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Gegen das Jet-Set-Bewusstsein des Musikbetriebs

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Der Pianist, Komponist und Festival-Veranstalter Thomas Larcher
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Die Wichtigkeit neuer Künstler, neuer Interpreten erweist sich nicht darin, dass sie den Regelkanon des tradierten Konzertlebens in neuer Bravour abspulen, sondern darin, dass sie aus diesen Strukturen ausbrechen und ihnen von außen einen neuen Sinn geben.

Die Wichtigkeit neuer Künstler, neuer Interpreten erweist sich nicht darin, dass sie den Regelkanon des tradierten Konzertlebens in neuer Bravour abspulen, sondern darin, dass sie aus diesen Strukturen ausbrechen und ihnen von außen einen neuen Sinn geben.Der 1963 in Innsbruck geborene Pianist, Komponist und Festival-Organisator Thomas Larcher gehört dazu („sein“ Festival sind die ausgesprochen erfolgreichen „Klangspuren Schwaz“, die heuer vom 7. bis 21. September mit den Schwerpunkten Großbritannien, Olga Neuwirth und Arnold Schönberg stattfinden). Vier Klavierkonzerte bringt Larcher allein in diesem Jahr zur Uraufführung (von Demetz, Jarrell, Neuwirth und Mitterer). Seine Klavierabende sind Exegesen des besonderen Geschmacks, sie tun dem Publikum Ehre an, indem sie es aufs Äußerste fordern, ohne es zu erschlagen oder durch technische Bravour zu übertölpeln. Ab Herbst 2001 wird Larcher, der Klavier und Komposition in Wien bei Heinz Medjimorec, Elisabeth Leonskaja und Erich Urbanner studierte, eine Professur an der Musikhochschule Basel antreten.

Wie geht es einem mit so einer Dreifachbelastung? Larcher sieht das ganz pragmatisch. „Als Pianist habe ich durchaus am meisten zu tun. Was das Festival in Schwaz betrifft, kann ich gottseidank vieles an kompetente Mitarbeiter delegieren. Zum Komponieren komme ich in den verbleibenden Lücken, und das ist für mich ein Rückzug ins eigene Ich. Ich mag mich nicht in den heute üblichen Komponierbetrieb mit ständigem Termindruck stürzen. Die meisten Komponis- ten sind für mich heute nicht frei. Ich verstehe mein Komponieren als beständiges Erforschen. Das geht von tonal bis zu ganz experimentellen Dingen. Zum Beispiel versuche ich, Techno- oder Sampling-Erfahrungen wieder zurück auf ein natürliches Instrument, das Klavier zu verlagern. Rhythmische Impulsivität spielt für mich fast immer eine große Rolle. Aber ich habe es von meinem Komponierverständnis her nicht nötig, einen stilistischen Ansatz über mehrere Arbeiten auszuwälzen. Die kompositorischen Sichtweisen, die verwendeten Stilmittel wechseln fast von Werk zu Werk.“

Vier Klavierkonzerte als Uraufführungen in einem Jahr – welcher Pianist sonst kann so etwas vorweisen? Zugleich aber erhebt sich die Frage nach der Gattung des Klavierkonzerts. Ist es nicht immer wieder ein Relikt, das die Schwelle seiner Ausreizung längst hinter sich hat? Larcher sieht das ähnlich; aber dennoch: „Sowohl das große Orchester als auch das Klavier sind Relikte des 19. Jahrhunderts: das Orchester als hierarchischer Apparat, das Klavier als Instrument des sich emanzipierenden Bürgertums. Beide sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausdefiniert. Die progressive Musikentwicklung entfernte sich danach von diesen Haltungen. Elektronische Ansätze sind heute entschieden richtungsweisender. Aber es ergibt sich ein neuer Aspekt: das Spiel mit den ehemaligen Rollenverteilungen, der wichtige Einzelne und die Masse. Wie reagieren Komponisten heute mit dieser Vorgabe? Es ergeben sich ganz neue Korrelationen, denn jeder Komponist der vier Klavierkonzerte in diesem Jahr hat eine große Hürde zu nehmen, eine innere Sperre zu überwinden. In jedem Konzert wird das Verhältnis von Individuum und Kollektiv zum bestimmenden Problem, und jeder Komponist fand für sich ganz unterschiedliche Lösungswege.“

Wer ein Konzert Thomas Larchers verfolgt, wird unmittelbar von seiner intelligenten Sensibilität beeindruckt sein. Da ist nicht jemand, der mit Äußerlichkeiten imponiert, da ist einer, der sich mit Behutsamkeit, mit dem Esprit der Überzeugungskraft der Musik widmet. Und immer tritt beim Publikum ein Erkenntniszuwachs hinzu. „Ich verstehe meine Klavierabende in der Regel so, dass sie Dinge bewegen, die im Publikum mitverfolgbar sind. Ein heute übliches Konzert, sagen wir eine Haydn-Sonate, dann op. 111 von Beethoven und nach der Pause dann vielleicht die Liszt-Sonate, solche elementaren Welten lassen sich im Grunde nicht vom Publikum verkraften. Das Zuhören wird umgelenkt, zum Beispiel hin auf die Bewunderung des Pianisten. Ich möchte, dass mein Publikum Atem dafür bekommt, auch die Freiheit des Atmens. Ich habe mehrmals ein Konzert gegeben, in dem Schubert mit Schönbergs op. 11 konfrontiert wurde. Die drei kom- plexen Stücke von Schönberg wurden aufgeteilt und immer wieder von Schubert unterbrochen. Ausgangspunkt der Idee war der Satz Eduard Steuermanns, dass man den ersten Satz von op. 11 so spielen müsse wie ein Impromptus von Schubert. In solchen Formen, die das Hören fokussieren, sehe ich heute eine Chance von Klavierabenden. Denn eines kann das Klavier, es kann einen künstlichen Raum der Zeitgleichheit herstellen. Musik von Bach bis zu Stockhausen können gut nebeneinander existieren. Das muss sinnfällig erlebbar sein.“

So möchte er weiterarbeiten, aber dennoch wird sich für Larcher mit der Professur in Basel einiges ändern. „Ich befinde mich derzeit in einer Umbruchphase. In Zukunft möchte ich mich noch mehr auf spezifische Projekte konzentrieren. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich solche Ansätze oft mit Aufnahmen verbinden kann (insbesondere beim Label ECM). Für mich sind CD-Produktionen ein weiteres ganz eigenes und auch besonders wichtiges Medium, man kann dieses Tun nicht mit dem Spielen von Konzerten vergleichen. Herumreisen habe ich ohnehin schon immer gehasst. Für mich herrscht im Musikbetrieb viel zu sehr ein Jet-Bewusstsein. Nicht nur die Interpreten jetten ständig von hier nach da, auch ihr Umgang mit der Literatur gleicht oft diesem Herumjetten. Vieles geht dabei verloren, vor allem die Konzentration auf die Substanz.“ Und das Komponieren? „Eigentlich hadere ich mit der romatischen Rolle des Pianisten-Komponisten. Da will ich neue Wege finden. Zum Beispiel ist das Verhältnis des Spielens zum Komponieren immer wieder befruchtend. Da herrscht ein stets erneuertes Wechselverhältnis. Der Gedanke an die ewige Gültigkeit des Musikwerks tritt dabei in den Hintergrund. Aber für mich ist das ohnehin ein hypertropher Anspruch.“

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