Professor Dr. Alexander Suder, Ehrenvorsitzender des Landesverbandes Bayerischer Tonkünstler, hat den 1. Band der von ihm herausgegebenen Monographienreihe „Komponisten in Bayern“ Harald Genzmer gewidmet. Er schrieb zu dessen Tod noch folgende Würdigung.
Der Nestor der deutschen Komponisten schloss am 16. Dezember 2007 für immer seine Augen. Seinen 98. Geburtstag am 9. Februar 2007 hatte er noch lebendig und vergnügt gefeiert, als die Hochschule für Musik in München ein Konzert zu seinen Ehren veranstaltet hatte. Bis zuletzt war Genzmer schöpferisch tätig, bis zuletzt war er interessiert an der musikalischen Gegenwart. Er hat uns gezeigt, wie man auch als alter Mann jung bleibt – geistig wie musikalisch. Seine Lebenskraft bewahrte ihn vor einem Absturz, als vor fünf Jahren seine geliebte Lebensgefährtin Gisela ihren letzten Weg ging. Es war tief beeindruckend, wie diese beiden älteren Menschen den Alltag gemeistert hatten und gleichzeitig aufgeschlossen waren sowohl für das musikalische wie für das reale Leben und seine Probleme.
Harald Genzmer galt seit Jahrzehnten als einer der am meisten aufgeführten Komponisten der Gegenwart. Dies kam nicht von ungefähr: einerseits ermöglichte die gewaltige Zahl seiner Werke für alle nur denkbaren Instrumentalkombinationen den Interpreten eine große Auswahl, andererseits waren die meisten seiner Kompositionen in enger Zusammenarbeit mit den ausübenden Künstlern entstanden, den Instrumenten sozusagen auf den Leib geschrieben.
Diese fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Komponist und Interpret war wohl e i n Teil seines Jahrzehnte überdauernden Erfolgs, der andere lag in Genzmers Fähigkeit, zeitgenössische Musik so zu schreiben, dass auch unvorbereitete Hörer mühelos Zugang zu seiner Musik fanden. Sein Personalstil, früh erreicht und bruchlos weiterentwickelt, beruhte auf dem Einfall und einer stupenden Meisterschaft der kompositorischen Entfaltung. Gelernt hatte er sein Handwerk in der strengen Schule von Paul Hindemith im Berlin der Jahre 1929 bis 1934.
Der erste Anfang von Genzmers Laufbahn deutete auf das Theater: er war Korrepetitor und Studienleiter am Breslauer Theater, musste aber wohl bald erkennen, dass dies nicht seine eigentliche Welt war (bezeichnender Weise fehlt die Gattung Oper in seinem umfänglichen Werkverzeichnis). Schon 1937 ging er wieder nach Berlin und arbeitete pädagogisch an der Volksmusikschule Neukölln. In diese Zeit fiel die Begegnung mit Oskar Sala, dem Erfinder des Trautoniums, für das Genzmer unter anderem 1939 ein Konzert für Trautonium und Orchester schrieb. Ab 1940 musste er zum Militär, wurde aber überwiegend zur Truppenbetreuung eingesetzt und überstand das Grauen einigermaßen glimpflich.
Schon bald nach dem Kriege berief ihn Gustav Scheck an die Freiburger Musikhochschule als Kompositionslehrer und stellvertretenden Direktor – seine pädagogische Laufbahn hatte sich entschieden.
War es dort eine vielfältige und schwierige Aufgabe, die Hochschule unmittelbar nach der Katastrophe aufzubauen, so gewährte ihm die Position aber auch die Möglichkeit, die „Tübinger Musiktage“ zu gestalten und erste Erfolge als Komponist zu erringen. So erfuhr zum Beispiel die überaus erfolgreiche Sinfonietta für Streicher damals ihre Uraufführung.
Nach elf Jahren Freiburg erreichte Genzmer Karl Höllers Ruf an die Musikhochschule München. Von 1957 bis 1974 amtierte er in München als Professor für Komposition. Zahlreiche Studenten erlebten einen lebendigen, undogmatischen Lehrer, der keineswegs das eigene Werk in den Mittelpunkt des Unterrichts stellte. Den Schüler zu sich selbst zu führen, erschien ihm als das wichtigste pädagogische Ziel. Darüber hinaus betätigte er sich ehrenamtlich, besonders in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste als Leiter der Sektion Musik. Auch in der GEMA wirkte er für Komponistenkollegen, getreu seiner Ansicht „Ich finde es selbstverständlich, dass man sich auch organisatorischen Aufgaben widmet“.
Harald Genzmer entstammt einer Gelehrtenfamilie und so war es für ihn selbstverständlich, sich auch gründlich in anderen Disziplinen umzusehen: Die bildende Kunst fesselte ihn ein Leben lang (so war er auch viele Jahre Mitglied in der Ankaufkommission der Münchner Pinakothek) und Mathematik und Astronomie waren ihm vertraute Gebiete. Es ist bewundernswert, wie er schöpferische Tätigkeit mit wissenschaftlicher Materie zu verbinden wusste – und wie er sich gleichzeitig sozial für Kollegen engagierte.
Auch nach seiner Emeritierung 1974 blieb Genzmer aktiv. Er konnte sich nunmehr nicht nur mit größerer Muße dem Komponieren widmen, er gab auch pädagogische Werke zusammen mit anderen Autoren heraus, so z.B. fünf Bände „Studieren und musizieren“ für zwei Violinen.
Bis in die letzte Zeit interessierte sich Genzmer vielfältig und quasi jugendfrisch in kritischer Aufgeschlossenheit. Sein Komponieren bis in den letzten Lebensabschnitt hinein zeigt die schöpferische Kraft, die ihn auszeichnete, aber auch die künstlerische Energie, die er mit dem Handwerk zu verbinden wusste. Harald Genzmer war eine kraftvolle Natur, mit seinem markanten Kopf eine signifikante Erscheinung – und gleichzeitig ein liebevoller Mensch, ein reizender Gastgeber und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wir trauern um ihn.
Alexander L. Suder