Der Gitarrist, Pianist und Komponist Ralph Towner feierte in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag und wird mit der German Jazz Trophy ausgezeichnet. Mehr als 30 Alben hat der US-amerikanische Gitarrist, Pianist und Komponist Ralph Towner unter eigenem Namen, zum Teil mit Größen wie Charlie Haden, Azimuth, Gary Burton, Eddie Gomez, Jack DeJohnette, Julian Priester, Gary Peacock, Bill Bruford, Dave Holland, Pat Metheny, Marc Copland, Wolfgang Muthspiel oder John Abercrombie eingespielt, nahezu ebenso viele mit der Formation Oregon, die er 1972 mit Glen Moore, Collin Walcott und Paul McCandless gegründet hat.
Schwer zu entscheiden, welches die absolute Sternstunde in diesem Lebenswerk ist – es sind schlicht zu viele. War es 1975, als Ralph Towners viertes Soloalbum „Solstice“ mit Jan Garbarek, Eberhard Weber und Jon Christensen auf ECM, dem innovativen Label des Neuklang-Visionärs Manfred Eicher, erschien, dieser epochale Meilenstein des zeitgenössischen Jazz? Oder doch 1979, die Tage im Oktober, als Towner bei Auftritten im Münchner Amerika Haus und im Limmathaus in Zürich klassische Kontrapunktkomposition, freie Improvisation und Jazz in seltsamer Metrik im Rahmen einer konzeptionellen, hochriskanten Versuchsanordnung in Form einer vor Publikum abgehaltenen Probe verbunden hat und damit das Material für den ein Jahr später ebenfalls bei ECM erschienenen Longplayer „Solo Concert“ entstand? Oder vielleicht doch eines der Alben mit Oregon, etwa das im Juni 1999 aufgenommene, 2000 auf Intuition Records erschienene „Oregon in Moscow“ mit dem Tchaikovsky Symphony Orchestra, das ihnen vier Grammy-Nominierungen eintrug?
Begonnen hat diese steile Karriere 1944 im Wohnzimmer der hochmusikalischen Familie Towner – Ralphs Vater war Trompeter, seine Mutter Klavierlehrerin – in der Kleinstadt Chehalis im Bundesstaat Washington. Dort fängt er im Alter von drei Jahren an, auf dem heimischen Klavier zu experimentieren. Rasch wird sein Talent für musikalische Strukturen sichtbar. Mit sieben Jahren nimmt er sich der Trompete an. In diversen High-School-Bands nutzt Towner fortan die Gelegenheit, seinen Sinn für Improvisation zu schärfen. Von 1958 bis 1960 studiert er an der University of Oregon Musiktheorie und Komposition. Parallel dazu hielt er stets an seinem Interesse für das Piano fest. In vielen Interviews hat Towner betont, dass die stilbildenden Aufnahmen des Bill Evans Trios das elementare Schlüsselerlebnis für sein Jazzinteresse waren und seine Klangästhetik, zumindest indirekt, noch bis zum heutigen Tag prägen. In New York hört Towner Gitarristen, die seine Neugier auf ein anderes Akkord-Instrument wecken – als „eine Art transportables Klavier“, wie er die Faszination selbst ausgedrückt hat. Seine Ausbildung nimmt er selbst in die Hand: Auf eigene Faust reist er nach Wien, um sich dort vier Jahre von Karl Scheit in klassischer Gitarre unterrichten zu lassen. Zurück in New York, trifft Towner in der Paul Winter Consort auf den Bassisten Glen Moore, den Percussionisten Collin Walcott und Paul McCandless, der eine Vielzahl von Blasinstrumenten spielt – die Musiker, mit denen er kurze Zeit später die Formation Oregon gründen wird.
Mit Oregon erlebt er, was Weltruhm im Jazz bedeutet: Nahezu 30 Alben haben sie gemeinsam aufgenommen, Tourneen führten sie durch die USA und Europa. Dann 1984 der schwere Schicksalsschlag: Bei einem Verkehrsunfall mit dem Bandbus während einer Deutschland-Tour sterben Collin Walcott und der Bandmanager Jo Härting. Towner und McCandless überleben, aber die Verletzungen sind nicht nur körperlich gravierend. Erst als Trilok Gurtu 1987 hinzustößt, seit 1993 durch Mark Walker ersetzt, wird die Bandgeschichte fortgeschrieben. Als Gitarrist hat Towner in seinem Solowerk eine höchst individuelle, lyrische, zuweilen auch meditative Handschrift entwickelt, seine Leistung als Komponist kommt aber auch in den Breitleinwand-Improvisationen von Oregon zum Tragen – wie ein Seismograph scheint er hochempfindliche, emotionale Schwingungen aufzuzeichnen. Neben seiner Meisterschaft auf der klassischen Konzertgitarre, aber gerade auch auf der 12-Saitigen, ist sein Interesse an technischer Innovation auch als Pianist nie erlahmt: 1983 fängt er an, mit dem Prophet 5-Synthesizer zu arbeiten – man höre das epische „The Rapids“.
Mit dem Gitarristen John Abercrombie nimmt er, ebenfalls für ECM, 1976 das Album „Sargasso Sea“ auf, 1982 schiebt das Duo auf Eichers Label den Longplayer „Five Years Later“ nach. Während Towner den akustischen Teil abdeckt, greift Abercrombie häufig zu elektrisch verstärkten Modellen, aber auch zur Mandoline, beide setzen die 12-saitige Gitarre ein – die innigen Dialoge der beiden Saitenvirtuosen auf diesen famosen Duett-Aufnahmen faszinieren noch heute nachhaltig.
Am 1. März 2015 ist er 75 Jahre alt geworden, am 3. Juli wird er mit der German Jazz Trophy, gemeinsam verliehen von der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg, der JazzZeitung.de und der Kulturgesellschaft Musik + Wort e.V. Stuttgart, im Rahmen der Jazzopen für sein Lebenswerk geehrt. Das Preisträgerkonzert bestreitet er gemeinsam mit den Gitarristen Wolfgang Muthspiel und Slava Grigoryan. Towners Kunst besteht wieder einmal auch darin, kongeniale Partner für seine Projekte zu finden.