Hauptbild
Posaunenmensch: Vinko Globokar. Foto: Charlotte Oswald
Posaunenmensch: Vinko Globokar. Foto: Charlotte Oswald
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Gegen Mauern anspielen

Untertitel
Der Komponist und Posaunist Vinko Globokar wird 80
Publikationsdatum
Body

Ein Musiker mit nacktem Oberkörper sitzt am Boden vor dem Publikum und nutzt Körper, Stimme, Arme und Hände für eine avantgardistische Bodypercussion („Corporel“, 1984). Ein Posaunist schraubt sein Instrument auseinander, macht es vor den Augen der Zuhörer spielunfähig und erzeugt mit den einzelnen Bestandteilen eine Art musique concrète – ein Monodram eines gegen Verfall und Tod vergeblich anübenden Instrumentalisten („Der Atem“, Mauricio Kagel für Vinko Globokar, 1970).

Ein Tubist und ein Posaunist sitzen Rücken an Rücken, ihre Instrumente sind mit Schläuchen verbunden, so dass der Atem des einen das Instrument des anderen anspielen kann („Vases communicants“, 1990). Ein Konzertchor agiert wie ein Bühnenchor in einer Stimmung zwischen Folklore und Politdemo und wird von einem harlekinartigen Trommler durcheinandergewirbelt („Radiographie d‘un roman“, Donaueschingen 2010). Ein Bläser- und Perkussionsensemble taucht Schalltrichter, Mundstücke und Schlagwerk in Wasserbecken. Das Publikum spaziert um das Geschehen herum und ist Teil der Performance („Laboratorium“, 2013). Fünf Bilder, fünf Szenen zeitgenössischen Musiktheaters, ein „Verursacher“: der  Komponist und Posaunist Vinko Globokar, der am 7. Juli 2014 seinen achtzigsten Geburtstag begeht.

Nach einem Posaunenstudium am Pariser Konservatorium tauchte Vinko Globokar Mitte der Sechzigerjahre beinahe unvermittelt als Komponist in der sich damals rasant entwickelnden Szene des experimentellen Musiktheaters auf. Sein Erstlings-Werk „Voie“, das der 32-jährige Posaunen-Virtuose 1966 vorlegte, trägt bereits alle charakteristischen Merkmale seiner späteren Arbeiten. Die eigenwillige Verschmelzung von Spielen, Sprechen und Singen ist avantgardistisch und archaisch zugleich. „Spielen als ob man reden würde“, das ist der Gegenstand der sieben Reden („Discours“ 1–7) für verschiedene Besetzungen, die Globokar seit 1967 in Folge bis in die 80er-Jahre komponiert hat, und dieser Diskurs zieht sich durch sein gesamtes Schaffen, das alle Gattungen vom Musiktheater über Orchesterwerke und Kammermusik bis hin zu Solostücken für beinahe alle Instrumente umfasst. 

Vinko Globokar wurde am 7. Juli 1934 in Anderny (Frankreich) geboren. Vom 13. bis zum 21. Lebensjahr lebte er in Ljubljana (Slowenien), wo er zunächst als Posaunist in der Big Band des Slowenischen Rundfunks Ende der 50er-Jahre auf sich aufmerksam machte. Damals bestand das Repertoire der Radio-Big-Band aus Kompositionen und Arrangements von Bojan Adamic und anderen jugoslawischen Arrangeuren – aber im Zentrum stand die amerikanische Musik der Orchester von Stan Kenton, Duke Ellington, Count Basie und Woody Herman. 1955 erhielt Globokar ein Stipendium, um in Paris für vier Monate am Conservatoire National Supérieur Posaune zu studieren. In den dann noch folgenden vier Jahren am Conservatoire war er Mitglied verschiedener Jazz-Orchester; das wichtigste darunter war das von Michel Legrand. Der Lead-Posaunist in diesem Orchester war Nat Peck, der während der Jahre des Zweiten Weltkriegs mit Glenn Miller gespielt hatte. „An seiner Seite“, erinnert sich Globokar, „ lernte ich fast so viel wie am Conservatoire. In dieser Zeit begann ich auch meine Kompositionsstudien bei René Leibowitz, lernte Kontrapunkt bei André Hodeir und schrieb meine ersten Arrangements. 1964 ging ich nach Berlin, um bei Luciano Berio Komposition zu studieren. Damit endete für mich eine Zeit, die des Jazz, von der ich damals glaubte, dass sie ewig dauern würde.“

Mein Körper ist eine Posaune

Vinko Globokar ist der Vater vieler Dinge in der Gegenwartsmusik. Der derzeitige Boom des Musiktheaters auf den Festivals der Neuen Musik wäre ohne ihn schlicht nicht denkbar. Als Komponist agiert er polystilistisch, dabei nie eklektisch, sondern immer als „Original-Erfinder“. Seine Mittel scheinen unerschöpflich: Reihentechnik, Modales, rhythmisch Archaisches, gar Pop-artiges; auch avancierter Sprechgesang, Geräusche, konkrete und beinahe immer performative Musik, die keine Guckkastenbühne braucht, sondern das Drama bereits in ihrer Machart trägt. Globokars Stilpluralismus ist längst ein wahrer Steinbruch für die Postmoderne geworden.

„Ich will“, sagte der Komponist, „keine Musik schreiben, die nicht von außen, von gesellschaftlicher Beobachtung angestoßen ist.“ Jedes Stück verlangt daher gewissermaßen sein eigenes Formgesetz, egal, ob es ein Stück für Soloperkussion ist wie „Corporel“, eine Musik für Solobläser wie „Respirex“, engagiertes Musiktheater wie „L’armonia drammatica“ oder ein politisch motiviertes Orchesterwerk wie „Engel der Geschichte“ (Donaueschingen, 2000). Letzteres ist Globokars beklemmendes Bild des zerstörten Jugoslawien, eine dichte Raumkomposition für zwei strikt voneinander getrennte Orchester, die von der Unmöglichkeit  handelt, trotz gleichen musikalischen wie kulturellen Vokabulars human miteinander zu kommunizieren – kurz gesagt von Politik.

