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Das Spółdzielnia Muzyczna Contemporary Ensemble. Foto: Klaudyna Schubert
Das Spółdzielnia Muzyczna Contemporary Ensemble. Foto: Klaudyna Schubert
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Ein Ensemble auf seinem Weg

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Das Spółdzielnia Muzyczna Contemporary Ensemble · Ein Porträt von Georg Beck
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Wrocław, im Mai – Man muss schon etwas üben, soll ein Ensemblename wie dieser halbwegs unfallfrei, dazu mit der richtigen Betonung über die Lippen kommen: Spółdzielnia Muzyczna. Was das bedeutet? Wie man auf so etwas verfällt?

Klar, das sind die Fragen, die gestellt werden müssen. Als ich sie dem Ensemble stelle, am Rand eines Konzerts im vormaligen Breslau, sind wir auch schon mittendrin in einem nicht unwichtigen Kapitel der Kultur- und Sozialgeschichte des Landes. Spółdzielnia ist die Genossenschaft, lerne ich. In Polen, lerne ich, ist sie allgegenwärtig. Dahinter steckt der alte Gedanke der Selbstorganisation, Selbstverwaltung. Wenn die Geschichte, was nun gerade in der polnischen Geschichte nicht selten der Fall war, mit Notzeiten aufwartet, ist Eigeninitiative, ist Zusammenhalt gefragt, weniger das Einklagen von Hilfen seitens des Staates, die es erstens sowieso nicht gibt und wenn es sie gibt, kommen sie zu spät oder reichen nicht hin. Also muss eine Spółdzielnia her! Es gibt sie für Soziales, für Wohnen, für Landwirtschaft und für andere Dinge. Seit ein paar Jahren auch für die Musik der Gegenwart. Das Augenzwinkern dabei ist natürlich nicht zu übersehen. Mit dem Hacke-und-Spaten-Hintergrund gewöhnlicher Genossenschaften hat man selbstredend nichts zu tun hat, was sofort klar wird, wenn man die Formation einmal live erlebt. Wobei es kaum überraschend ist, dass diese Spółdzielnia im Fruchtwasser der Szene Krakóvs ausgerufen wird, in jener Musikstadt also, die mit dem Namen Penderecki verbunden ist wie weiland Köln mit dem von Stockhausen.

Interessant sind die Geburtshelfer, sind die Paten dieser Ensemble-Gründung. An erster Stelle ist EWCM zu nennen, Kürzel für European Workshop for Contemporary Music, die seit vielen Jahren unter Dampf gehaltene Kreativstube beim Warschauer Herbst, geleitet seit 2003 von Rüdiger Bohn, Professor für Dirigieren an der Düsseldorfer Robert Schumann-Hochschule. 2013, zu Bohns Zehnjährigem, war offenbar besonders viel kritische Masse angereichert worden, machten sich doch gleich drei Krakauer Musiker in Ausbildung ernsthaft ans Pläne schmieden: Komponist Piotr Peszat, Pianistin Martyna Zakrzewska, Trompeter Mateusz Rusowicz. Nach einer Erprobungsphase bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik war es dann spruchreif. Das Trio gründete einen neuen, unabhängigen Klangkörper: Spółdzielnia Muzyczna Contemporary Ensemble. Debütkonzert 2014. In den Folgejahren legt man sich mächtig ins Zeug, gibt Konzerte, editiert Konzertprojekte am laufenden Band und bekommt 2022, weil erfolgversprechend in der „Konsolidierungsphase“ unterwegs, von der Ernst von Siemens Musikstiftung den Ensemble-Förderpreis zugesprochen. Ein Ritterschlag, mit dem man, finanziell gesehen, aus dem Gröbsten raus ist. 75.000 Euro fließen aufs Projektkonto. Für sie als Musiker, die, so Pianistin Martyna, „aus dem Nichts“ gekommen seien, sei diese Ehrung außerordentlich bedeutsam. Ein Ensemble auf seinem Weg.

Programmatische Balanceakte

Bliebe die Frage nach den Inhalten, nach Positionierung. Ganz bewusst, so Cellist Jakub Gucik, habe man fürs Debütkonzert im Dezember 2014 ein Lachenmann-Stück ins Programm genommen. Es hätte, betont er, genauso gut eines von Grisey, von Sciarrino sein können. Die Diagnose fällt eindeutig aus. Was die Größen der Gegenwartsmusik angehe, gebe es einen Nachholbedarf in Polen. Um das zu ändern, sei man angetreten, ohne nun allerdings die polnischen Komponisten zu vernachlässigen. Insgesamt gehe es um den „Balanceakt“, die „Klassiker“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu kombinieren, zu kontrastieren mit „theatralisierten Klangexperimenten“. Was man sich darunter vorzustellen hat, macht die erste selbstkuratierte, selbstproduzierte Ensemble-CD, 2021 erschienen, anschaulich. Kagel, Donatoni, der Kotonski-Schüler Pawel Szymanski, Jahrgang 1954 sind dort die Gewichte auf der einen Seite der Balancierstange; für den Kontrapost sorgen drei Gegenwarts-Komponisten auf der gegenüberliegenden Seite: ein Stück für Cello, präpariertes Klavier, zwei Performer des brasilianischen Komponisten Ricardo Eizirik, Jahrgang 1985; das Quintett Shivers on Speed von Brigitta Muntendorf sowie eine Arbeit des Ensemble-Komponisten Piotr Peszat. Letzterer pflegt eine sehr spezielle Handschrift, hat dezidierte Auffassungen davon, wie sie aussehen, wie sie sich anhören müssen, die „experiments in sound oriented theatrically“.

