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Überlebensgroße Skulptur im Naturschutzgebiet: das Teatro de Trancoso. Foto: Gero Schließ
Überlebensgroße Skulptur im Naturschutzgebiet: das Teatro de Trancoso. Foto: Gero Schließ
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Feierliche Eröffnung in Soutane und Flip-Flops

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Das neue Festspielhaus im brasilianischen Trancoso steht auch der musikalischen Basisarbeit offen
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„Das ist eine phantastische Geschichte”, freut sich Carlo Lovatelli. Der erfolgreiche Geschäftsmann aus São Paulo zeigt ansonsten wenig Emotionen. Doch für ihn und seine Frau Sabine ist jetzt ein Traum wahr geworden: ein Festspielhaus in einer der schönsten Landschaften Brasiliens, nicht weit entfernt vom malerischen Strand, an dem einst die Portugiesen landeten und Brasilien entdeckten.

Zwischen Loch vier und fünf des Golfplatzes von Trancoso im nördlichen Bundesland Bahia ragt wie eine überlebensgroße Skulptur das graue Mauerwerk des „Teatro“ in den blauen Himmel. Der luxemburgische Stararchitekt François Valentiny hat es entworfen. Von der Idee bis zur Fertigstellung hat es nur rekordverdächtige zwei Jahre gebraucht. So unkonventionell wie diese Erfolgsgeschichte gestaltet sich jetzt auch die Einweihung durch den örtlichen Bischof: Die geistlichen Herren sprechen ihren Segen in tiefschwarzer Soutane, die Freunde und Förderer des millionenschweren Großprojektes sind gemäß brasilianischem Lebensgefühl in Flip-Flops und kurzen Hosen erschienen.

Die Idee für ein Festspielhaus hatten Sabine Lovatelli und ihr Mann Carlo mit einigen Freunden geboren, die wie sie in Trancoso luxuriöse Urlaubsdomizile besitzen. Lovatelli ist gebürtige Deutsche und lebt seit mehr als vierzig Jahren in Brasilien. Sie ist gut vernetzt in der Musikwelt und leitet seit vielen Jahren das Mozarteum Brasileiro in São Paulo, das Konzertreihen mit Künstlern und Orchestern aus aller Welt veranstaltet.

Zur Eröffnung des Theaters holte sie Ensembles der Berliner und Wiener Philharmoniker nach Trancoso, dazu das Jugendorchester aus São Paulo. Von Beethoven über Lehár bis Verdi spielen sie viele mitreißende „Hits“ der europäischen Klassik – sicherlich auch ein Zugeständnis an viele im Publikum, für die der Konzertbesuch die erste Begegnung mit klassischer Musik bedeutet. Doch Konzerte sind nicht alles: „Wir wollen hier nicht nur die besten Künstler präsentieren“, sagt Lovatelli im Gespräch, „sondern dieses Theater soll auch ein Ausbildungsort für brasilianische Nachwuchsmusiker sein. Wir wollen ihre Ausbildung so gut es geht unterstützen.“

Und so gibt es bei dem ebenso schlicht wie wirkungsvoll benannten Festival „Música em Trancoso“ nicht nur acht Konzerte von Klassik bis Bossa Nova, sondern auch Workshops der „Berliner“ und „Wiener“ für brasilianische Musikstudenten, die in dem eigens dafür geschaffenen Trakt mit Probenräumen stattfinden. Walter Küssner, Bratischist bei den Berliner Philharmonikern, hat schon in den beiden letzten Jahren Unterricht gegeben, als es zwar schon das Festival, aber noch nicht das fertige Theater gab. Er lobt den Fleiß der brasilianischen Studenten, schraubt aber hohe Erwartungen gleich zurück: „Es geht hier nicht um die Förderung von Spitzenleistungen, sondern schlicht um Basisarbeit. Wie halte ich die Bratsche, wie bewegt man den Bogenarm. Das sind die Fragen, die zunächst geklärt werden.“  Eigentlich, so Küssner, könnten so etwas erprobte Musikschullehrer sogar besser vermitteln als er und seine Orchesterkollegen.

Den 18-jährigen Lucas Bernardo, Konzertmeister des Jugendorchesters aus São Paulo, hat der Unterricht beflügelt: „Sie spielen auf sehr hohem Niveau, das bringt sehr viel Motivation und Inspiration“, erzählt er. Lucas hofft, dass auch andere aus seinem Orchester die Chance zu einer solchen Meisterklasse bekommen. Er hat sich fest vorgenommen, das Gelernte an andere im Orchester weiterzuvermitteln. Den gemeinsamen Auftritt mit den Profis aus Berlin bei Brahms’ Klarinettenquintett meistert er bravourös. Ein Konzerthaus innerhalb von zwei Jahren zu planen und zu bauen, ist nicht eben selbstverständlich. François Valentiny hat seine eigenen Erfahrungen damit. Der Schöpfer des luxemburgischen Pavillons auf der Weltausstellung in Shanghai und des „Haus für Mozart“ in Salzburg war in Bonn in der Endausscheidung für ein neues Festspielhaus, das die heruntergekommene Beethovenhalle ersetzen und der Beethovenstadt Bonn eine glanzvolle Zukunft bescheren sollte. Doch daraus ist angesichts zahlreicher Bürgerproteste und städtischem Missmanagements nichts geworden.

