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Ilona Haberkamp und Jutta Hipp im August 1986 in New York. Foto: Iris Kramer
Ilona Haberkamp und Jutta Hipp im August 1986 in New York. Foto: Iris Kramer
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Comeback für Europas First Lady of Jazz

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Die Pianistin und Komponistin Jutta Hipp – eine deutsch-amerikanische Gendergeschichte aus der Nachkriegszeit
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Als ich 1986 Jutta Hipp zum ersten Mal in New York treffe, begegnet mir eine warmherzige und humorvolle Frau von 61 Jahren. Innerhalb kürzester Zeit sind wir auf gleicher Wellenlänge und haben beide das Gefühl, dass wir uns schon ewig kennen. Ich bin neugierig auf ihre Geschichte, denn die 1925 in Leipzig geborene Pianistin war in der internationalen Jazzszene in jahrzehntelange Vergessenheit geraten.

Dabei war sie ein Shooting Star des deutschen Nachkriegsjazz und ihrer Zeit um Längen voraus: 1955 trägt sie als Europe’s First Lady of Jazz den „Frankfurt Sound“ bis nach New York, tritt dort mit den Jazzgrößen ihrer Zeit auf und nimmt als erste Frau bei der renommierten Plattenfirma Blue Note Records innerhalb kürzester Zeit gleich drei Platten auf. Auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn dann das Unerklärliche: Sie beendet abrupt ihre Karriere und tauscht das Klavier gegen eine Nähmaschine.

Als erste Instrumentalistin ihrer Zeit beginnt ihre Karriere in Nazideutschland. Der Jazz dient als Symbol der Freiheit und drückt sich als oppositionelles Lebensgefühl aus, ohne konkret politisch zu sein. Für die Jazzfans und Jazz­musiker*innen bedeutet er eine Art Zuflucht im verhassten Naziregime. Mit langen roten Haaren, rotem Käppi und grell geschminkt sieht sie bereits während des Krieges wie ein Hippie aus. Nach dem Krieg flieht Jutta Hipp aus der sowjetisch besetzten Zone, denn erneut findet der Jazz hier keinen gesellschaftlichen Zuspruch.

Im Westen bieten die GI-Clubs die einzige Möglichkeit, mehr über den Jazz zu lernen und selbst Jazz zu spielen. Learning by doing ist die Methode, und Jutta Hipp, äußerst wissbegierig, tingelt durch die amerikanischen Clubs der bayerischen Provinz. Die Verbindung mit einem schwarzen GI bleibt nicht ohne Folgen: Ihr Sohn Lionel, ein „Brown Baby“, kommt 1948 zur Welt. Da ihr Kind aber laut amerikanischer Militärverordnung dem Jugendamt untersteht, kommt Lionel in die Obhut eines Waisenhauses.

Nach der Entbindung stürzt sich Jutta Hipp regelrecht in die Münchner Jazzszene und folgt ihrer musikalischen Leidenschaft. 1950 lernt sie den Tenorsaxophonisten Hans Koller kennen. Mit ihm beginnt nun auch ihr steter Erfolg, denn das Hans-Koller-Quartett und das zwei Jahre später in Frankfurt gegründete Hans Koller New Jazz Stars Quintett mit dem Posaunisten Albert Mangelsdorff entwickelt sich zur modernsten Jazzformation Deutschlands.

In Anlehnung an barocke Improvisationsmodelle und Kompositionstechniken schafft es das Gespann Jutta Hipp und Hans Koller, den Cool Jazz mit deutscher Handschrift zur Kunstmusik zu erheben. Eindeutig trägt Jutta Hipp mit ihrem eigenen „Hipp Style“ dazu bei, den sogenannten „Frankfurt Sound“ in der deutschen Jazzszene zu etablieren. Das 1953 gegründete Jutta Hipp Quintett, nun mit Emil Mangelsdorff und Joki Freund in der Frontline, ist en vogue. Als einzige und zudem sehr attraktive Frau in der männerdominierten Jazzszene lebt Jutta Hipp ihre Emanzipation in einer Zeit, als es das Wort dafür noch gar nicht gibt. Dafür erfährt sie einerseits Bewunderung und Anerkennung von ihren Fans und Musikerkollegen, andererseits wird ihr selbstbestimmtes Leben oftmals von Frauen ihrer Zeit misstrauisch beäugt und kritisiert.

