Eigentlich wollte er Dirigent werden, irgendwo an einem schönen Opernhaus. Denn mit der Oper ist Ansgar Beste groß geworden, hat in seiner Kindheit und Jugend jede Menge Inszenierungen erlebt. „Meine Eltern, die damals im Sauerland wohnten, haben mich immer mitgenommen, wenn sie in die Opernhäuser nach Dortmund, Gelsenkirchen, Essen, Hagen oder nach Wuppertal gefahren sind. Mozart, Verdi, Puccini – das hat mich jedes Mal sehr berührt.“
Und dies war vielleicht auch der Grund, dass Beste sich anfangs gar nicht so sehr für das interessierte, was man „absolute Musik“ nennt. Die war sozusagen erst später „dran“, als er 2002 in Weimar sein Kapellmeisterstudium begann. „Da machte sich so ein innerer Wandel bemerkbar“, erinnert sich Beste. In Weimar nämlich begann er die „große“ Musik genauer zu analysieren. Die Sinfonien von Brahms und Beethoven etwa. „Ich habe entdeckt, wie unglaublich diese Musik ist, wie formvollendet, wie in sich stimmig.“
Das sind Kriterien, die Ansgar Beste im Grunde auch an seine eigenen Werke anlegt und die er zu erfüllen versucht. Vielleicht passt der Begriff „Werkgedanke“, um seine Intention auf den Punkt zu bringen, all seinen Stücken eine je eigene innermusikalische Schlüssigkeit zu geben. Beste nennt Beispiele und (für ihn) Vorbilder aus dem Musiktheater des 20. Jahrhunderts: Bergs „Wozzeck“, Zimmermanns „Die Soldaten“ und Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. In diesen Opern sei die unmittelbare Verzahnung von Text und Musik, von tragischer, schicksalshafter Bühnenhandlung und musikalischem Geschehen perfekt gelungen und gleichzeitig die Musik für sich genommen als „absolute Musik“ in sich schlüssig und auf der Höhe ihrer jeweiligen Zeit. Dieses Ideal von Stimmigkeit verfolgt der 1981 in Malmö geborene Ansgar Beste quasi als Maxime seiner kompositorischen Arbeit.
Seine persönliche Einstellung beim Schreiben neuer Musik: sich nicht fesseln lassen von Konventionen oder durch von außen herangetragene Vorgaben, einfach frei und kreativ Dinge tun, „Dinge, auf die ich aktuell gerade Lust habe und die mich interessieren“, so Beste. Das klingt gewagt – und auch irgendwie kompromisslos, wenn man mal an potenzielle Auftraggeber denkt. Doch scheint Beste mit seinen Aufträgen bislang immer Glück gehabt zu haben, konnte schreiben, was gerade im Augenblick für ihn persönlich „dran“ und nach Fertigstellung im Konzert zu erleben war.
Noch einmal zurück zu den Großen wie Beethoven oder Brahms. Die hätten gegen ein durchaus enges Korsett ihrer Zeit anzukämpfen gehabt. In der Neuen Musik sei das etwas anders, da gäbe es etwa seit den 1970er Jahren so ein enges Korsett nicht mehr, konstatiert Beste – mit der daraus resultierenden Notwendigkeit für den Komponisten, einen eigenen Rahmen abzustecken, um nicht die Orientierung zu verlieren.
Ansgar Bestes Rahmen: rein akustische (nicht-elektronische) Klänge auf konventionellen Musikinstrumenten. Dort versucht er, Innovatives zu entdecken.
Auch so ein wichtiger Begriff für Beste: Innovatives! Denn im Grunde will er mit seiner Musik nichts weniger als... neue Klänge finden! Den wohlvertrauten Instrumentalklang verfremden, mit besonderer Vorliebe für komplexe Klänge und Geräuschelemente.
Das tut er schon seit geraumer Zeit, indem er die verwendeten Instrumente präpariert. Sicher keine Aufsehen erregende innovative Idee – man denke nur an John Cage! Aber Ansgar Beste betreibt dieses Präparieren mit äußerster Konsequenz, an jedem Instrument, mit neuen Entdeckungen, jüngst in dem Auftragswerk „Nouveau-né“ (2015-16), im Februar 2016 beim KlangZeitFestival in Münster uraufgeführt, an dem nicht weniger als 15 Instrumentalisten beteiligt sind. Und jedes Instrument bekam individuell ausgetüftelte neue Klangvaleurs. Indem der Trommel eine Alufolie aufgelegt oder ein Kunststofflineal an den Rand geklemmt wurde. Oder das Fagott eine schnarrende Karnevals-Tröte verpasst bekam. Beste hat immer ein ganzes Arsenal an Dübeln, Stricknadeln, Luftballons, eben auch Alufolie, Lineale und Tröten mit dabei, wenn es um die Erarbeitung seiner Kompositionen geht.
