Mit den Namen ist es wie mit dem Klima: ist nicht alles, aber ohne ist alles nichts. Was auch einer Ensemble-Szene zeitgenössischer Musik durchaus bewusst ist, wie ein kursorischer Durchgang zeigt. Was sich dabei auftut, ist ein noch kaum richtig gewürdigtes Fest der Namen und Gesänge mit einer digitalen Tendenzwende um den Milleniumswechsel.
Seitdem müssen Spezialensembles für Musik der Gegenwart nicht mehr unbedingt der Konvention folgen, brauchen in der Namensgebung nicht mehr all die wunderbaren, Seriosität verheißenden Versprechen und Zeugen aufzurufen (Hanns Eisler, Modern, Intercontemporain, recherche, Klangforum), können stattdessen ihre Steckenpferde, ihre neu erschlossenen Aufgabenfelder in Sachen Performance, Instrumentaltheater, Liveelektronik ebenso spiegeln wie ihre mit cooler Geste abgestreiften Berührungsängste gegenüber dem Rockmilieu: Garage, hand werk, ALARM, Interface, Decoder, Trio TM+. Eine Tendenz, die mit Gründungen eingesetzt hat, die aus heutiger Perspektive (ein guter Mittelwert) fünfzehn Jahre zurück liegen. 1999, das war denn auch das Jahr, in dem frisch examinierte Hochschulabsolventen aus Köln und dem Ruhrgebiet fanden, dass es noch ein bisschen mehr sein darf, was ihr Befassen mit zeitgenössischer Komposition angeht. Das Ergebnis: E-MEX-Ensemble.
Das Geheimnis wahren
Ein Ensemble-Name, der eigentlich schon als Name die Zäsur zwischen alter und neuer Ensemblestruktur anzeigt. Auf der einen Seite das Festhalten an der Neuen Musik, was mittlerweile, so hat es jedenfalls den Anschein, gar nicht mehr so richtig konsensfähig ist. Fachzeitschriften streichen die Wendung aus dem Titel und setzen stattdessen ein, was auch jüngere Ensembleformationen bewegt: aktuelle Musik. An dieser Stelle wahrt E-MEX den Anschluss und führt mit Schönbergs Pierrot Lunaire immerhin das Schlüsselwerk der Ensemble-Kernbesetzung im Repertoire. Ein sehr punktueller Rückbezug, gewiss. Was E-MEX interessiert, sind sicher eher die Transformationsprozesse der Gegenwartsmusik, wofür dann der andere Namensbestandteil steht, ein aus Bruchstücken zusammengesetztes Kunstwort, mit dem sich das Ensemble dann doch sehr entschieden ins angebrochene Millenium verortet. E-MEX? Wer sich darunter nichts vorstellen kann, muss kein schlechtes Gewissen haben. Ganz im Gegenteil. Das Schöne ist: Das Ensemble, das sich in den ersten fünfzehn Jahren seiner Existenz zu einer der ersten Adressen im zeitgenössischen Musikgeschehen Nordrhein-Westfalens entwickelt hat, das als klassisches Solistenensemble ganz hervorragende Musiker vereint, das vor keiner Partitur zurückschreckt und das in größeren wie in Miniaturbesetzungen gleichermaßen souverän funktioniert – auf der anderen Seite (entfernte Ähnlichkeit mit dem Fall Lohengrin) ist es die Frage nach dem Namen, die in Verlegenheit versetzt. Nachdenken im Kreis der Gründungsmitglieder Michael Pattmann, Joachim Striepens und bei Evelin Degen, Martin von der Heydt, Burkart Zeller.
Was eigentlich ganz in Ordnung geht. Wenn nämlich Kunst-Machen ein Wort ist für das, was man nicht weiß und Musik überhaupt ein Wort für das, wofür es keine Worte gibt, ist ein Kürzel wie E-MEX (worin sich ein fragmentierter Vereinsname der Dortmunder Szene verbirgt) genau richtig: Es wahrt das Geheimnis.
Sich neu erfinden
Ansonsten liegt bei E-MEX aber so ziemlich alles offen – inklusive einer recht vielversprechenden Ensemble-Zukunft. Was sicher vor allem damit zu tun hat, dass das Ensemble die Fähigkeit zur Selbst- und vor allem Neuerfindung besitzt. Immerhin, am Anfang stand auch hier ein Bündnis mit den Komponisten der Region. Eines, das bis heute markante Felder im Ensemble-Repertoire besetzt. Wahrscheinlich gibt es kein zweites Ensemble, das allein neun Kammermusik-Werke des chilenischen, in Essen lebenden Komponisten Juan Allende-Blin im Repertoire führt. Eine Reverenz. Schließlich aber: Wer von den Jungen zum Milleniumswechsel am Start war (Karin Haußmann, Sven-Ingo Koch, Gordon Kampe, Valerio Sannicandro, nicht zu vergessen der ständige Ensemble-Dirigent Christoph Maria Wagner), deren Werkentfaltung hat man begleitet (und begleitet sie noch).
Nur eben: Was tun, wenn sich eine nachfolgende Komponisten-Generation wiederum um neue, andere Ensemblegründungen formiert? – An dieser Stelle hat E-MEX aus seinen Spielorten Kapital geschlagen. Konzertreihen in den Kunst- und Kulturmuseen zwischen Dortmund, Essen und Köln sind mittlerweile zum Standbein und Markenzeichen geworden. Etwas tun für das, was heute Vernetzung der Künste heißt, wozu man früher Gespräch gesagt hat. Die Erfahrung ist dieselbe: Es gibt ein Bedürfnis dafür. Ein von der Bildenden Kunst kommendes Publikum ist offen für Angebote, für Brückenschläge im weiten Korrespondenzraum Musik-Kunst. E-MEX? Gerade der richtige Name dafür.