Gesagt hat Mary Halvorson an diesen drei Tagen im „Alten Schl8chthof“ im oberösterreichischen Wels auf der Bühne nicht viel. Mehr als eine etwas schüchterne, karge Vorstellung ihrer Mitspieler war nicht drin. Die 37-jährige Gitarristin und Komponistin ließ lieber das von ihr kurartierte Programm der 31. Ausgabe von „Unlimited“ für sich sprechen. Vielleicht nahm niemand ihrer Vorgänger den Namen dieses Festivals bisher so wörtlich wie die in Boston geborene und in New York lebende Musikerin. Grenzenlos war der „Ribbons of Euphoria“ übertitelte Stilmix, den die zusammen gestellt hatte. Er war eine Art tönender Autobiografie.
Mit Joe Morris lud Mary Halvorson etwa ihren einstigen Lehrer an der „Wesleyan University“ ein – der dann solo einen unglaublichen Ideenfluss mit entsprechenden Techniken unterfütterte. In der etwas seltsamen, mittelalterlich anmutenden Folk-Band „Seven Teares“ war einer zugange, mit dem sie einst die Schulbank drückte: Charlie Looker. An zwei furiosen Projekten war Mary Halvorsons Lebenspartner, der Schlagzeuger Tomas Fujiwara beteiligt: er brachte seine eigene Band „Triple Double“ (zweimal Blech, zwei Gitarren, zweimal Schlagzeug) nach Wels und sorgte im Allstar-Quartett „Illegal Crowns“ mit für die äußerst gelungene Mixtur aus Avantgarde-Jazz, Neuer Musik und Rock/Pop. Und dann waren auch etliche Musiker Mary Halvorsons Ruf gefolgt, mit denen sie immer wieder Projekte, Bands, Auftritte teilte: die Viola-Spielerin Jessica Pavone, der Bassist Stephan Crump, der mit seiner differenziert swingenden Formation „Rhombal“ auftrat, der großartige Gitarrist Liberty Ellman mit seinem Trio, die Pedal Steel-Gitarristin Susan Alcorn und und und. Die europäischen Acts des Festivals – das gefeierte Trio „Gabbeh“, die österreichische Kultband „Schmieds Puls“, das „Trio Heinz Herbert“, der mit Phondruckwellen operierende Dreier „Radian“ oder das Duo Susana Santos Silva/ Kaja Draksler wurden Mary Halvorson vom „Unlimited“-Team vorgeschlagen – und fügten sich in das Programm einer neugierigen Frau, die sich nicht einengen lässt, die sich mit jedem neuen Projekt herausfordert und sich stets neue, ungekannte musikalische Facetten abzutrotzen versucht.
Mit einigem Stolz verfolgten Mary Halvorsons extra aus Boston angereiste Eltern, für welche Bandbreite ihre Tochter steht und welch herausragende Gitarrenstilistin aus ihr geworden ist.
Jeder, der Ohren hat, muss ihren Sound sofort wieder erkennen, wenn sie aktiv wird – und das, obwohl Mary Halvorson mit ihren klanglichen Gestaltungsmitteln stets variiert. Mal spielt sie ihr Instrument ganz trocken, puristisch, unmodifiziert, mal rüstet sie mit reichlich Volumen und dem Einsatz von Effektgeräten tüchtig auf. Eines ihrer Fußpedale setzt sie nicht unbedingt nach Gebrauchsanweisung ein. Das Resultat wurde zu ihrem Markenzeichen: niemand bringt die Töne so kunstvoll, so unverwechselbar zum Deformieren, Eiern, Kullern.
Dass diese zarte junge Frau etwas Besonderes anzubieten hat, spürten schon Lehrer wie Anthony Braxton – er stellte Mary Halvorson weltweit früh einem staunenden Publikum vor. Allein zehn Alben hat sie im Lauf der Zeit mit ihrem Mentor eingespielt – achtzig weitere Werke (!) sind in ihrer Diskografie vermerkt. Mary Halvorson gehört ganz sicher zu den bestdokumentierten Musikern ihrer Generation. Allein unter eigenem Namen veröffentliche sie etliche CDs – vom Duo bis hin zum Oktett. Ihre Emsigkeit und die Tatsache, dass sie bei aller Offenheit stets bei sich bleibt und ihr musikalisches Gesicht wahrt, trägt Früchte. Jüngst räumte Mary Halvorson beim „Critics Poll“ des Magazins „Down Beat“ ab – gleich viermal wurde sie von einer Schar befragter internationaler Musikjournalisten auf Platz 1 gehievt: die Sparte „Gitarre“ hat sie gewonnen, ebenso die „Rising Star“-Kategorien „Jazz Artist“, „Jazz Group“ und „Jazz Composer“. Fast ungläubig hat Mary Halvorson auf diesen Coup reagiert, jene Frau, die auch heute noch demütig und ohne jede Koketterie behauptet: „Ich bin immer noch auf der Suche nach meiner eigenen Stimme und werde es wohl immer bleiben.“