Meisterschaft in allen akademischen Techniken mit der eminenten Palette des französischen Raffinements, und zugleich blieb er bewusst mit seinen kulturellen Wurzeln verbunden. In seiner Musik errichtete er forthin tönende Brücken zwischen Orient und Okzident. 1931 kehrte er in die Türkei zurück. 1936 unternahm er zusammen mit Béla Bartók die berühmte Volksmusik-Exkursion nach Südost-Anatolien, deren Bericht er 1976 veröffentlichte. Saygun erwarb sich hohe Verdienste als Musikethnologe. 1936 bis 1946 wirkte er in Istanbul, um nach Kriegsende wieder in Ankara zu lehren, nunmehr als einflussreichster Kompositionsprofessor seines Landes. In den folgenden Jahren wurde er mit internationalen Ehrungen überhäuft und bekleidete wichtige administrative Funktionen.

Er schrieb fünf Sinfonien und fünf Solokonzerte, allesamt Werke höchsten Karats. Nicht weniger attraktiv sind seine Kammermusik, Klavierwerke, Lieder und Opern. Unterschiedlichste Einflüsse fließen in seinem Schaffen zusammen zu einer einmalig vielgestaltigen, von aller Konvention befreiten Tonwelt, was jeder Interessierte anhand der bei cpo erscheinenden CD-Serie nachvollziehen kann. Saygun war, wie Dmitri Schostakowitsch oder Eduard Tubin, einer der substanziellsten und eigentümlichsten Komponisten der zweiten Generation der klassischen Moderne.

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