Was bewegt einen fast heimatlosen Frisch-Verleger, frei von nennenswertem Eigenkapital, zum Besuch der Frankfurter Musikmesse? Jenem gnadenlosen Ort des klanglichen Hard- und Software-Handels gegen knisternde oder klimpernde Kohle?
Diese Fragen stellte sich der Verfasser folgender Zeilen vor zwanzig Jahren – vom Optimismus des individuellen Aufbruchs geblendet – überhaupt nicht. Getragen von sachlich unbegründetem Optimismus strich er – die aus ungenannten Gründen leicht gerötete Talent-Schnüffelnase vorausgereckt – durch die damals noch proppenvollen Messehallen. Anlässlich einer Rast am billigsten Bockwurststand trat der ihm wohlbekannte, damals noch schmächtige und höchst sympathische Karikaturist und Illustrator Jörg Hilbert zur Seite. Er habe, zusammen mit einem Pädagogen, Komponisten und Kabarettisten namens Felix Janosa, den Plot für ein Kindermusical namens „Ritter Rost“ entwickelt – ein tolles Teil. Ganz anders als der liebliche marktbeherrschende Kommerzschrott à la „Benjamin Blümchen“ oder dergleichen. Rockige Lieder, stilpluralistisch – aber prima zum Mitsingen. Und – ehrlich wie er ist – informierte er mich sofort, dass ungefähr zwanzig meiner großen Verleger-Kollegen das Projekt bereits abgelehnt hätten. Zu widerspenstig, zu poppig, zu unpädagogisch. Also ein ideales Projekt für den gerade gegründeten ConBrio-Verlag, fand der Verlagsleiter spontan. Kleines Hindernis als Nebenbemerkung: Natürlich sollte dem Bilder-Geschichten-Lieder-Hardcover eine CD beigefügt werden. Heute eine Selbstverständlichkeit, vor zwanzig Jahren eine deutsche Erstaufführung.
Weil es noch kein Konfektionierungs-Vorbild gab, meisterten wir diese Herausforderung mit Hilfe der Druckerei, indem wir den ersten Bänden ein ausgestanztes Stück Wellpappe hinten ins Cover klebten, jedenfalls eine wackelige Angelegenheit wie unser ganzer junger Verlag. Während des folgenden halben Jahrzehnts entstanden in kreativer und weitgehend harmonischer Zusammenarbeit die ersten vier Bände der Ritter-Rost-Serie. Für die Verhältnisse unseres Zwergenhauses echte Renner. Zunehmend stilbildend für die ehedem verschnarchte und verzuckerte Kindermusik-Szene. Gleichermaßen geliebt von Eltern, Sprösslingen und progressiven Pädagogen, mehrfach mit dem „Leopold“, dem Medienpreis des Verbandes deutscher Musikschulen, ausgezeichnet.
Doch weil die Expansionsgelüste des ökonomisch nicht unbedingt hochkompetenten Autors dieser Zeilen sich auch noch in der Massenproduktion sehr spezieller musikpädagogischer und musikwissenschaftlicher Editionen austobten, die zu übervollen Lagerbeständen bei bescheidenem Absatz führten, war es irgendwann zu spät zum Gänseblümchen-Pflücken. Auf der Suche nach dringend benötigter Liquidität half nur der sehr schmerzliche Verkauf unseres (nach der nmz) zweitwertvollsten „Rechtes“. Immerhin fanden wir mit dem Terzio-Verlag einen verständnisvollen, wertschätzenden Käufer mit feinem Potenzial, das Projekt „Ritter Rost“ auf viel breitere Marketing-Beine zu stellen, den „Ritter“ kräftig weiterzuentwickeln. Das gelang bis hin zum Kinofilm und zum Fernsehauftritt. Eine Schuhgröße, die soeben den schier omnipotenten Carlsen-Verlag aufmerksam machte – und zum Ankauf veranlasste.
So war eine tolle Geburtstagsfeier samt Uraufführung in der Deutschen Oper Berlin möglich, zu der man mich freundlicherweise einlud. Mit einem kleinen weinenden und einem großen lachenden Auge, jedenfalls ausgesprochen asymmetrisch durfte ich an einem Erfolgs-Höhepunkt meines einstigen Lieblings-Babys teilnehmen. Freude – und auch Entdecker-Stolz – überwiegen den kleinen Verlust-Restschmerz deutlich: ein Riesen-Areal für den Fabelwesenwald wünscht:
Theo Geißler