„Das heißt natürlich auch: ich muss jedes Instrument gut kennen! Deshalb habe ich sehr viele bei mir zu Hause, um die Präparationen ausprobieren und neue Spieltechniken entwickeln zu können – sogar eine kleine Tuba!“ Die brauchte er bei seiner letzten Neuschöpfung, „Le carnaval des animaux“ für präpariertes Blechbläserquintett (2016).
Im schwedischen Piteå stieg er 2015 sogar höchstpersönlich ins Innere der Riesen-Orgel im „Studio Acusticum“, einem der interessantesten Orgel-Neubauten in Skandinavien der letzten zwanzig, dreißig Jahre – entstanden in der Werkstatt des Marburger Orgelbauers Gerald Woehl. Denn auch Orgelpfeifen, wiewohl gefertigt um ihr Leben lang nichts anderes als einen einzigen Ton von sich zu geben, kann man präparieren. „Dialogues Tremblants“ nannte Beste dieses wie eine Improvisation angelegte Experiment, das er diesen Herbst auskomponieren wird.
„Ich denke, ich verfolge mit dem Präparieren im Kern zwei übergeordnete Ziele: zum einen, dem Hörer starke ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, so wie ich sie einst selber bei der Begegnung mit dem präparierten Klavier des John Cage und mit der Musik Helmut Lachenmanns gemacht habe. Ich möchte mit der Erwartungshaltung, Wahrnehmung, Erfahrung und dem Verstehen der Zuhörenden spielen.
Zum anderen ist mir der Begriff des ‚Personalstils’ wichtig. Neuartige Klänge, eine sehr persönliche, individuelle, einzigartige Klangsprache will ich finden statt die hundertste Kopie von Berg, Berio oder Boulez abzuliefern. Ich habe tatsächlich schon des Öfteren die enthusiastische Publikumsreaktion gehört: ’Wow! Solch ein Stück habe ich noch nie gehört!’ Dann hat's funktioniert...”
Was braucht ein junger Komponist, der bislang „nur“ die ersten Etappen seines eigenen Wegs gegangen ist, der noch auf der Suche nach der wirklich eigenen Sprache ist, an seiner Grammatik schreibt? Kritische Begleitung und Anerkennung! Darüber kann Ansgar Beste sich nicht beklagen. Jedenfalls hatte er sehr unterschiedliche Lehrer, die ihn gefördert haben, durchaus in konstruktivem Dialog miteinander. Das waren Michael Obst in Weimar, Luca Francesconi in Malmö sowie Adriana Hölszky in Salzburg, Wolfgang Rihm in Karlsruhe, Hanspeter Kyburz in Berlin und Beat Furrer in Graz.
Anerkennung erfährt ein junger Komponist dann auch durch verliehene Preise. Zwei sind Ansgar Beste besonders wichtig: der 1. Preis für sein „Rituel Bizarre“ für präpariertes Streichorchester (2008-10) beim 55. Kompositionswettbewerb der Landeshauptstadt Stuttgart. Das war im Jahr 2010. „Und das war für mein Gefühl meine erste richtige Komposition“, urteilt der Komponist. Fünf Jahre und etliche weitere Preise später, im Februar 2015, ist er dann Gewinner des hochdotierten Wettbewerbs der Stiftung Christoph Delz. Das preisgekrönte Werk „In the steppes of Sápmi“ für – natürlich – präparierten Chor a cappella (2014-15), wurde im Rahmen des Lucerne Festivals im September 2015 vom SWR Vokalensemble Stuttgart unter der Leitung von Marcus Creed uraufgeführt.
Danach gefragt, was ihn aktuell besonders reizt, bleibt Ansgar Beste sich treu: zu machen, woran er gerade das meiste Interesse und die größte Neugier hat. Mal eine Oper schreiben? „Ja klar, das ist bei mir hoch angesiedelt.“ Aber er will warten, bis er „sein Handwerk im Griff hat“. Denn noch könne er nicht behaupten, er beherrsche es bereits. Dafür sei sein Feld, das er beackere, zu experimentell und zu viel Neuland!