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Erste Signale von Hamburgs neuem Leuchtturm. Foto: Juan Martin Koch
Erste Signale von Hamburgs neuem Leuchtturm. Foto: Juan Martin Koch
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Ein Konzerthaus für die Klassik des 21. Jahrhundert s?

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Eindrücke vom Eröffnungsfestival der Hamburger Elbphilharmonie · Von Juan Martin Koch
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So wenig hanseatische Zurückhaltung war selten. Die mittels einer beispiellosen Medienkampagne verteilten und geschickt von der maximal verkorksten Bauplanung ablenkenden Vorschusslorbeeren für die Elbphilharmonie hätten gereicht, ein Dutzend kultureller Bauprojekte zu bekränzen. Bevor auch nur ein einziger Ton im voll besetzten Haus erklungen war, wurde bereits „einer der besten Konzertsäle der Welt“ besungen, in dem man „von allen Plätzen aus gleich gut“ hören könne. Im Gegensatz zur einhelligen Begeisterung über das architektonische Gelingen des Gebäudes als Ganzem und des Großen Saales im Speziellen, gab es dann nach den ersten Konzerten aber auch – durchaus nachvollziehbare – kritische Stimmen zur Akustik.

Doch zunächst zum Gebäude selbst, das ebenfalls vorab mittels effektvoller Fotos, 360-­­Grad-Impressionen und leicht befremdlicher Drohnenflug-Filmchen gebührend inszeniert worden war: An den ersten Eröffnungstagen war das Entree für die notwendigen Sicherheitskontrollen leider durch hässliche Containervorbauten verunstaltet und die als große Sensation beschriebene Rolltreppe entpuppte sich bei näherer Betrachtung … als Rolltreppe. Ja, man sieht das Ende dank der geschwungenen Form nicht, ansonsten ist die Anmutung der weißen, neonbeleuchteten Tunnelröhre aber nicht sonderlich spektakulär. Dass man nach der langen Fahrt nicht unmittelbar auf der öffentlichen Plaza, der Aussichtsplattform zwischen dem alten Kaispeicher und dem neuen Glasbau, landet, sondern neben einem ersten Aussichtsfenster zunächst auf die profane Hausgastronomie „Störtebeker“ stößt, dämpft den Effekt ebenfalls. Als langsames Eintauchen in eine andere Sphäre ist dieses inszenierte Ankommen aber natürlich eine wunderbare Idee, als künftiger Touristenmagnet ebenso.

Nachdem man sich durch die leicht labyrinthischen, von jedem Punkt aus faszinierende Blickachsen freigebenden Foyers hat treiben lassen, endlich der Saal: keine abweisende, Ehrfurcht gebietende Arena, sondern ein erstaunlich intimer Raum, der mannigfaltige Anregungen für’s Auge bietet, ohne von der Musik abzulenken. Die unsinnigerweise als „weiße Haut“ apostrophierte Wandverkleidung erinnert eher an hellgraue Wellpappe. Deren gerillte Ausbuchtungen sollen den Schall absorbieren und transportieren.

Akustik für’s Perkussive

Den ersten Eindrücken nach zu schließen, funktioniert das ausgezeichnet, ohne dass dabei freilich eine Rundum-Wohlfühl-Akustik entstanden wäre. Mit großer Genauigkeit und wenig Nachhall bildet sie ungeschönt das ab, was auf dem Podium passiert. Davon profitiert alles Perkussive, auch Blechblasinstrumente entfalten sich fantastisch. Eher unterbelichtet bleiben die Holzbläser, Sänger wiederum haben es schwer, sich gegen ein volles Orchester durchzusetzen. Wie viel Spielraum dem Akustiker Yasuhisa Toyota für Nachbesserungen bleibt, wird sich zeigen. Für die Zukunft des Hauses als Kulturinstitution viel wichtiger wird die Frage sein, was dort in welcher Qualität und für welches Publikum gespielt wird.

Thomas Hengelbrock, der Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orches­ters, hatte mit seinem Programm für das Eröffnungskonzert eine durchaus anregende, erfreulich zeitgenössische Antwort auf die „Was“-Frage gegeben. Nach dem mit Beethoven, Mendelssohn und Brahms noch konventionell umrahmten Festakt wurden in der ersten Konzerthälfte – ausgehend von Brittens „Pan“ für Solo-Oboe – Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts von Dutilleux, B. A. Zimmermann, Liebermann und Messiaen mit klein besetztem, von den Zuschauerrängen aus serviertem Renaissance- und Frühbarockrepertoire kontrastiert. Die pausenlos aneinandergereihte Folge entwickelte zwar keinen dramaturgisch zwingenden Faden, als Signal für ein offenohriges Konzerthaus war sie aber allemal geeignet. Der für’s Motto „Zum Raum wird hier die Zeit“ bemühte Wagner’sche Parsifal eröffnete den nicht ganz so kurzweiligen zweiten Teil; vor dem Finale aus Beethovens Neunter setzte aber Wolfgang Rihms Hommage an Hans Henny Jahnn, die Auftragskomposition „Reminiszenz“, einen weiteren wichtigen Akzent in Sachen neuer Musik. Dass ARTE bei einer späteren Ausstrahlung des Mitschnitts aus Zeitgründen ausgerechnet diese Uraufführung (mit Pavol Breslik als ebenso kompetentem wie angespannten Tenorsolisten) unter den Tisch fallen ließ, wirft ein bezeichnendes Licht auf das redaktionelle Fingerspitzengefühl des Kultursenders (siehe Martin Hufners Cluster auf Seite 9). Immerhin in der Mediathek lässt sich nachhören, wie am Ende der elegischen, Alban Berg als Referenz heranziehenden „Widmung“ eine ersten Entladung „aus feuerbrennender Tiefe“ den aufgewühlten zweiten Abschnitt quasi auslöst und Rihm den Satz in den beiden abschließenden Gedichten mit viel Einfühlungsvermögen in die Textvorlagen mehr und mehr ausdünnt.