Einfach war es in Trancoso auch nicht. Das Festspielhaus steht in einem Naturschutzgebiet. Stadt und Land Bahia mussten überzeugt werden und bestanden auf strengen Umweltauflagen. Und die Fertigstellung wird für Valentiny zu einem nervenaufreibenden Wettlauf mit der Zeit. Der Spritzbeton an den Wänden ist noch feucht, und mehrfach wird in den nächsten Tagen während der Konzerte geräuschvoll ein Wasserrohr platzen. Valentiny hat darauf geachtet, dass sein Theater „in die Landschaft passt“. Eigentlich sind es ja sogar zwei Konzertsäle für jeweils 1.100 Zuhörer: ein Freilufttheater mit einem atemberaubenden Blick in die Umgebung und den nächtlichen Sternenhimmel, und darunter eine Konzerthalle, die an den Seiten offen ist und natürlich belüftet wird.

Der Architekt ist stolz, dass er so auf eine stromfressende Kunstbelüftung verzichten konnte. Manch kapitale Baufehler musste er – soweit noch möglich – berichtigen. Sie geschahen meist, wenn er einmal nicht vor Ort war.
Valentiny hat sich darauf eingestellt, dass Bauleute und -firmen hier nicht auf europäischem Niveau arbeiten. Nicht von ungefähr wählte der Architekt als Baustoff Spritzbeton, der relativ einfach zu handhaben ist. Und, so Valentiny, damit ließen sich auch seine Vorstellungen von einer ausdrucksstarken, skulpturalen Formensprache gut verwirklichen. Mit verbleibenden Unvollkommenheiten könne er gut leben, sagt er und kritisiert postwendend „die komplette Sucht der Perfektheit“ in Europa.

Valentiny ist genauso wie die Lovatellis und ihre Freunde mit Herz und Seele bei dem Projekt. Er arbeitet ohne Honorar und sagt immer wieder, dass nur die „spezielle Situation“ der Freunde in Trancoso diese Herkulestat ermöglicht habe. Damit ist auch Reinold Geiger gemeint, der Chef der Firma L’Occitane, der am Strand von Trancoso eine Traumvilla bewohnt. Er hat aus seiner Privatschatulle mehr als neun Millionen Euro auf den Tisch gelegt und die Finanzierung fast im Alleingang gesichert. Irgendeinen „finanziellen Return“ erwarte er nicht, sagt er schmunzelnd im Gespräch. Aber er liebt Land und Leute und außerdem laufe die Firma gerade „ganz gut“.  

Die Menschen wissen es zu schätzen, feiern Geiger und seine Freunde bei fast jedem der acht Konzerte. Die Leute nehmen das Kulturangebot an. Bei jedem der – eintrittsfreien – Konzerte sind die Ränge voll besetzt. Angesichts der hohen Armutsrate unter den mehr als 20.000 Einwohnern Trancosos sieht der Geschäftsmann Fábio Grobério, Präsident der „Vereinigung der Freunde von Trancoso“, in dem Theaterprojekt eine „nachhaltige“ Zukunftsinvestition. „Das ist eine Möglichkeit, den Menschen hier mehr Bildung und Lebensqualität zu verschaffen.“ Die beiden Säle und die Probenräume ließen sich problemlos auch als Schulhaus, Versammlungsort oder Kongresszentrum nutzen.

Doch noch existiert nur die Idee dazu. Dafür gibt es noch eine Reihe ungelöster Probleme. Die Akustik zum Beispiel ist noch nicht optimal. Und an einem der Konzertabende wird ein Bus von Bewaffneten angehalten und der Fahrer ausgeraubt. Die Sicherheit ist ein „Hauptproblem“ in Bahia, sagt Fabio Grobério, und das wissen auch die Veranstalter. Aber bisher war es ruhig hier.

Doch der guten Stimmung tut der Vorfall scheinbar keinen Abbruch. Als beim Konzert der Ensembles aus Wien und Berlin im Teatro die Tritsch- Tratsch-Polka erklingt, fühlt man sich am Ende fast wie im Wiener Musikvereinssaal: So enthusiastisch klatschen die Brasilianer mit und springen nach dem Schlussakkord zum Jubel von den Kunststoffsitzen. Zwischen Loch vier und fünf kann man offensichtlich auch mit Wiener Schmäh punkten.

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