Bratscher standen unter den Streichern lange Zeit im Schatten der Geiger und Cellisten. Nils Mönkemeyer hat es ganz nach oben geschafft. Er ist nicht nur ein erfolgreicher Solist, der mit renommierten Orchestern unter Dirigenten wie Marc Minkowski, Markus Stenz, Mario Venzago, Sylvain Cambreling oder Michael Sanderling auftrat. Unter seinen Kammermusikpartnern finden sich Namen wie Sabine Meyer, William Youn und Julia Fischer.
Seit 2011 bekleidet Mönkemeyer eine Professur in München, gibt weltweit Meisterkurse, leitet 2017 künstlerisch den Festspielfrühling Rügen (im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern) sowie das Kammermusikfestival Elysium, das von der Beethoven Academy Bonn veranstaltet wird. Reinhard Palmer sprach mit dem Musiker über Verpflichtungen, Konzepte und Inhalte.
neue musikzeitung: Haben Sie bei Ihren vielen Verpflichtungen noch Zeit zum Üben?
Nils Mönkemeyer: Als ich den Wunsch verspürte, solistisch tätig zu sein, dachte ich, man steht dann glamourös auf der Bühne und es geht nur um die hehre Kunst. Der Alltag sieht anders aus. Ich schaffe mir aber bewusst Freiräume.
nmz: Gehört es unbedingt zum Portfolio eines erfolgreichen Musikers, Festivals künstlerisch zu leiten?
Mönkemeyer: Nein, aber für Bratscher ist das Repertoire naturgegeben begrenzt. Wir sind gezwungen, außerhalb der Norm zu denken, Kompositionsaufträge zu vergeben, programmatisch zu denken. Daher war für mich die Leitung eines Festivals ein natürlicher Schritt. Ich finde es sehr spannend auszuprobieren, welchen Weg ich zwischen Kommerz und etwas sehr Speziellem gehen kann. Jetzt bin ich sehr gespannt, wie die Konzepte aufgehen.
nmz: Was ist der konzeptuelle Ansatz „Ihres“ Festspielfrühlings Rügen 2017?
Mönkemeyer: Hier hatte ich schon die gesamte Infrastruktur. Das Festival blickt auf Erfahrungswerte zurück. Da bin ich auch im finanziellen Rahmen frei. Ich dachte, wenn ich ein Konzertpublikum da für ein paar Tage intensiv eintauche, ist vielleicht der Ansatz schön, so viel Verschiedenes wie möglich mitzunehmen, und ich habe jedem Konzert ein bestimmtes Thema gegeben. Dann habe ich überlegt, mit wem ich spielen möchte, habe an bestimmte Stücke gedacht, die Kollegen von mir besonders schön spielen würden. Meine große Liebe zu Johann Sebastian Bach hat auch mit reingespielt. Ich will jedenfalls nicht nur Raritäten aus dem Bratschenkabinett zeigen, sondern vielmehr die Rolle der Bratsche innerhalb der Kammermusik durch die Jahrhunderte.
nmz: Das Konzert „Der Wanderer“ ist ein inszeniertes Kammerkonzert auf den Spuren Caspar David Friedrichs. Wie hat man sich das vorzustellen?
Mönkemeyer: Ich habe da eine Zusammenarbeit mit Rafael Rennicke, der Dramaturg an der Oper Stuttgart ist. Die Insel Rügen ist prädestiniert für das Thema „Wandern“. Musikalisch wird es viel um Schubert gehen, etwa mit der Wanderer-Fantasie. Es werden auch Texte gelesen zur Insel Rügen, Bilder von Caspar David Friedrich auf Videos eingespielt und quasi als Collage zur Musik in Beziehung gebracht. Es wird auch mit Beleuchtung gespielt. Wir greifen einen Inselbesuch interaktiv und multimedial auf.
nmz: Sind neue Konzertformen notwendig im Konzertbetrieb? Oder ist es ein Versuch, neues Publikum zu gewinnen?
Mönkemeyer: Ich denke nicht, dass das Wanderer-Konzert neues Publikum bringt. Es war vielmehr die Idee, innerhalb des Festivalrahmens das Portfolio der Konzerte aufzulockern und zu erweitern. Aber wir leben jetzt in einer sehr spannenden Zeit, weil diese Generation, die wir als Musikschaffende mitzunehmen versäumt haben, eine Lücke bildet, in der sich die Menschen nicht mehr angesprochen fühlen, ins Konzert zu gehen. Jetzt versuchen wir auf verschiedene Art, Musik zu vermitteln. Meine Sorge ist nur, dass, einmal ein ungewöhnliches Konzept auszuprobieren und dann war’s das wieder, meist nur einen momentanen Anreiz ergibt. Oft ist das Problem, dass sich insbesondere jüngere Menschen in dem Rahmen, in dem Konzerte stattfinden, nicht angesprochen fühlen oder sich unwohl fühlen, weil sie das Gefühl haben, dass es nicht ihr gesellschaftliches Parkett ist. Insofern glaube ich, dass man versuchen muss, sich nicht anzubiedern und die Leute auch nicht für dumm zu verkaufen; man muss auch nicht immer das Etikett „cool“ darüber schreiben. Eine Art Atmosphäre zu schaffen, in der man eine Frage stellen und zugeben kann, dass man sich damit nicht auskennt, würde helfen. Das ist wie beim Lesen: Wer nicht besonders viele Bücher liest, dem würde ich nicht unbedingt zu „Doktor Faustus“ raten. Ich würde aber auch keinen Comic empfehlen.
nmz: Ist die Grenze zur U-Musik bei Ihnen aufgehoben?
