Hauptbild
„The Bert Kaempfert Decca Collection“

„The Bert Kaempfert Decca Collection“

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der Mann, den sie Fips nannten

Untertitel
Zum 100. von Bert Kaempfert wurde „The Decca Collection“ veröffentlicht
Vorspann / Teaser

Er war der erfolgreichste deutsche Orchesterleiter in den amerikanischen Charts: Bert Kaempfert. Und er war der erste Produzent der Beatles. Fast jeder, der noch nie seinen Namen gehört hat, kann seinen berühmtesten Schlager mitsingen: „Strangers in the Night“. Verspätet zu seinem 100. Geburtstag am 16. Oktober 2023 erschien nun bei Polydor/Universal eine CD-Box, auf die seine Fans schon lange gewartet haben: „The Bert Kaempfert Decca Collection“. 24 Alben aus seiner „Decca“-Zeit in den 1960er-Jahren wurden hier zu einem Paket gebündelt, das man als musikalisches Zeitdokument betrachten kann.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Berthold Heinrich Kämpfert war ein echter Hamburger Jung’, der sich zuerst in den späten Fifties als Polydor-Plattenproduzent eines falschen Hamburger Jung’ in der Branche einen Namen gemacht hatte: Freddy Quinn. Mit Kapitänsmütze besang der gebürtige Wiener „Die Gitarre und das Meer“. Und ganz Nachkriegsdeutschland sang mit. Freddy wurde zum Goldesel der Polydor in den Wirtschaftswunderjahren. Und Bert Kaempfert trug einen erheblichen Teil dazu bei. Aber der Musiker, der nach dem Krieg mit seinem Sextett durch Varietés und Ami-Clubs tingelte, wollte mehr. Als einer seiner von ihm produzierten Schlager, „Morgen“, sich 1959 in der deutschsprachigen Fassung in den USA zum Überraschungshit entwickelte, witterte er Morgenluft.

Schon 1958 hatte sich seine Fassung des „Mitternachts-Blues“ fast ein halbes Jahr in der deutschen Hitparade herumgetrieben. Franz Grothe hatte ihn für das schöne Melodram „Immer wenn der Tag beginnt“ komponiert. Und Bert Kaempfert hatte mit dem Trompeter Billy Mo die definitive Version produziert. Heute kennt man den vorzüglichen schwarzen Trompeter nur noch als Pausenclown aus Schlagerfilmen. Stichwort: „Ich kauf’ mir lieber einen Tirolerhut“. Hört man in den „Mitternachts-Blues“ hinein, erkennt man sofort die großen amerikanischen Vorbilder, die Orchester von Harry James oder von Mantovani. Aber der Arrangeur mischt diese Elemente zu einem ganz eigenen „luftigen“ Sound. Und es ist dieser „Midnight Blues“, der auch ständig auf AFN lief, der dazu führte, dass Kaempfert ausgewählt wurde, für Elvis Presley ein deutsches Volkslied zu arrangieren. Für den Elvis-Comeback-Film „G.I. Blues“, der in Hollywood und in Frankfurt (mit Elvis-Double!) gedreht wurde, verwandelte Kaempfert „Muss i denn zum Städtele hinaus“ in „Wooden Heart“. Ein Welthit, der zum Beispiel beim Bayerischen Rundfunk auf den Index gesetzt wurde, weil man darin 1960 eine „furchtbare Gefahr“ sah. Vermutlich weil ein deutsches Volkslied „amerikanisiert“ wurde. Elvis hatte den Hit und Bert Kaempfert blieb weiterhin im Schatten.

Bild
„The Bert Kaempfert Decca Collection“

„The Bert Kaempfert Decca Collection“

Text

Das sollte sich allerdings sehr bald ändern. Wieder war es ein Auftrag für einen Film, der sein Leben ändern sollte. „Unser Wunderland bei Nacht“ hieß der „anstößige“ „Report“-Film, den Jürgen Roland inszeniert hatte. Ein Flop an den Kinokassen, der aber einen Ohrwurm enthielt, den Klaus-Günter Neumann komponiert und Bert Kaempfert arrangiert hatte: „Wunderland bei Nacht“. Das Instrumental beginnt mit einem tollen Trompetensolo von Charly Tabor, das sich einprägte in das musikalische Gedächtnis einer ganzen Generation. Polydor-Produktionschef Kurt Richter zeigte sich anfangs nicht besonders begeistert. Der Song wurde in Deutschland zum Achtungserfolg. Aber niemand konnte ahnen, was nun passieren würde. Ein amerikanischer Plattenproduzent erkannte das Potenzial für den US-Plattenmarkt – Auftritt Milt Gabler – und kämpfte bei seiner Plattenfirma Decca Records für Kaempfert. Weil ein „verrückter“ Radio-DJ im Süden die Platte rund um die Uhr spielte, „explodierte“ der Song im Laufe der Zeit. Anfang 1961 löste „Wonderland By Night“ Elvis Presleys „Are You Lonesome Tonight“ an der Spitze der Billboard-Charts ab. 

