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Vier Schönbergs in Schwarzweiß. Einmal Arnold Schönberg, wie er leibte und lebte, und dann noch drei detailarme Selbstporträts mit verschiedenen Anlagen. Die drei Bilder sind eingerahmt, Schönberg selbst sitzt mit Anzug, Krawatte und Polunder in einem Stuhl. Mit seinem Kopf an der Stelle, wo ein viertes Bild in hängen könnte.

1948 fotografierte Richard Fish Arnold Schönberg neben drei seiner Selbstportraits in Los Angeles. Das Foto stammt aus dem Archiv des Arnold Schönberg Centers in Wien.

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Einer hat es sein müssen …

Untertitel
Warum wir von Arnold Schönberg lernen und seine Musik mögen können
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Die Musik von Arnold Schönberg ist schwer zu spielen, selbst für Profis. Stehen Schönbergs „Fünf Orchesterstücke“ op. 16 mit ihren nicht einmal 20 Minuten Dauer auf dem Programm, so müsste ein gewissenhafter Dirigent hierfür mehr Probenzeit veranschlagen als für die darauffolgende eineinviertelstündige „Fünfte Mahler“. Die Veranstalter wiederum sprechen hinter vorgehalter Hand von „Kassengift“ und befürchten, dass allein die Ankündigung der Schönberg-Komposition ein Viertel des Publikums vertreibt. Warum lohnt es sich trotzdem, sich anlässlich seines 150. Geburtstages mit Schönberg zu beschäftigen? 

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Nahezu alle Schönberg-Uraufführungen – zwei der Ausnahmen sind „Verklärte Nacht“ op. 4 (1899) und „Gurre-Lieder“ (vollendet 1911) – endeten in einem Desaster. Das Publikum protestierte lautstark bei seinem Ersten Streichquartett op. 7 (1905), prügelte sich mit seinen Anhänger*innen beim berüchtigten „Skandalkonzert“ am 31. März 1913 und zuckte desinteressiert die Achseln, als er in den 1920er-Jahren die Zwölftonmethode entwickelte. Schönberg kehrte seinerseits dem Publikum den Rücken zu. Im 1918 gegründeten „Verein für musikalische Privataufführungen“ waren Missfallens- und Beifallskundgebungen untersagt. An den Freund Alexander Zemlinsky schrieb er: Die „Rücksicht auf den Zuhörer (...) kenne ich so wenig, wie er die Rücksicht auf mich kennt. Ich weiß nur, daß er vorhanden ist und soweit er nicht aus akustischen Gründen ,unentbehrlich‘ ist, (weil’s im leeren Saal nicht klingt) mich stört. Jedenfalls kann der Zuhörer, dem mein Werk oder ein Teil davon entbehrlich scheint, von seiner günstigeren Situation Gebrauch machen und mich als Ganzes als entbehrlich behandeln.“

Woher rührt diese Sturheit?

Die Antwort mag man in einer Anekdote finden, die Schönberg selbst (und stolz) erzählt hat. Als er beim Militär – Schönberg musste 1915 einrücken – von einem Vorgesetzten gefragt wurde, ob er tatsächlich jener umstrittene Schönberg sei, will er geantwortet haben: „Einer hat es sein müssen, keiner hat es sein wollen, so habe ich mich dazu hergegeben.“ Mitten im Ersten Weltkrieg und in einem Umfeld, das von seiner Musik keinen blassen Schimmer gehabt haben dürfte, verkündete Schönberg seine Lieblingsthese: dass ihm nämlich nichts anderes übriggeblieben sei, als gerade so zu komponieren, wie er es eben tat. Die Anekdote schließt nahtlos an den Aufsatz „Probleme des Kunstunterrichts“ von 1910 an: „Kunst kommt nicht von können, sondern vom Müssen.“

Ein von der Kunst Getriebener

Die Aktualität seiner Haltung besteht erstens in der Kompromisslosigkeit gegenüber dem Publikum. Schönberg holt seine Zuhörerinnen und Zuhörer nicht ab, schielt weder auf Klickzahlen noch auf Einschaltquoten und kümmert sich nicht um neue Publikumsschichten. Alle verzweifelten Aktivitäten des heutigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die am Ende doch nur Kunst reduzieren werden, hätte er beißend kommentiert. Schönberg zog Schlüsse aus dem Komponieren seiner Vorfahren und entwickelte daraus musikalisches Neuland. Er konnte nicht anders. Er musste.

