Hauptbild
Text und Foto: Juan Martin Koch
Text und Foto: Juan Martin Koch
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Das große Ganze im Blick

Untertitel
Das Vokalensemble Singer Pur feiert 30-jähriges Bühnenjubiläum
Publikationsdatum
Body

„So schnell haben wir das noch nie gemacht“ – „Takt 73, mein erster Ton, in der vorletzten Version saß er…“ – „Leute, ihr macht mich fertig!“ Der Pollinger Bibliothekssaal ist Konzentration pur. Von Aufnahmeleiter Christoph Frommen kompetent aus der Ferne überwacht („gemeinsamer atmen!“), nimmt das Vokalensemble Singer Pur seine neue CD auf. Nach Durchläufen längerer Passagen geht es nun um die mühsame Detailarbeit. Die Herausforderung, über die kleinteiligen Wiederholungen nicht den Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren, zeigt sich beim Ringen um den Schluss einer Motette von Ludwig Senfl. Ein großes Ritardando, eine deutliche Verlangsamung zum Ende hin, mag als isolierter Abschnitt übertrieben, unorganisch klingen; als Krönung eines kompletten Spannungsbogens, wie er sich auch im Konzert entwickeln würde, wäre es aber vielleicht genau richtig …

Daran, wie das Ensemble in dieser durchaus angespannten Lage miteinander kommuniziert – sehr ernsthaft und engagiert in der Sache, aber einander immer freundschaftlich zugewandt – erkennt man den Spirit von Singer Pur. Tenor Christian Meister formuliert den Prozess im Gespräch so: „Jeder soll das einbringen können, was er möchte, aber so, dass das große Ganze im Blick bleibt und nicht zerfällt. Wir gehen sehr stringent und zielorientiert vor, aber es fühlt sich bei der Arbeit und im Ergebnis gut an, weil es basisdemokratisch entsteht.“ Nach einigen Veränderungen in der Besetzung ist Markus Zapp das letzte Mitglied, das seit der Gründung in Regensburg Anfang der 1990er-Jahre dabei ist. Neben Christian Meister (seit 2019) und Bariton Jakob Steiner (seit 2020) ist Felix Meybier der aktuellste Neuzugang im Team. Er hat Anfang des Jahres den Platz des langjährigen Bassisten Marcus Schmidl eingenommen. „Nach einer kleinen, aber intensiven Klausur und drei, vier Konzerten mit demselben Programm“, sagt Meybier, „war ich bald komplett angekommen.“

Den Auswahlprozess für die neuen Sänger beschreibt Markus Zapp: „Das ist kein Vorsingen, da werden keine Arien präsentiert. Es geht darum, gemeinsam zu singen: Stücke, die wir vorab verschicken und anderes vom Blatt. Wenn man dann eine Stunde zusammen ist, merkt man schon, ob es musikalisch und menschlich passt.“ Jakob Steiner ist mitten in Pandemiezeiten zum Ensemble gestoßen. „Das war schon eine sehr spezielle Situation. Erst durfte ich vier Konzertprogramme in zwei Wochen lernen, dann kam drei Monate lang gar nichts …“ Andererseits war es aber auch eine Zeit intensiven Austausches: „Wir mussten viele gemeinsame Entscheidungen abseits der Alltagsroutine treffen, da wächst man schon zusammen“, so Steiner.

Im Rahmen der Arbeitsteilung innerhalb des Ensembles ist Jakob Steiner für Projektanträge zuständig. Diese Form der Förderung war für Singer Pur wie für viele andere Akteure der freien Musikszene ein Lichtblick in trüben Corona-Zeiten. In diesem Zusammenhang steht auch das aktuelle CD-Projekt mit Werken des Renaissance-Meisters Ludwig Senfl: Es fügt sich mit den diesjährigen Singer Pur Tagen auf dem Adlers­berg bei Regensburg (5. bis 7. August) und Veranstaltungen zum 500. Jubiläum von Senfls Eintritt in die Münchner Hofkapelle 1523 im kommenden Jahr zu einem stimmigen, Synergien freisetzenden Planungszusammenhang.

Dass Senfl 2008 schon einmal beim Adlersberger Vorgänger-Festival, den Stimmwercktagen, im Mittelpunkt stand, sieht Christian Meister unproblematisch: „Das ist ja schon eine Weile her, und mit unserer sechsstimmigen Besetzung können wir auch andere Werke präsentieren.“ Für Kontraste wird bei den vierten Singer Pur Tagen der Komponist Gavin Bryars sorgen. Dessen 5. Madrigalbuch hat das Vokal­ensemble uraufgeführt und 2016 auf CD eingesungen. Kein Einzelfall – im Gegenteil, denn es ist nicht zuletzt der Kontakt zu zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten, der Singer Pur nun schon seit 30 Jahren jung hält. Das zeigt sich auch an der bemerkenswerten, im Herbst vergangenen Jahres erschienenen CD „Among Whirlwinds“ (Oehms Classics). Auf ihr sind 19 Werke von Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu hören, wobei aber lebende Tonsetzerinnen eindeutig in der Überzahl sind. Von einigen Ausnahmen abgesehen – etwa Lauren Buscemis „Enttäuschung“ – bewegt sich die Musik dabei in eher gemäßigten, vokal geschmeidigen Bahnen. Darauf angesprochen, erzählen die Sänger von intensiven Diskussionsprozessen. Beinahe hätte es ein radikaleres Werk von Younghi Pagh-Paan in die Auswahl geschafft, es hätte dann aber den zeitlichen und stilistischen Rahmen gesprengt. „Wir fragen uns, was gut für unseren Klang, für unsere Stimmen funktioniert“, beschreibt Jakob Steiner den Auswahlprozess und Markus Zapp räumt ein: „Unser Hauptanliegen mit dieser CD ist es, Komponis­tinnen in unsere Programme zu bringen. Dabei wollen wir aber nicht den musikwissenschaftlichen Zeigefinger heben, sondern auch Spaß haben.“ Das sei ihnen vergönnt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!