Und das war die Geburtsstunde des „Kaempfert-Sounds“, der auch geprägt war von seinen Ideen für ein besonderes Klangkonzept, das das Studio mit einbezog. Die Elemente: Schlagzeug, Bass, Bassgitarre und Trompete. Und der Chor, der sehr dezent eingesetzt wird. Ein Jahrzehnt lang wird dieser „Sound“ aus allen Lautsprechern der Welt zwischen New York, Tokio, Paris und München erklingen. Kaempfert wird die Hotelfoyers und Fahrstühle der ganzen Welt beschallen. Und er wird zum Vorbild werden für all die anderen großen „Sound“-Erfinder der Sixties: Herb Alpert, Burt Bacharach oder James Last. „Die Leute liebten seinen Sound wegen des Beats“, erzählt Milt Gabler, „seines großartigen Tanzbeats, wegen der Harmonien, wegen der Melodien. Er komponierte Tonfolgen, die man summen und singen kann.“ 

Vermarktet wurde dieser „Easy Listening“-Sound, der in den Hamburger Polydor-Studios entstand, über ein Jahrzehnt lang in den USA von Decca Records, 24 Alben aus dieser Zeit bis 1970 hat Universal nun zum ersten Mal in einer Box zusammengefasst: von „April In Portugal“ bis zu „The Kaempfert Sound“. Eine musikalische Zeitreise in eine leichtfüßige Welt ist da zu erleben, die oft geprägt ist von Ladi Geislers legendärem „Knackbass“. Orches­triert wird diese Reise mit all seinen großen Ohrwürmern: „Afrikaan Beat“, „Swinging Safari“, L.O,V.E., „Spanish Eyes“ oder „Red Roses For A Blue Lady“. Ach ja, und dann erklingt da auch noch auf einem Soundtrack­album eine Melodie, die ihn „unsterblich“ gemacht. „A Man Could Get Killed“ heißt der Film und der Ohrwurm daraus ist später als „Strangers in the Night“ um die ganze Welt gereist. Dabei hatte Frank Sinatra den Song nie gemocht. Aber er hatte sich nach dem großen Pop-Hit seiner talentierten Tochter Nancy („These Boots Are Made For Walking“) dann doch breitschlagen lassen, den Song aufzunehmen. Kaempferts amerikanischer Musikverleger Hal Fein hatte an dieser „Aktion“ einen erheblichen Anteil. Und so wird er in den prägnanten Liner Notes auch entsprechend gewürdigt, wie Milt Gabler oder auch Kaempferts musikalischer Partner Herbert Rehbein. Ein Musiker hat das Team Kaempfert & Rehbein mal mit dem „perfect match“ Duke Ellington & Billy Strayhorn verglichen. Man hätte schwer sagen können, wer was geliefert hätte bei den gemeinsamen Produktionen. Popfans müssen da natürlich zuerst an Lennon/McCartney denken, mit denen Kaempfert noch etwas anderes verbindet.

Bert Kaempfert war der erste Plattenproduzent der Beatles. Es war der sanfte Rocker Tommy Kent, der ihm die Beatles empfohlen hatte. Nachdem er Tony Sheridan und die Beat­les im Top Ten auf der Reeperbahn gesehen hatte, lud er Kaempfert zu einem Konzert ein. Obwohl es nicht seine Art von Musik war, war er beigeistert von der „Energie“ der Liverpooler Jungs. Und produzierte ihre ersten „offiziellen“ Aufnahmen, darunter auch „My Bonnie“. Ein Song, der bereits 1961 in der deutschen Hitparade gelandet ist. Kaempfert schloss als freier Produzent mit den Beatles einen Einjahresvertrag ab, der nicht verlängert wurde, weil die sehr konservative Polydor an der Band nicht interessiert war. So bekam Brian Epstein seine große Chance als Manager. Er vermittelte The Beatles an den genialen Parlophone-Produzenten George Martin. Der Rest ist Popgeschichte: Martin wurde zum 5. Beatle. Auf der letzten CD „The Bert Kaempfert Touch“ (im romantischen Cover) findet sich auch George Harrisons „Something“. Wenn man will, kann man diese Version auch als musikalische Erinnerung an den Sommer ’61 hören, als sich in Hamburg die Wege von Kaempfert und den Beatles einen magischen Moment lang kreuzten. Ob die Beatles ihn übrigens wie seine Freunde Fips genannt haben, wird ein Geheimnis bleiben. 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!