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Andrew Bird. Foto: Alexa Viscius

Andrew Bird. Foto: Alexa Viscius

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Dem Song erlauben, Denken und Fühlen zu übernehmen

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Singer-Songwriter Andrew Bird über sein Verhältnis zum Jazz und weshalb er auf der Geige wie ein Tenorsaxophonist improvisiert
Vorspann / Teaser

Schwer zu sagen, ob Andrew Bird (geb. 1973) mehr Sänger oder mehr Geiger ist. Er verbindet beides zu einer Einheit des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht. Und zwischendurch pfeift er auch noch kleine Arien, so klar, hell und durchsichtig wie aus Glas. Sein aktuelles Album „Sunday Morning Put-On“ (Concord Records/Universal Music) ist neun Standards des Jazz und einer Eigenkomposition gewidmet. Im Interview erzählt der Singer-Songwriter, warum er ein Album mit Jazzstandards aufgenommen hat und was das Album mit durchwachten Radio-Nächten und Chet Baker verbindet. 

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neue musikzeitung: Sie haben in der Vergangenheit öfter erwähnt, dass Ihre Vorbilder auf der Violine nicht etwa andere Geiger sind, sondern Jazzsaxophonisten wie Lester Young oder Coleman Hawkins. Ist Ihr aktuelles Jazz-Album das Album, auf dem der Geiger Andrew Bird Tenorsaxophon spielt?

Andrew Bird: Das ist tatsächlich der Gedanke, den ich zu diesem Album hatte – zumindest was meinen Part als Instrumentalist angeht. Mein Spiel hat sich seit meinen Anfängen auf diesem Instrument sehr verändert. Und wie ein Klassik-Geiger habe ich schon ganz lange nicht mehr geklungen. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich am liebsten wie ein Tenorsaxophonist spielen möchte, weniger wie ein Geiger. 

nmz: Wie machen Sie das?

Bird: Der Druck, den ich auf die Saiten bringe, ist für mich nicht anders als der Druck, mit dem ein Saxophonist Luft durch das Mundstück seines Instruments presst. Ich versuche so atmend zu phrasieren, als ob ich wie ein Saxophonist Luft holen müsste. Und so flüssig wie einer dieser großen Jazzsaxophonisten des späten Swing, die ich verehre. Für mich definieren sie eine Flüssigkeit des Spiels, die ich auch auf meinem eigenen Album anstrebe. Ich hoffe, dass das auf diesem Jazz-Album noch mehr herauskommt als sonst.

nmz: Gibt es ein Album, das dieses Ideal für Sie verkörpert? 

Bird: In meinen frühen Zwanzigern habe ich vor allem ein Album gehört: „The Jazz Giants ’56“ von Lester Young. Das konnte ich hören und immer und immer wieder darin eintauchen. Damals ganz ohne Bedürfnis zu analysieren und zu studieren, was Lester und seine Mitmusiker da genau spielen. 25 Jahre später habe ich mir gedacht, dass es vielleicht an der Zeit wäre, das doch mal zu tun. Wissen Sie, zwischen den Alben mit meinen eigenen Songs gönne ich mir ein kleines Sabbatical. Da schreibe ich keine eigenen Songs und keine eigene Musik. Da beschäftige ich mich mit der Musik von anderen, die mich interessiert. Und gehe anschließend mit frischen Ideen in mein nächstes Album mit eigener Musik. Diesmal war es eben ein Jazz-Sabbatical.

nmz: Ihr dabei entstandenes Album – die Auswahl und die Reihenfolge der Songs und die Stimmung – hat etwas von einer am Radio durchwachten Nacht.   