Mönkemeyer: Mein Vater ist Jazzmusiker [Red.: Thomas Brendgens-Mönkemeyer, Gitarre]. Das war die erste Musik, die ich gehört habe. Ich bin für alle Genres offen. Das einzige, wo man keine Abstriche machen darf, ist die Qualität. E-Musik ist nicht die bessere Musik. Das wäre eine Arroganz, die Türen schließt, statt sie zu öffnen.
nmz: Bratscher werden für die künstlerische Leitung von Festivals selten angefragt. Sind Sie nur eine Ausnahme oder hat sich an der Wahrnehmung des Instruments etwas geändert?
Mönkemeyer: In meiner kleinen Bratschenwelt passiert sehr viel. Das schöne ist, dass wir oft die Möglichkeit haben, etwas zu machen, was eben nicht die allbekannte Kreutzersonate fürs Publikum ist. Das sind meistens Neuentdeckungen.
nmz: Das von der Beethoven Academy Bonn veranstaltete Kammermusikfestival Elysium, das unter Ihrer künstlerischen Leitung ins Leben gerufen wurde, hat einen Benefiz-Hintergrund. Von wem ging die Idee dazu aus?
Mönkemeyer: Ich hatte immer den diffusen Gedanken, dass ich etwas Gutes tun will. Die aktuelle politische Situation beunruhigt mich. Ich bin zugleich der Meinung, dass jeder Mensch im eigenen Rahmen die Welt ein Stück besser machen kann. Ich kann die Klimaerwärmung nicht stoppen, aber ich kann in meinem Wirkungskreis ein paar Menschen glücklicher machen. Mir fiel noch auf, dass es aufgrund der vielen politischen Brandherde, die sehr viel Aufmerksamkeit erfordern, für wohltätige Organisationen, die sich um dauerhafte Belange kümmern, oft schwer ist, weil sie nicht so im Fokus stehen. Sie geraten in den Hintergrund.
nmz: Die vormittäglichen Konzerte in sozialen Einrichtungen werden ein eher ungewohntes Publikum haben. Macht es für Sie einen Unterschied, vor wem Sie spielen?
Mönkemeyer: Ich finde es sehr wichtig, welches Publikum man hat. Es passiert ja eine nonverbale Kommunikation zwischen Publikum und Spieler, die mich stark beeinflusst. Ich muss das Publikum abholen. Das erste Festival im Mai wird in Zusammenarbeit mit der Wohnungslosenhilfe der Caritas in Bonn stattfinden, die Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Das ist keine Hilfe von oben, sondern eine Hilfe auf Augenhöhe. So möchte ich diese Konzerte machen. Ich werde nicht behaupten, zu verstehen, in welcher Situation sich die Menschen befinden. Ich möchte vermeiden, mich von oben herab akademisch mit dem Thema zu beschäftigen. Musik betrifft jeden und macht mit jedem etwas anderes, unabhängig von Hintergründen und sozialer Situationen. Darauf vertraue ich.
nmz: Sind Agenturen für soziale Engagements zu haben?
Mönkemeyer: Bisher waren alle Reaktionen sehr positiv. Ich würde ungern mit Menschen zusammenarbeiten, die sich nur des Geldes wegen mit Musik beschäftigen.
nmz: Welche Rolle spielt der Exklusivvertrag mit Sony für Sie?
Mönkemeyer: Die Zusammenarbeit mit Sony hat mich besonders gefreut, weil Sony mit einem Bratschisten – Bratsche ist ja kein Mainstream-Instrument – auch ein Risiko eingegangen ist. Ich habe vom Novitäteneffekt profitiert, dass noch nicht so viele Bratschen-CDs auf dem Markt sind.
nmz: Sind CDs in Zeiten des Downloads überhaupt noch sinnvoll?
Mönkemeyer: Ich bin überzeugt davon, dass sich die Musik in den nächsten Jahren zunehmend übers Internet verbreiten wird. Wenn man aber nur noch YouTube hört und kostenlose Downloads wählt, dann ist irgendwann kein Geld mehr da, so aufwendige Aufnahmen überhaupt zu machen. Ich glaube, durch das Internet ist die Zahl der jungen Klassikhörer gestiegen.
nmz: Nutzen Sie auch die sozialen Netzwerke?
Mönkemeyer: Wenn ich Follower auf Facebook habe, dann sind das Leute, die auch hören möchten, was ich mache. Insofern kann ich ohne großen Streueffekt bestimmten Leuten etwas mitteilen. Und gleichzeitig gibt es den Schneeballeffekt, dass Dinge verbreitet werden.
nmz: Wirkt sich dies auf den Konzertbetrieb aus?
Mönkemeyer: Ich habe das Glück, dass bei mir in Konzerten oft jüngere Leute sind. Das ist der positive Effekte der großen Verbreitung durch die neuen Medien. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel zum ersten Mal in Taiwan gespielt. Ich wusste schon, dass ich dort extrem hohe Streaming-Zahlen habe, und dann waren die Konzerte alle ausverkauft.
- Festspielfrühling Rügen 2017 (17. bis 26. März)
- Kammermusikfestival Elysium (10. bis 14. Mai 2017)