Schönberg war zweitens ein rastloser Erfinder. In beinahe jedem seiner Werke schlug er einen neuen Weg ein. Er entwickelte sich ständig und schuf immer wieder Neues: Musik, Gemälde, Theaterstücke, Möbel, Schachspiele, eine Notenschreibmaschine, einen Umsteigefahrschein für Berlin und ein Verkehrssystem für Los Angeles sowie das Programm für eine Jüdische Einheitspartei. Schönberg fürchtete keinen Transformationsprozess, sondern hinterfragte unablässig das Erreichte.

Innovator mit ­Traditions­bewusstsein

Geboren am 13. September 1874 im zweiten Wiener Gemeindebezirk, wuchs Schönberg geografisch zwischen Neuer Donau und Prater auf, musikalisch zwischen Johannes Brahms und Richard Wagner, die im Wien der Jahrhundertwende als Antipoden galten. Von diesen schaute er sich das jeweils Beste ab: von Wagner die fluide Harmonik, in der die Emanzipation der Dissonanz zu keimen beginnt, von Brahms die motivische Arbeit, die Verwandtschaften zwischen unterschiedlichen Themen begründet und auch ganze Sätze miteinander verknüpfen kann. Schon im erwähnten Ersten Streichquartett schichtete er eigenständige Melodien so übereinander, dass sie zusammenstießen und für die damaligen Ohren scharfe Dissonanzen produzierten. Noch bettete er aber die Nahtstellen der Form als eine Art Hörwegweiser in harmonisch ungetrübte Taktgruppen. Als er schließlich Dur und Moll hinter sich ließ – im Zweiten Streichquartett op. 10 (1908), in dem das Volkslied „Oh, du lieber Augustin, alles ist hin“ anklingt, worauf eine Sängerin „Luft von anderen Planeten“ verheißt –, warf man ihm vor, er komponiere „atonal“. Schönberg konterte in seinem Lehrbuch, der „Harmonielehre“: „Ich bin Musiker und habe mit Atonalem nichts zu tun. Atonal könnte bloß bezeichnen: etwas, was dem Wesen des Tons durchaus nicht entspricht.“ 

Zwischen dem Zweiten Streichquartett und den ersten zwölftönigen Werken stürmte Schönberg mit heroischem Furor voran. „Wir müssen eben mit jedem Werk anderswohin gelangen“, erklärte sein Schüler Anton Webern 1930 in seinen Vorträgen: „Jedes Werk ist etwas anderes, etwas Neues.“ Schönbergs Quartett folgt der berührende Chor „Friede auf Erden“, diesem die 15 radikalen Lieder aus Stefan Georges „Das Buch der hängenden Gärten“, dann die „Fünf Orchesterstücke“ op. 16 mit ihrem Klangreichtum, die halbstündige Oper „Erwartung“, ein Seelenseismograph ohne Themen und Motive, der „Pierrot lunaire“, der das Publikum besonders aufbrachte wegen der exaltierten Sprechstimme, und vieles mehr. 

