In der Abgeschiedenheit eines klimatisierten Tagungsraums im Hotel hält es Thomas Larcher keine Minute. In den dann folgenden anderthalb Stunden wird immer klarer, wie typisch das ist für diesen 1963 in Innsbruck geborenen Komponisten und Pianisten. Larcher, der nun vor einer Glaswand auf einer so idyllischen wie von der Sonne heißen Terrasse in Hall in Tirol sitzt, im orangefarbenen „Jägermeister“-T-Shirt, das einen witzigen Kontrast zu einem äußerst diskreten Benehmen bildet, ist ein Künstler, der sich der Welt aussetzt, sie mitkriegen will. Der sehr leise spricht und dabei die Umgebung genießt. Ein traumhaft blauer Himmel spiegelt sich hinter ihm, Vögel zwitschern, doch andere Gäste um uns herum sind laut, Tassen klirren, Handys klingeln, und die Geräusche von der nicht weit entfernten Straße übertönen die Vögel sowieso die meiste Zeit.
Fast wie bestellt wirkt diese Szene bei einem Musiker wie diesem. Wunderbar leise und sensible Stücke schreibt er, er stellt hoch anspruchsvolle und zugleich von gro-ßer Neugier und Lust geprägte Festivalprogramme zusammen. Beides vielleicht gerade, weil er sich wenig Illusionen über den Stand der Kunstmusik in einer reizüberfluteten Welt macht. „Die Vertrautheit mit klassischer Musik bröckelt ab“, sagt er, „weil die mediale Öffentlichkeit und die Erziehung eine andere geworden sind“. Und was die Neue Musik betrifft, weiß er: „Es gibt keinen Markt.“ Er findet es jedoch wichtig, dass „der Zugang zur klassischen Musik nicht verschütt geht,weil es eine Musik ist, die einem einen Eintritt in Welten ermöglichen kann, die einem sonst verschlossen bleiben“. Und die zeitgenössische Kunstmusik sollte seiner Ansicht nach herausbewegt werden aus engen Zirkeln, mehr Eingang ins Repertoire finden und nicht mit Angst vor dem möglichen Naserümpfen der „Szene“ geschrieben werden. „Irgendwann ist Schluss mit Umkehrungen und Krebsen und Algorithmen, irgendwann muss ein Stück einfach gehört werden.“
Solche Dinge kann Thomas Larcher gut fordern, weil er sie für sich bereits seit vielen Jahren einlöst. Was er selbst aber eben nicht sagt. Larcher wird die ganze Zeit über nie laut, er formuliert behutsam, er hat klare Überzeugungen, aber er kleidet sie nicht in Eigenwerbung. Larcher hat in Wien Klavier und Komposition studiert, als Pianist mit Dirigenten wie Claudio Abbado und Pierre Boulez zusammengearbeitet, hat Klaviermusik, Kammermusik und Stücke für große Besetzungen geschrieben, von denen eines, sein „Konzert für Violine, Violoncello und Orchester“ ein Werk für die BBC Proms war, also eine Veranstaltung, die sich gerade nicht an einen kleinen Kreis von Spezialisten richtet. Er hat das Festival „Klangspuren“ in Schwaz in Tirol mitgegründet und bis 2003 geleitet – ein Festival, das mit viel Erfolg neues Publikum für die zeitgenössische Musik erschließt –, und seit 2004 stellt er für die Swarovski Kristallwelten in der Tiroler Gemeinde Wattens, also in jener von André Heller hinter einem wasserspeienden, grasbewachsenen Gesicht eines Riesen gestalteten Verkaufs- und Erlebniswelt eines Kristallglas-Herstellers, das Festival „Musik im Riesen“ zusammen, das im letzten Jahr eine faszinierende Vielfalt zwischen Brahms und Takemitsu, Schumann und Widmann und mit Interpreten wie Geigerin Viktoria Mullova, Pianist Louis Lortie und den Cellisten Matthew Barley, Thomas Demenga, Patrick Demenga und Alban Gerhardt präsentierte.
Als Komponist fühlte Larcher sich anfangs unsicher. Im Vergleich etwa mit Beat Furrer, der einige Jahre vor ihm in Wien studiert hat, fand er sich „viel zu naiv. Dann hab ich mir gedacht: Okay, wenn ich’s schon nicht schreibe, dann spiel ich’s und erschließ‘ mir diese Welt dadurch. Und späterhin hab ich mir gedacht: Ich spiel’s und veranstalte es auch. Ich tu was für diese neue Musik und integriere sie in mein Leben. Und es hat sehr viel gebraucht, bis ich dann gesagt hab: Ja, aber es gibt auch noch das Verborgene, nebenher mitschwimmende Eigene. Auch durch Ermutigung von Freunden bin ich damit an die Öffentlichkeit gegangen. Dadurch hat es einen immer größeren Platz eingenommen.“
Larchers Musik ist sinnlich, rhythmisch ansprechend und gestattet sich so schöne und ergreifende Momente wie den langsamen zweiten Satz seines Streichquartetts „Madhares“, in dem zarte Klänge scheinbar ganz traditionell auseinander hervorwachsen („An diesem kleinen Satz habe ich besonders lange gearbeitet, bis die Stimmführung so gepasst hat, wie ich’s wollte“). Seine Musik ist generell eine Schule der Wahrnehmung. Zu seinem „Konzert für Violine, Violoncello und Orchester“, das 2011 in der Royal Albert Hall uraufgeführt wurde, ließ er sich von dem eigentümlich runden Raum dieser Konzerthalle inspirieren. „Ich hatte bereits vorher einmal dort gespielt. Damals war ich in der Nacht davor in den Saal gegangen und konnte ein paar Momente in diesem riesigen dunklen Raum verbringen, bevor Aufpasser kamen und mir zur Sicherheit einen Helm verpassten. Man konnte den Raum nicht wirklich sehen, ihn aber spüren und mit jedem Schritt hören. Diese Weite und Unbegrenztheit, die Bedrohung durch die Dunkelheit und die Neugier auf diesen Raum, das waren die Ausgangspunkte für dieses Stück, das ganz still anfängt und nach und nach den Raum füllt und schließt mit vielen verschiedenen Klängen.“ Im Dezember – einige Zeit nach unserem Interview – bekam Larcher für dieses Stück den British Composer Award 2012 in der internationalen Kategorie. Ein Stück, das typisch ist für Larcher: auch dies Musik von einem, der sich der Welt öffnet. Sie hören, spüren, riechen will. Egal, ob man dafür einen Helm braucht oder aber immer wieder an eine andere Stelle rücken muss, weil die Sonne auf der Terrasse „mir sonst die Platte verbrennt“. Er sagt das leise und charmant, wie Vieles andere auch an diesem Tag.
Daten:
- 06.–11.05.2013 Wattens (A), Swarovski Kristallwelten Festival Musik im Riesen
- 07.05.: Radio Kamer Filharmonie, Christina Landshamer (Sopran), Thomas Larcher (Dirigent) - Thomas Larcher: My Illness Is the Medicine I Need für Sopran und Ensemble (2002/13, Österreichische Erstaufführung)
- 11.05.: Avanti! Kamariorkesteri, Dima Slobodeniouk (Dirigent), Marcus Farnsworth (Bariton)
- Thomas Larcher: Die Nacht der Verlorenen für Bariton und Ensemble (2008)