Eine „verbitterte Partitur“ nannte Reinhard Schulz die Anti-Komposition mit den Satzfolgen „Zerfall“, „Mars“ und „Hoffnung“ in seiner Kritik über die Donaueschinger Uraufführung. Und: „Solche Konkretionen sind wichtige Schritte, der Neuen Musik wieder eine Relevanz zu verleihen, die über das Interesse an der nackten Struktur hinausgeht.“ Globokars Musik gerät dabei nie in Gefahr, zum platten Programm zu geraten, denn statt Narration verwendet er unmittelbare musikalische Aktion – Musik wird zur Sprache. „Mein Körper ist eine Posaune geworden“, sagte Globokar einmal über sich selbst. Tatsächlich kann man über den Komponisten Vinko Globokar nicht berichten, ohne auch sein Instrument, die Posaune mitzudenken. Neben dem Oboisten Heinz Holliger galt er früher als einziger anerkannter Instrumentalsolist unter den Komponisten. Mit dem Instrument erprobt der Komponist sozusagen alles en miniature, was dann im Musiktheater, im Sinfonischen und zahllosen Werken anderer Gattungen zum Tragen kommt. Immer wieder hat er auch die Grenzen des archaischen Instruments gesprengt, neue Spieltechniken erprobt, hat hinein gesungen, gesprochen, geschrien, die Posaune in ihre Bestandteile zerlegt und diese zum Klingen gebracht.

Lebenslanges Laboratorium

1969 gründete Globokar gemeinsam mit dem Pianisten Carlos Roqué Alsina, dem Schlagzeuger Jean-Pierre Drouet und dem Klarinettisten Michel Portal das Ensemble New Phonic Art, das Maßstäbe in Jazz und Neuer Musik setzte. Es wurde mit völlig freier Improvisation experimentiert, Happenings zelebriert, provokantes Musiktheater gemacht. Die in dieser Gruppe experimentell gewonnenen Erkenntnisse setzte Globokar in dem 55 Einzelstücke umfassenden Werk „Laboratorium“ (1973/85) um. Seine besondere Leistung als Improvisator ist die Systematik, in die er das adhoc-Komponieren brachte. Der Musiker steht danach in sechs Beziehungsformen: zur Spieltechnik, zu gestischen Aktionen, zu seiner Stimme, zu fremden Materialien, zu seinen Mitspielern und zum Publikum. Improvisieren war für Globokar auch eine nie versiegende Quelle, aus der er seine Musik schöpfte. Bis Anfang der 2000er-Jahre fand man ihn noch als Solisten auf bedeutenden Freejazz-Festivals.

Wenn Globokar die Posaune in die Hand nimmt, wenn er Musik erdenkt, geht es ihm nicht allein um die Freiheit des Interpreten und Komponisten, sondern stets auch um die Freiheit der Kunst. Sein Drama aber – und auch sein Glück – liegt paradoxerweise in ein und derselben Tatsache: dass Musik im Gegensatz zu anderen Künsten, die politisch direkter wirksam sind, der Welt der Dinge am entferntesten ist. Der tiefe Wunsch Globokars, auch in der Tonkunst über Ethik, menschliches Verhalten oder über Politik zu sprechen, lässt seine Sprache Musik werden und seine Musik sprechen. „Deswegen“, so der Komponist, „versuche ich, Musik zu schreiben, die davon spricht, was ich als Mensch bin.“

„Ein Instrument spielen, als ob man redete“ heißt eine Spielanweisung in den Discours. Wo wäre die Posaune heute ohne den Posaunisten Vinko Globokar? Er war Solist zahlreicher Uraufführungen von Werken für Posaune von Luciano Berio, Mauricio Kagel, Karlheinz Stockhausen, René Leibowitz, Louis Andriessen, Toru Takemitsu, Jürg Wyttenbach und anderen. Sich selbst schrieb und schreibt der virtuose Solist bis heute seine Musik auf den Leib: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Peter Eötvös führt am 20. Februar 2015 Globokars neuestes Orchesterwerk „Exil Nr. 3“ für Orchester, Chor, Sopran, Erzähler und einen Improvisator nach einem Text von Globokar, ins Deutsche übersetzt von Peter Handke, erstmals auf. Als Improvisator an der Posaune: Vinko Globokar.

Sein Verhältnis zum Orchesterkollektiv beschreibt Clytus Gottwald prägnant: „Nicht nur in Donaueschingen, auch anderswo versuchte er, das Orchester auf dem Boden instrumentaler Solidarität für die Neue Musik zu gewinnen. Schaut her, ich bin Musiker, ich bin einer von euch. Er spielte und argumentierte leidenschaftlich gegen die Mauer der Ablehnung an.“ Was damals hoffnungslos schien, ist heute partiell möglich. Die Mauer steht vielleicht noch, aber sie ist an zahllosen Stellen durchbrochen. Man denke nur an die kompetenten und hochengagierten freien Ensembles Neuer Musik oder auch an Einrichtungen wie den SWR-Chor, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder das aktuell von der Fusion bedrohte SWR-Sinfonierorchester Baden-Baden und Freiburg. Nicht nur in der Kunst, auch in ihren strukturellen Bedingungen hat Vinko Globokar seine „Voie“, seine Spuren hinterlassen.
 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!