Dann verstummte er. Schönberg hatte einen Kreis von Schülern um sich geschart – Alban Berg, Anton Webern, Hanns Eisler, Roberto Gerhard und viele, viele andere –, die sich zu ausgezeichneten Komponisten entwickelten, auch wenn er ihnen nicht „sein“ Komponieren beibrachte. Oder gerade deswegen. Er studierte mit ihnen lieber Bach und Beethoven und lehrte sie zu Müssen. Währenddessen schrieb er an einem erratischen Oratorium „Die Jakobsleiter“, das dann aber doch nicht fertig wurde – trotz wiederholter Bemühungen bis zuletzt.

In die Quere kam der „Jakobsleiter“ vor allem, dass Schönberg während der Arbeit an ihr die Grundlagen der Zwölftonmethode entwickelte. 1921 teilte er bei einem Spaziergang seinem Schüler Josef Rufer mit: „Ich habe eine Entdeckung gemacht, durch welche die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre gesichert ist.“ Man hat ihm diese Bemerkung zu Recht übelgenommen. Später wiegelte er ab: Die Zwölftonmethode sei „eine reine Familienangelegenheit“. Ja, was denn nun?

Nicht das „wie“ entscheidet

Schönberg suchte nach einem Regelwerk, das die Abfolge der Töne der Willkür enthob. Nachdem die Funktionsharmonik ihre musikhistorische Schuldigkeit getan hatte, ersetzte er ihre Anziehungskraft durch die Gravitationslosigkeit der Zwölftonreihe: eine vom Komponisten zu bestimmende Ordnung der zwölf Töne, die festlegte, dass sich kein Ton wiederhole, bevor nicht die übrigen elf dran waren. Es ist hier nicht der Raum, die (im Übrigen überschaubaren) Details der Zwölftonmethode auszuführen. Doch muss festgehalten werden: Die Zwölftonmethode legt allein das Baumaterial fest. Es regelt, wie die Steine beim musikalischen Hausbau verlegt werden müssen, nicht aber, wie dieses Haus auszusehen hat, wo die Fenster sind, ob es Erker, Balkon, Stuck oder ein Flachdach gibt. Die Analyse von Zwölftonreihen fand Schönberg entbehrlich. An seinen ehemaligen Schüler, den Geiger Rudolf Kolisch, schrieb er: „Ich kann nicht oft genug davor warnen, diese Analysen zu überschätzen, da sie ja doch nur zu dem führen, was ich immer bekämpft habe: zur Erkenntnis, wie es gemacht ist; während ich immer erkennen geholfen habe: was es ist! Ich habe das dem Wiesengrund [Adorno] schon wiederholt begreiflich zu machen versucht und auch dem Berg und dem Webern. Aber die glauben mir das nicht.“

Die ersten Zwölftonkompositionen – etwa das Bläserquintett op. 26 (1924), die Suite op. 29 (1926) und das Dritte Streichquartett op. 30 (1927) – gelten als spröde. Das sind sie nur dann, wenn mangels Probenzeit nicht sorgfältig genug an der Phrasierung gearbeitet wurde. Am besten aber gerieten Schönberg seine Orchestervariationen op. 31 (1928). Bevor noch das Zwölftonthema einsetzt, hat er die Hörer schon durch eine betörende Klangwelt auf seine Seite gebracht. Und dass am Ende das B-A-C-H-Thema in den Vordergrund rückt, steht der peniblen Beachtung der Reihen-Folge nicht im Wege.

Schönberg war kein angenehmer Mensch. (Aber welcher Komponist war das schon? Außer vielleicht Haydn und Mendelssohn.) Er war rechthaberisch und nachtragend. Nachdem Eisler einmal seine Zweifel an der Zwölftonmethode geäußert hatte und Schönberg davon Wind bekam, sprach er mit ihm lange Jahre kein Wort mehr. Seine geistige Urheberschaft an der Zwölftonmethode verteidigte er erbittert, bis hin zur unsäglichen Kontroverse mit Thomas Mann, den er mit Briefen bombardierte, weil dieser es gewagt hatte, den fiktiven Adrian Leverkühn in „Doktor Faustus“ zum Zwölfton-Komponisten zu machen. (Zugegeben: Die Nachbarschaft von Bordellbesuch, Syphillis und Zwölftönigkeit ist böse.) Schönberg raunzte: „Leverkühn ist einer von diesen Amateuren, die glauben, das Komponieren mit zwölf Tönen bedeute nichts weiter als die fortgesetzte Anwendung der Grundreihe oder ihrer Umkehrungen.“