Verständnis bringen nur jene Frauen auf, die selbst musikalisch-künstlerisch aktiv sind, so zum Beispiel Caterina Valente oder die Sängerin Inge Brandenburg. Als einzige Instrumentalistin ist sie in ihrer Zeit eine absolute Sensation – ein Shooting Star. In dieser Hochphase wird sie von dem einflussreichen amerikanischen Impresario Leonard Feather in die Staaten gelockt. Der ist überzeugt von ihrer Persönlichkeit und ihrer Musik, entwickelt ein eigenes musikalisches Vermarktungskonzept, dem sie folgen soll.

In New York angekommen, wird sie von der aktuellen Jazzszene mitgerissen, lässt sich inspirieren und beeinflussen vom derzeit angesagten Hard Bop. Dem Cool Jazz kann sie nichts mehr abgewinnen und sie verändert ihren pianistischen Stil. Für diese Veränderung erhält sie von ihrem Förderer starken Gegenwind. Sie aber beugt sich nicht und fordert: „Ich will für das akzeptiert werden, was ich tue und damit als gleichwertig zu anderen Musikern anerkannt werden.“

Womit sie allerdings nicht gerechnet hat, ist der Umstand, dass sie sich als weiße Europäerin in eine gewachsene und etablierte Szenerie begibt, der sie politisch und mental nicht gewachsen ist. Schon zu Beginn ihrer New Yorker Zeit fühlt sie sich deplatziert und gerät als Weiße auf unangenehme Weise in die Bürgerrechtsbestrebungen schwarzer Musiker. Trotz eingefahrener Erfolge (Blue-Note-Einspielungen und Konzerte etwa mit Charles Mingus, Sonny Stitt, Zoot Sims und vielen anderen) stellt sie ihr eigenes Können mehr und mehr in Frage. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und ihre Abwehrhaltung gegenüber der Kommerzialisierung ihrer Kunst sowie ihre Weigerung, künstlerische Kompromisse einzugehen, führen zum Bruch mit ihrem Manager. Alkoholsucht und eine Identitätskrise folgen. Beides überwindet sie durch den kompletten Ausstieg aus der New Yorker Jazzszene. Beruflich schwenkt sie um, nimmt einen ganz normalen Fabrikjob an und verlagert ihre Kreativität auf das Zeichnen und Malen.

Die Biografie von Jutta Hipp zeigt eine einzigartige und ungewöhnliche Gendergeschichte. Den Rang als Europe’s First Lady of Jazz, die als erste deutsche Instrumentalistin in die von Männern dominierte Jazzszene in New York Einzug hält, kann ihr niemand mehr streitig machen. Mit ihrem Hipp Style ist sie eine Pionierin und Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit, eine äußerst vielseitige Künstlerin, die zu lange vergessen wurde. Nun feiert sie ihr Comeback. Zwanzig Jahre nach ihrem Tod (7. April 2003 in New York) ist sie wieder präsent und rückt mit ihrem musikalischen Erbe in das Bewusstsein der nachfolgenden Generation. Das Land Sachsen erinnert in diesem Jahr mit dem Jutta-Hipp-Preis für Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen ihres Bundeslandes an die Verdienste ihrer ehemaligen sächsischen Bewohnerin, Deutschlands erste „Woman in Jazz.“

Nun ist Jutta Hipp „Plötzlich (wieder) Hip(p)“.

  • Ilona Haberkamp hat zum 90. Geburtstag von Hipp zusammen mit Gerhard Evertz eine umfassende künstlerische Gesamtausgabe „The Art and Life of Jutta Hipp“ mit einer zweisprachigen Biografie initiiert und herausgegeben. Nun legt die Saxophonistin eine weitere ausführliche Biografie der eigenwilligen Künstlerin vor. Erschienen ist „Plötzlich Hip(p)“ im Wolke Verlag (224 S., farb. Abb., € 28,-, ISBN 978-3-95593-137-7).

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