Bird: Ich wollte die Atmosphäre einer langen Nacht und des frühen Morgens erzeugen. So ähnlich wie ich mich gefühlt habe, als ich Mitte der 90er-Jahre in Chicago jedes Wochenende meine zwei Lieblings-Radio-DJs gehört habe. Ganze Nächte lang. Zuerst legte DJ Steve Cushing sämtliche Spielarten des Blues – von Country- bis Jump Blues – auf, dann gab es mit Dick Buckley den Hot Jazz der 30er- und 40er-Jahre. Ich habe damals nicht viel geschlafen, sondern ganze Nächte am Radio verbracht. Das war eine sehr intensive Erfahrung. Wie in einer Blase aus Musik. Das war Mitte der 90er- Jahre, hat sich aber angefühlt, als ob ich in einer nächtlichen Welt aus Jazz und Blues leben würde.

nmz: Sie haben die Songs also hinsichtlich der angestrebten Stimmung ausgewählt?

Bird: Eher die Aufnahmen. Wir haben sehr viel mehr Songs gespielt als die, die es auf das Album geschafft haben. Aber alles, was nicht introvertiert, schlicht und innig, sondern zu sehr nach Hot-Jazz-Extrovertiertheit geklungen hat, haben wir aussortiert. Außerdem mussten die Songlyrics richtig gut und smart sein. Ich liebe die Musik von „Body And Soul“, aber der Songtext ist einfach nicht so gut wie die Melodie. Also haben wir auf „Body and Soul“ verzichtet. „My Ideal“ dagegen hat einen wunderbaren Songtext. Zuerst dachte ich ja, dass ich auf dem Album gar nicht so viel singen würde. Aber die Songs machten Lust darauf. Wenn ein Song eine gute Melodie und einen ebenso guten Text hat, kann ich als Sänger einfach nicht widerstehen, ihn auf meine Weise zu formen. Und für die meisten Hörer ist ein Song mit Stimme einfach anziehender als ein Instrumental.

nmz: Fast immer spielen Sie Violine und singen. Ganz selten sind Sie nur Sänger oder nur Instrumentalist. Wie erleben Sie Ihre Interaktion aus Stimme und Instrument?

Bird: Ich versuche immer, dass die lineare Stimme meines Instruments meinen Gesang – oder auch mein Pfeifen – möglichst nahtlos fortführt. Oder eben umgekehrt. Wenn Gesang und Geige ineinander übergehen oder wenn meine Stimme mein Solo fortführt, empfinde ich das als schön. Ich glaube auch, dass mir das über die Jahre immer besser gelingt. Dass sich mein Gesang und Spiel aufeinander zubewegt haben. 

nmz: Haben Sie dafür Vorbilder? 

Bird: Vielleicht Chet Baker, wenn er singt und Trompete spielt. Sonst gibt es im Jazz ja nur wenige Beispiele von Sängern, die ein nicht-akkordisches Instrument gespielt haben. Meistens spielen Sänger Akkordinstrumente wie Klavier oder Gitarre, auf denen sie sich selbst begleiten können. 

nmz: Ein paar Songanfänge auf dem neuen Album klingen so, als ob Sie sich dem Hörer aus der Ferne nähern würden. Absicht?

Bird: Zuerst war es einfach nur Zufall. Vor der Aufnahme von „I Fall In Love Too Easily“ lief das Band schon, als ich einfach nur so vor mich hin gespielt habe. Als wir es angehört haben, hat mir das, was ich da spontan gespielt hatte, sehr gut gefallen. Das Problem war nur, dass Ted Poor, mein Schlagzeuger, dazu gesprochen hat – es war ja kein offizieller Take. Deswegen haben wir an dieser Stelle Hall auf die Aufnahme gelegt, um Ted zu übertönen. Der dabei entstandene Distanz-Effekt passt, finde ich, sehr gut zu den Lyrics. 

nmz: „I Fall In Love Too Easily“ sticht schon immer als ganz besonderes Liebeslied heraus: Ein Lied, in dem der Sänger beklagt, dass er niemanden hat, den er besingen kann. 

Bird: Was für ein seltsamer Song! Und was für ein großartiger Song: so kurz, so konzis und ganz besonders. Alles Überflüssige wurde weggelassen. 16 Takte – und das war’s. Viele Songwriter sollten sich daran ein Beispiel nehmen: Sag, was du zu sagen hast. Und das bitte so kurz und präzise wie möglich.

nmz: Von den Jazz Standards auf Ihrem Album gibt es unzählige Aufnahmen von Gesangs-Ikonen wie Billie Holiday, Frank Sinatra oder Ella Fitzgerald. Hat Sie das eingeschüchtert? Haben Sie sich diesen Songs mit einer anderen Methode genähert als Ihren eigenen Songs? 