Das Nahen des Faschismus sah Schönberg, jüdischen Ursprungs, aber 1898 getauft, mit großer Klarheit – spätestens, als man ihm 1921 im Urlaub am Mattsee im Salzkammergut bedeutete, dass Juden hier unerwünscht seien. Nach der Machtübernahme 1933 – Schönberg war 1925 als Nachfolger von Ferrucio Busoni zum Kompositionsprofessor an die Preußische Akademie der Künste in Berlin berufen worden – proklamierte der Präsident Max von Schillings ein judenfreies Kollegium, worauf Schönberg ohne zu zögern nach Paris emigrierte, zum jüdischen Glauben zurückkehrte und seine Ausreise in die USA vorbereitete. Einige seiner Werke behandeln religiöse Themen, nicht nur die erwähnte „Jakobsleiter“ und viele Lieder und Chöre, sondern auch die unvollendete Oper „Moses und Aron“ (1937), das „Kol Nidre“ (1938) und in gewisser Weise auch „Ein Überlebender aus Warschau“ (1947), ein Höhepunkt seines Schaffens. Die Spannung zwischen Wort und Tat, die Kraft des Gebetes – Schönberg beschäftigte sich damit ein Leben lang. Und dass er in seinen letzten Lebensjahren wieder Dur- und Mollakkorde schrieb – Schönberg starb 1951 in Los Angeles –, bedeutet keine Abkehr von der Zwölftonmethode, sondern spiegelt nur, dass es ihm darum ging, einen musikalischen Gedanken auszudrücken, nicht eine Methode zu propagieren.

Dreh- und Angelpunkt­ Schönberg

Arnold Schönberg übte eine enorme Wirkung auf die Musikgeschichte aus. Die Komponisten des 20. Jahrhunderts arbeiteten sich an ihm ab wie die des Neunzehnten an Beethoven, und Legionen von Wissenschaftlern und His­torikern haben sein Leben und Schaffen dokumentiert, analysiert, kartiert. Keiner wurde so genau erforscht wie er. Im fantastischen Arnold Schönberg Center in Wien kann man sich davon ein Bild machen, persönlich oder digital

Schönberg revolutionierte die Musik, ohne jemals seine Wurzeln in der Tradition herauszureißen. Dass diese Wurzeln Blüten austrieben, die noch nie jemand zuvor gesehen – Verzeihung: gehört – hatte, spricht nicht gegen die Wurzeln. 1931 schrieb er: „Ich bin nicht stehengeblieben bei dem, was ich gesehen habe: Ich habe es erworben, um es zu besitzen; ich habe es verarbeitet und erweitert, und es hat mich zu Neuem geführt.“ 

Der Konservatismus könnte hierin einen Ausweg sehen aus der sentimentalen Sehnsucht nach früheren, vermeintlich besseren Zeiten: Auch wer fest an die Qualität der Tradition glaubt, kann Neues entwickeln. Selbst die Überforderung des Publikums, die man Schönberg vorwerfen mag – die befremdeten Zuhörer waren natürlich nicht durch den Verweis zu besänftigen, dies alles sei schon bei Brahms und Wagner angelegt –, ist so ungerechtfertigt nicht. Heute schlägt das Pendel zur anderen Seite aus: Nichts darf kompliziert sein, nichts darf fordern. Schönberg zu hören, kann daran erinnern, dass Kunst anstrengend ist, ja sein muss. Der Mittelweg, sagt Schönberg, ist der Einzige, der nicht nach Rom führt.

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