Als Silke Aichhorn ihrer Mutter im Alter von zehn Jahren mitteilte, dass sie Harfe spielen möchte, meinte diese nur: „Du spinnst.“ 30 CDs und zwei Bücher danach scheint sie alles richtig gemacht zu haben und mühelos die Pole Mutter, Unternehmerin, Musikerin, Hospizbotschafterin und Sammlerin und Herausgeberin lustiger Anekdoten verbinden zu können.
Den Tagen mehr Leben geben
Warum ich Harfe spiele, weiß ich eigentlich gar nicht. Es gab keinen nachvollziehbaren Auslöser. Ich glaube, die Harfe ist für mich ausgesucht… Eigentlich ist dieses Instrument ja völlig absurd: teuer, unpraktisch, super kompliziert und mühsam zu spielen. Es gibt wenig gutes Repertoire, und trotzdem ist es meins. Mit der Harfe erreiche ich viele Menschen so direkt, das ist etwas Besonderes.“
Als Älteste von sechs Kindern, geboren und aufgewachsen im oberbayerischen Traunstein, wo sie mit ihrer Familie heute noch lebt, begann sie mit fünf, Flöte zu spielen, mit sechs war sie im Chor, mit acht spielte sie Klavier und mit zehn kam die Idee mit der Harfe. Nach zwei Jahren Bettelei durfte sie bei einer pensionierten Hochschulprofessorin, die an der Traunsteiner Musikschule während ihrer Rente noch eine Klasse aufgezogen hatte, anfangen. Diese meinte in der dritten Stunde: „Und du wirst mal Harfenistin!“
Hörmusik
Ab 1990 studierte sie das Instrument bei Chantal Mathieu in Lausanne, 1997 noch ein Jahr bei Han-An Liu an der Kölner Hochschule für Musik. Mit ihrem umfangreichen Repertoire ist sie heute in verschiedenen Kammermusikbesetzungen, als Solistin mit Orchester bei internationalen Festivals sowie bei Fernseh- und Rundfunkaufnahmen zu hören. Neben Konzertauftritten innerhalb Europas war sie in Australien, Brasilien, Thailand, Japan und den USA zu Gast. Sie arbeitet regelmäßig mit dem Flötisten Dejan Gavric und der Harfenistin Regine Kofler zusammen. 2006 gründete sie ihr eigenes CD-Label „Hörmusik“.
Aichhorn ist mehrfache Preisträgerin internationaler Wettbewerbe, Jury-Mitglied bei Harfenwettbewerben, unterrichtet seit ihrem 15. Lebensjahr, mehrfach auch an Konservatorien, Landesakademien und Musikhochschulen, seit 2016 ist sie noch Geschäftsführerin des Regionalausschusses Jugend musiziert.
Widersprüchliches Wesen
„Die Harfe ist einfach ein sehr widersprüchliches Wesen“, verrät Silke Aichhorn. „Die meisten haben ein klares und kaum verrückbares Bild davon (‚Ist ja eh nur ein unseriöses Fraueninstrument‘, ‚Kitsch‘, ‚geht nur im Advent‘ etc.). Deshalb sind es wohl bei der Harfe schon immer die Männer, die am berühmtesten sind. Einer der männlichen Stars hatte lange im Lebenslauf stehen: „Er schafft es endlich, die Harfe aus dem seichten Tal der langen Haare zu befreien“. Daran arbeitet sie auch seit Jahren – trotz langer Haare, dafür mit sehr unterhaltsamer Konzertmoderation.
Mittlerweile hat sie 30 CDs eingespielt – ein weltweites Alleinstellungsmerkmal – alles mit dem Ziel, die Harfe bekannter zu machen. Weltersteinspielungen aus vier Jahrhunderten und viele neue Arrangements für ihr Instrument sind ihr Markenzeichen.
Lebenslänglich frohlocken
2019 erschienen Buch und Hörbuch „Lebenslänglich Frohlocken“ und 2023 „Frohlocken leichtgemacht!? – Skurrile Geschichten aus dem Alltag einer Harfenistin“, aufgeschrieben „damit ich nicht permanent zum Psychiater muss...!“ Inspiriert vom Buch „Kein Aufwand“ des Tubisten Andreas Martin Hofmeir brachte ein Handbruch kurzfristig etwas harfenfreie Zeit für konzentriertes Schreiben.
Die Mischung Harfenistin/Autorin ist „ein absoluter Gewinn. Meine zwei Bücher haben mir fast mehr Publicity beschert als meine 30 CDs, Buch 1 kommt jetzt in die 8. Auflage. Ich kann mit meiner kabarettistischen Lesung „Lebenslänglich frohlocken“ jetzt auch an Orten auftreten, wo ich früher ‚nur‘ mit Harfe gar nicht eingeladen gewesen wäre. Das alles sind tolle Möglichkeiten, neues Publikum zu ‚erspielen‘ und für die Harfe zu begeistern.“
Tod und Leben, Weinen und Lachen schließen sich in Silke Aichhorns Leben und Schaffen nicht aus. Regelmäßig spielt sie auch auf Beerdigungen, was ihr ein besonderes Anliegen ist: „Ich habe keine Berührungsängste und dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß um die Wirkung von Harfenmusik, sie schafft es, Menschen zu beruhigen. Die Harfe streichelt den Solarplexus, kaum einer kann sich der Wirkung entziehen.“
Nach ihrem Studium hat sie öfters bei der Yehudi-Menuhin-Förderung „Live music now“ gespielt: „Musik zu Menschen bringen, die aufgrund ihrer Lebenssituation gerade nicht ins Konzert gehen können, war ein großes Geschenk! Auftritte in Hospizen, Krankenhäusern, Gefängnissen, Demenzabteilungen oder Nervenheilanstalten – das war eine Schule fürs Leben.“
Irgendwann hatte sie eine erste CD für Bestatter produziert, eine zweite mit „Harfenklängen für die Seele“ folgte. Auf der Suche nach einem Sponsor sprach sie die Caritas an. Sie gewannen sie im Laufe der Zusammenarbeit als Hospizbotschafterin mit dem Ziel, den Gedanken der Hospiz- und Palliativarbeit breiter in der Öffentlichkeit zu verankern.
„Mittlerweile bin ich auch Botschafterin der Hospizbewegung Düren, die eine unglaublich tolle Arbeit macht. Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Du zählst, weil du du bist. Und du wirst bis zum letzten Augenblick deines Lebens eine Bedeutung haben. (Cicely Saunders)
Hier unterstütze ich mit Benefizkonzerten, außerdem bin ich immer auf der Palliativmesse ‚Leben und Tod‘ in Bremen und Freiburg zu Gast. Ich sehe meinen so vielfältigen Beruf als absolutes Geschenk an und freue mich immer, wenn Menschen nach dem Konzert sagen: ‚Sie haben mich unglaublich berührt! – Solche Konzerte sollte es öfters geben! – Wann kommen Sie wieder?‘“
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