Er war ein sanfter Unangepasster. Dunkler Schnurrbart, lockiges Haar und dunkle Augen, die meist ein Lächeln umspielte. Für zwei Dinge standen seine Züge bald: Texte, die sich keine Schranken setzen ließen, und Melodien voller Witz, die – so vertrackt sie manchmal waren – schnell zum Mitsingen animierten. Man singt sie heute noch, die Chansons des Textdichters, Komponisten und Interpreten Georges Brassens. Vom Senegal bis nach Russland, von Neuseeland bis Japan und Südamerika wurden und werden seine Lieder in Übersetzungen nachgesungen. Und das 30 Jahre nach dem Tod ihres Urhebers. Brassens starb im Oktober 1981, kurz nach seinem 60. Geburtstag. Paris feiert den Liedermacher, der im südfranzösischen Sète geboren wurde und lange in der französischen Hauptstadt lebte, jetzt mit einer großen Ausstellung in der Cité de la Musique: „Brassens ou la liberté“ – Brassens oder die Freiheit.
Wer dort die Räume betritt, die dem vermutlich größten Poeten des französischen Chanson im 20. Jahrhundert gewidmet sind, wird gleich gefangen von einer eigenen Welt. Die Journalistin Clémentine Deroudille und der junge Comiczeichner Joann Sfar haben diese Welt hier liebevoll inszeniert. Schon vor dem Eingang hört man Brassens’ Stimme – diesen weichen, ungekünstelten Bass-Bariton, der manchmal mehr zu sprechen als zu singen schien und mit den Jahren ein bisschen rau wurde. Sie dringt aus immer neuen Lautsprechern, während man die Lebensstationen und großen Themen des Sängers und Autors abwandert. Man durchläuft ein einladendes Labyrinth, mit Wänden aus dunklem Stoff und vielen Rundungen und Nischen, in denen Fotos, Filme, Interview-Auszüge und nicht zuletzt handschriftliche Dokumente auf diskrete Art eine verblüffend intime Nähe zu dem Liedermacher und der Person schaffen, die er war. Es gibt in der Ausstellung auch Film-Aufnahmen des singenden Brassens; viele Besucher bewegen beim Betrachten und Zuhören die Lippen, und man vernimmt einen leisen Chor, der immer wieder Zeilen oder ganze Strophen mitsingt. Brassens, der Vertraute.
Der hier noch vertrauter wird. Dieses Kind einer Italienerin und eines Franzosen, das am Meer groß wird und schon früh fasziniert ist von Musik und Literatur. Dieser junge Dandy, der 1940 in die Hauptstadt geht und dort bei einer Tante lebt, die ein Klavier besitzt. Dieser poetisch begabte Zwangsarbeiter in den Jahren 1943/44 in einem Flugmotorenwerk von BMW in Basdorf bei Berlin. Der an diesem Ort (wo es heute zweimal im Jahr ein Festival zu Brassens’ Ehren gibt) seine ersten Chansons schreibt und einen Heimaturlaub 1944 nutzt, um unterzutauchen. Dieser freiheitsliebende Untermieter, der von 1944 bis 1966 in einem kleinen Häuschen in einer winzigen Gasse im Pariser Süden bei einem Ehepaar lebt, dem er einige seiner schönsten Chansons widmet. Dieser begeisterte Musikhörer, der in einem Kellerraum an seinem späteren Wohnort eine riesige Sammlung von LPs hortet und eine Unzahl von Liedern anderer Sänger auswendig kennt. Dieser weise – und früh ganz weißhaarige - Mann des Chansons, der 1981 nach einer zu spät entdeckten Krebs-Erkrankung stirbt.
Dokumente einer Freundschaft
Man sieht: vergilbte Blätter mit Gitarren-Akkordsymbolen, die sich Brassens einst aufgezeichnet hatte; frühe handschriftliche Entwürfe von berühmten Chansons wie „Bonhomme“, deren Entstehung sich vom ersten Entwurf bis zur endgültigen Fassung oft über Jahre hinzog; ein Notenblatt mit handgezogenen Linien und ausgearbeiteten Stimmenverläufen in blauer Tinte; ein Dokument vom November 1978, das Brassens und der mit ihm befreundete Schriftsteller René Fallet unterzeichneten – und in dem sich die beiden versprechen, vom anderen nicht als dem „lieben Dahingeschiedenen“ zu sprechen, wenn einer von beiden früher stürbe. Neben diesem Schriftstück: eine der letzten Gitarren, die Brassens sich bauen ließ – wie immer eine Konzertgitarre, die er mit Stahlsaiten statt Nylonsaiten bespannte.
Ein großes Verdienst dieser Ausstellung ist, dass sie nicht nur den Poeten Brassens ausleuchtet, sondern auch den versierten musikalischen Handwerker. Im Untergeschoss kann man an einem Computer minutiöse Analysen einiger seiner besten Chansons abrufen; sehr plastisch treten da die feinen Mittel zutage, mit denen Brassens arbeitete. Da kommt etwa zum sprachlichen Bild einer alten Frau, die mühsam im Wald Holz für ihren sterbenden Mann zusammenklaubt, auch der Gesang subtil ins Stocken – während das Metrum unaufhaltsam weiterläuft und zum Symbol für die Unausweichlichkeit des Todes wird. Diese Chansons sind hinter der Maske der Leichtigkeit stets ungemein tiefgründig. Und hier begreift man schnell, warum.
Ein ganzes Konzert von 1969 kann man in einem Nebenraum in einer Filmaufnahme sehen. Brassens, der Schüchterne, der Diskrete. Auf der Bühne fühlte er sich unwohl. Da stand er im korrekten dunklen Anzug, das linke Bein auf einem Stuhl aufgestützt, die Gitarre auf dem Oberschenkel, und schwitzte heftig. Hinter ihm nur ein Vorhang und sein treuer Weggefährte, der Kontrabassist Pierre Nicolas. So sahen Auftritte von ihm stets aus. Ursprünglich wollte er seine Chansons ausschließlich für andere Interpreten schreiben. Doch 1952 drängte ihn die Chanson-Diva Patachou förmlich auf die Bühne – und die Presse feierte ihn sogleich. Seine Lieder handeln von Prostituierten und Totengräbern, von Marktweibern, die Polizisten verprügeln, von jungen Paaren auf Parkbänken und von Akkordeonspielern, die auf einem Rübenfeld begraben werden. In Brassens’ Texten gibt so wunderschöne Wortprägungen wie „das Grab schwänzen“ in seinem großartigen Lied „Das Testament“, und seine schönsten Alexandriner, immerhin das edelste Versmaß der französischen Literatur, spickte der Sänger gekonnt mit derben Vokabeln. Das Grab „zu schwänzen“, ist ihm nicht gelungen. Aber in dieser Ausstellung und in seiner großen weltweiten Resonanz wirkt Georges Brassens lebendig wie zu seinen Glanzzeiten (Cité de la Musique, Paris, bis 21. August; Katalog 39 Euro).