Orchestervergleiche

Was die Qualität betrifft, so war das NDR Orchester bei der Wiederholung dieses Eröffnungsprogramms offenbar weniger nervös als bei der live übertragenen Premiere. Dennoch zeigte die Saalakustik dem guten, aber nicht überragenden Klangkörper und seinem mehr pauschal animierenden denn detailgenauen Chef die Grenzen auf. Beim ersten Auftritt des Philharmonischen Staatsorchesters stand dann Jörg Widmanns eigens für diesen Anlass komponiertes Mammutwerk „Arche“ im Fokus des Interesses. Der Komponist füllte den Bauch des Philharmonieschiffes mit einer Textvielfalt von der Bibel über Matthias Claudius und Friedrich Schiller bis zu Nietzsche und Klabund und entwarf ein opulentes, über 90-minütiges Tableau, das mit riesigem Orchesterapparat, Solisten, Chören und Orgel alle Register der oratorischen Überwältigungsmaschinerie zog. Der mehrheitsfähige, mitunter fragwürdige Stilmix forderte das Kollektiv bis an seine Grenzen und GMD Kent Nagano bewies, wie ein klug ausbalancierendes Dirigat die Klangmassen zu organisieren vermag.

Dennoch glaubte man fast einen Quantensprung zu erleben, als mit dem Chicago Symphony Orchestra der erste Klangkörper von Weltrang seine Visitenkarte abgab und – die akustischen Verhältnisse vorausahnend – mit Paul Hindemiths Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser einstieg. Ohne Holz also, dafür aber mit der vielleicht besten Blechgruppe des Universums und einem formidablen Streicherapparat, der die Sperrigkeit der Hindemith’schen Linienführung veredelte, ohne sie zu glätten. Die atemberaubend servierte Ravel’sche Orchesterkolorierung von Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ machte dann endgültig klar, dass ein herausragendes Orchester in diesem Saal herausragend klingt und dass man mit einem Dirigenten wie Riccardo Muti das große Tor zu Kiew auch in Hamburg in kontrollierter Eks­tase durchschreiten kann: Jede dynamische Steigerung verbreiterte das wahrgenommene Klangspektrum statt es einzuengen. Transzendente Kraft statt orchestralem Muskelspiel.

Maestro Muti bekam allerdings auch zu spüren, mit welcher Präzision die Akustik den Gesundheits- und Konzentrationszustand des Publikums abzubilden vermag. Die „Nacht auf dem kahlen Berge“ hatte das Zeug dazu, als erste bronchiale Mitmachaktion in die Musikvermittlungsgeschichte einzugehen.

Programmperspektiven

A propos: Die Elbphilharmonie besteht nicht nur aus dem Großen Saal, auch die „music education“ hat dort eigene Räumlichkeiten, wobei noch unklar ist, wie das ehrgeizige, von Bürgermeister Olaf Scholz ausgegebene Ziel, dass jeder Hamburger Schüler einmal ein Konzert im neuen Haus miterleben soll, logistisch umzusetzen sein wird. Ein eigenständiges Profil könnte außerdem der Kleine Saal entwickeln, der etwa 550 Plätze fasst und ausgehend von einer Schuhschachtelform verschiedene Positionen der Bühne und der Sitzplätze erlaubt (sie­he hierzu auch die Beckmesser-Kolumne auf Seite 4 f.).

Beim Eröffnungskonzert erwies sich der Klang im edel holzvertäfelten Raum als eher nüchtern und trocken. Es faszinierten vor allem die mikrotonalen Raumwirkungen von Georg Friedrich Haas’ uraufgeführtem Werk „Release“, das zum Teil von der Technik-Galerie aus gespielt wurde. San­drine Piaus Stimme in den frühen, von Johannes Schöllhorn neu für Streicher bearbeiteten Liedern Alban Bergs kam dagegen weniger überzeugend zur Entfaltung. Die kurzfristigen Modifikationen der Wandverkleidung waren allerdings zum Premierentermin noch nicht abgeschlossen, in der Sommerpause wird weitergearbeitet. Das Saisonprogramm des Ensemble Resonanz, von nun an Residenzensemble im Kleinen Saal, lässt jedenfalls schon einmal erahnen, wohin die Reise in Sachen musikalischer Vielfalt und Offenheit gehen könnte.

Auch das Programm im Großen Saal, das wegen der enormen Kartennachfrage laufend ergänzt wird, trägt mit einer Mischung aus Standardrepertoire, repräsentativen Großwerken (Auferstehungssinfonie, Gurre-Lieder, Sinfonie der Tausend …) und gezielt gesetzten Schwerpunkten (unter anderem mit Island, Syrien und New York als geografischen Stationen) die Handschrift des geduldigen Intendanten Christoph Lieben-Seutter. Unter dem Motto „Mitmachen“ öffnet sich das Haus außerdem für ein Publikum jenseits der Aboreihen.

Vom Erfolg dieser Initiativen und von der inhaltlichen Substanz wird es abhängen, ob die Anziehungskraft gerade beim heimischen Publikum auch über die Eröffnungseuphorie hinaus erhalten bleibt. Dann könnte die Elbphilharmonie zum Modell dafür werden, wie es mit der so genannten „klassischen“ Musik und ihren konzertanten Präsentationsformen im 21. Jahrhundert weitergeht.

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