Bird: Nein. Egal, ob ich meine eigenen Songs aufnehme oder einen Klassiker des Great American Song Book – ich nähere mich einem Song immer auf die gleiche Weise. 

nmz: Wie?

Bird: Indem ich mich eine ganze Woche lang einem Song widme – und nur diesem. Ich erlaube ihm, mein Denken, mein Hören und mein Fühlen zu übernehmen. Und während dieser Zeit suche ich nach verschiedenen Möglichkeiten, ihn zu phrasieren und zu singen. Ich pfeife die ganze Woche die Melodie oder improvisiere über die Akkordfolge auf der Geige. Das ist meine Methode – egal, ob das nun mein Song ist oder ein ganz berühmter von Cole Porter.

nmz: Die Besetzung ist bis auf zwei Songs sehr minimalistisch: ein Trio aus Bass, Schlagzeug und Ihnen als Sänger und Geiger. 

Bird: Ich wollte mit dieser reduzierten Besetzung Raum schaffen. Vor allem für den Klang meiner Geige. Als ich als Geigenschüler angefangen habe, haben meine Lehrer immer gesagt: Du übst zu wenig die Skalen, aber dein Ton ist gut! Auf dem neuen Album möchte ich den Ton meiner Geige in all seinen Facetten präsentieren. Dafür braucht es luftigen Raum. 

nmz: Die beiden Musiker auf dem Album, mit denen Sie seit ein paar Jahren auch auf Tour gehen – der Schlagzeuger Ted Poor und der Bassist Alan Hampton – sind beide eigentlich Jazzmusiker. Wer musste da wen zum Jazz­album überreden?

Bird: Seltsamerweise ich die beiden. Dabei spielen wir backstage, selbst wenn wir mit meinen Songs auf Tour sind, zum Aufwärmen Jazz und unterhalten uns über Jazzakkorde. Die beiden sind natürlich mehr Jazzmusiker als ich es bin. Das sind richtige große Virtuosen. Ted und Alan sind auch mehr mit der Jazzszene verbunden als ich. Andererseits beschweren sie sich manchmal über das Jazz-Establishment und die dort geltenden Regeln: diesen Athletizismus des Solierens, diesen oft sinnlosen Focus auf möglichst große Virtuosität und so fort. Wir unterhalten uns immer wieder darüber, wie wir die etablierten Erwartungen an den Jazz überwinden können. 

nmz: Sich selbst mussten Sie also nicht zum Jazz-Album überreden?

Bird: Wissen Sie, manchmal nehme ich ein Album auf, weil es das so noch nicht gibt. Das Jazz-Standards-Album eines Geige spielenden Sängers oder eines singenden Violinisten, der ab und zu auch noch pfeift, hat es meines Wissens noch nicht gegeben. Also habe ich mir gesagt: Warum nimmst du es nicht auf?

nmz: Wenn Sie sich von einem der großen auf Ihrem Album vertretenen Komponisten oder Songtexter etwas wünschen dürften, was wäre das dann?

Bird: Ein Songtext von Sammy Cahn, weil mich seine Lyrics zu „I Fall In Love Too Easily“ so packen und vielen anderen das seit Jahrzehnten auch so geht. Da ist kein Wort zu viel. Leute wie er oder Cole Porter haben ihre Songs ganz anders geschrieben als später Bob Dylan oder Joni Mitchell. Sie haben für den Marktplatz der Musicals und Filmmusik geschrieben, es aber trotzdem geschafft, ihren intellektuellen Witz und urbane Raffinesse mit ihrem individuellen Ausdruck zu verbinden. Deswegen sind ihre Songs bis heute so zeitlos.

  • Interview: Claus Lochbihler

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