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Kurt Schwaen. Foto: Verlag Neue Musik
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Ein unzeitgemäßer Einzelakteur

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Nachdenken über Kurt Schwaen (1909–2007)
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Keiner, der seinen König Midas nicht kennt – kein Kind, das Pinoccios Abenteuer nicht sah. Kein ostdeutsches Kind, müsste man jetzt korrigieren, und solange der entsprechende Fachlehrplan galt. Jahrzehnte lang jedenfalls waren Werke von ihm in östlichen Gegenden Schulstoff, somit Pflicht und für viele im Leben die erste „schräge“ Musik – avancierten Ohren hingegen ist manches davon bis heute ein Graus.

Ganz klar: Kurt Schwaen, geboren 1909 in Kattowitz/Schlesien, war kein Avantgardist. Kein Neutöner zumindest. Er wurzelte in slawischer Folklore, Satztechnisches lernte er im Klavierunterricht. Entscheidende künstlerische Prägung erwuchs ihm als Klavierbegleiter der Ausdruckstänzerinnen Mary Wigman und Oda Schottmüller – weltanschauliche in Zuchthausjahren in der NS-Zeit in Zwickau, aus antifaschistischem Widerstand, in Begegnungen mit Eisler, Dessau und Brecht. Im Nachkriegsberlin engagierte er sich für den Wiederaufbau musikalischer Bildung – in der DDR war er zeitweise Sekretär des Komponistenverbandes und der Musiksektion der Akademie der Künste. Er engagierte sich, war durchaus parteiisch und blieb – integer als Mensch – seinem Einzelweg treu.

Musikalische Moden zogen an ihm vorüber. Eigenes Komponieren schien geradezu unberührt von allem, was sich ästhetisch wie gesellschaftlich rieb – es gab sich meist heiter, funktional, unverbindlich gelassen. Persönlich wurde er bestenfalls am Klavier, an dem er noch bis vor Kurzem selbst agierte. Mehr als 600 Werke aller Genres zählt das Oeuvre Kurt Schwaens – auffällig darin das Faible für Szenisches, die Vielzahl der Ballette, der komischen Opern, der Bühnenmusik. Vater des Kindermusiktheaters nannte man ihn erst vor einigen Jahren bei einem Kolloquium in Köln – was eine späte Auszeichnung war. War dieser Kurt Schwaen also womöglich doch einer, der voranging auf unmarkiertem Terrain? Als er 1973 in Leipzig die „Arbeitsgemeinschaft Kindermusiktheater“ initiierte, war das heute immense Angebot für die jüngste Generation der Theaterbesucher nicht einmal denkbar, geschweige denn vorhanden. Doch Schwaen, und das unterscheidet ihn heute aufs Neue, hatte weniger an neue Konsumenten gedacht: Fast 20 seiner szenischen Werke sehen ambitionierte Jugendliche als Darsteller, Mitwirkende vor. Wo nur und durch wen werden all die Stücke nun wohl künftig gespielt?

Bliebe gleichfalls die Frage nach seinem Blick auf die Gesellschaft, in der er vier Jahrzehnte lang lebte? Kaum denkbar, dass er ihre Brüche, Widersprüche nicht wahrnahm. Musikalisch problematisierte er diese nur wenig und vor allem nicht mit zeitgenössischen Klängen und Mitteln. Nicht seine Büchner-Oper „Leonce und Lena“, nicht die Bühnenmusik zu Brechts „Die Horatier und die Kuratier“, nicht das „Vietnamesische Konzert“ also haben (ost-)deutsche Musikgeschichte aus heutiger Rückschau entscheidend geprägt. Und doch war das etwas.

Man höre vielleicht noch einmal genauer in jenes kleine Klavierstück „Nocturne lugubre“ hinein. Schwaen hatte es 1992 notiert, mit 83, und später mehrfach darauf verwiesen. Es ist ohne Zweifel eines seiner wenigen Werke mit subjektivem Charakter. Zu behaupten, das ostinate Vier-Ton-Motiv, das das Opus grundiert, meine die vier deutschen Staaten, die der Komponist selbst durchlebt hat, wäre gewiß überzogen. Ganz sicher aber handelt es sich um eine politische Trauermusik; der greise Künstler formulierte mit ihr seinen Abschied vom Lebens- und Geschichts-Abschnitt DDR inklusive der damit für ihn verbundenen Gesellschafts-Vision.

Nach dem Mauerfall blieb der Komponist höchst aktiv, zahlreiche Werke entstanden, wurden ur- und nachaufgeführt – undenkbar ohne Lebensgefährtin Ida Iske und ihr Archiv. Das Alter schien ihm nichts anzuhaben, es machte ihn schließlich noch zum Zeugen seines Jahrhunderts. Er hatte den Krieg überlebt, in der Strafdivision 999. Am Morgen des 9. Oktober ist Kurt Schwaen im 99. Lebensjahr in Berlin-Mahlsdorf verstorben.

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