Für die Debüt-CD hat Peszat eine Kammerensemble/Audio-Playback-Adaption eines Stummfilm-Klassikers aus dem Jahr 1903 beigesteuert: „La Vie et La Passion de Jesu-Christ“. Das Leben und das Leiden von Jesus Christus. Als irgendwie religiöses Bekenntnis sollte man dies nun allerdings nicht missverstehen, steht Peszat hier vielmehr doch in einer Tradition der medial erweiterten bildenden Künste, die sich für Religion interessieren, weil sie vom Stellvertretungsgedanken affiziert sind: als Künstler ins Erbe der Figur des stellvertretenden Opfers eintreten. Auch im Porträtkonzert mit dem programmatischen Titel „No Limits?“, das das Ensemble im Rahmen des Mai-Fes­tivals Musica Polonica Nova im Narodowe Forum Muzyki zu Wrocław gibt, ist es dieses Motiv, das wiederkehrt. „TVTV –  Intronisation“ (for Ableton Push SOLO, performers, live-electronics & live-video) ist im Prinzip ein Solostück, ein Arrangement für den Komponisten als Performer allein. Dafür hat Peszat zunächst einmal sämtliche Lampen im Saal auf Null drehen lassen. Zuschauerraum also im Dunkeln, im Übrigen vollbesetzt. Dann, schemenhaft, die Konturen des Composer-Performers. Unbeweglich, wie festgewachsen steht er da. Einzig seine Finger bewegen sich. Flink huschen sie über die Tastatur eines tabletartigen Bedienteils. Dazu gibt es hochauflösende, berührungsempfindliche Endlos-Drehregler, LEDs zur Navigation. Kurz, Peszat bedient den allerneuesten Schrei einer elektronikgestützten Bühnenperformance.

Ganz allein ist Peszat während seiner Performance freilich nicht. Um sich herum, außerhalb des Bühnenraums, hat er Kameraleute, Videomixer, weitere „Performer“ positioniert, beschäftigt damit, einen Schwall von Livelektronik, Livevideo zu entfachen, aus dem Off, ein Textkonvolut zuzuspielen. Die verstehbaren Bruchstücke lassen an Priesterliches denken. Wie um dies noch zu unterstreichen, setzt sich Peszat eine Krone aus Pappmaschee aufs Haupt. Man wehrt sich instinktiv gegen solche Symbolik, fragt sich, was diese Ecce homo-„Intronisation“ in einem Kontext neuer Musik zu suchen hat? Das Stück, das eigentlich nur eine gute Viertelstunde dauert, wirkt zunehmend länglich, löst weitere Fragen aus. Ist dieser Piotr Peszat, der Ensemble-Gründungs-Komponist von Spółdzielnia Muzyczna, auch der Komponist für das Ensemble? Wie weit lässt sich Individualisierung treiben, ohne den Ensemblegedanken aufzugeben? Und wo sind in diesem Porträt-Konzert eigentlich die „Klassiker“ geblieben, die zum Ensemble-Standing gehören sollen? – Nun, auf welchem Weg liegen nicht auch einmal Steine?

Durch die Augen anderer

Andererseits, als Ensemble hat Spółdzielnia Muzyczna in den ersten acht Jahren seiner Existenz viele Freunde gewonnen, hat Anerkennung gefunden, ja, hat sich in die Herzen gespielt. Auch in das von Zygmunt Krauze, der für die polnische Szene, zumal nach dem Abtritt von Penderecki, jetzt ist, was ein Helmut Lachenmann, ein guter Freund von Zygmunt Krauze, hierzulande symbolisiert. Die Frage, ob er Spółdzielnia Muzyczna kenne, wird mit einem Lächeln bejaht. Vor einem Jahr habe er das Ensemble in Stalowa Wola getroffen. Er sei dort Juryvorsitzender gewesen für einen Komponisten-Wettbewerb, wobei die Auftritte von Spółdzielnia Muzyczna als ausführendem Ensemble ausgesprochen erfreulich gewesen seien. Lebhaft habe er sich erinnert gefühlt an seine Zeit in der Warsztat Muzyczny, einer legendären, 1967 gegründeten, zwanzig Jahre unverändert aufgetretenen Quintettbesetzung. Dieses Déjà-vu sei schon sehr berührend gewesen, sagt er. Was sie damals gemacht hätten, neue Stücke aufzuführen, neue Klänge zu entdecken, Aufträge zu vergeben – das mache jetzt dieses Ensemble, weswegen er als Alter Hase den Youngstern einen Vorschlag unterbreitet habe. Er wolle ein Stück für sie schreiben, mit ihm selber am Klavier. Ein Angebot, mit dem er natürlich offene Türen einrennt. Es gebe auch schon einen Titel, verrät Krauze im Gespräch: „See through the eyes of others“. Angedeutet wird ein Ukraine-Bezug, ein Thema also, das in Polen, auch unter den jungen Ensemble-Mitgliedern, so musste ich erfahren, ausgesprochen reflexartig behandelt wird. Man darf gespannt sein. Vielleicht löst sich ja etwas und geht weiter mit und nach dieser Arbeitsgemeinschaft Zygmunt Krauze/Spóldzielnia Muzyczna. See through the eyes of others: Kraków, 3. Dezember. Ein Ensemble auf seinem Weg.

Radiotipp:

  • Deutschlandfunk, Atelier neuer Musik, 17. September 2022, 22.05 Uhr: No Limits? – Ensemblekulturen (7): Die polnische Formation Spóldzielnia Muzyczna – Sendung von Georg Beck.

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