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Adriana Hölszky. Foto: Astrid Karger
Adriana Hölszky. Foto: Astrid Karger
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Geschärfte Wahrnehmung, nicht Handlungsanweisung

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Zum 60. Geburtstag der Komponistin Adriana Hölszky
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Zu umfangreich, zu vielgestaltig auch ist das Werk Adriana Hölszkys, als dass der Versuch, es mit dem notwendigerweise begrenzten Platz einer Würdigung aus gegebenem Anlass in seiner Gänze zu erfassen, sinnvoll erschiene. Diskutieren ließen sich aber doch Merkmale eines Personalstiles, der schon bald nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten in den 1970er-Jahren von wohlmeinenden wie weniger wohlmeinenden Kritikern mit Zuständen von Angst und Panik assoziiert, als expressiv und gestisch charakterisiert, als exaltiert, hektisch und unruhig kritisiert wurde.


Diese Momente lassen sich in vielen ihrer Werke tatsächlich beob-achten; es sind aber Äußerlichkeiten. Ein Stück wie das Doppel-Streichquartett „Hängebrücken I und II“ wäre einem rein intuitiv-gestischen Komponieren unerreichbar gewesen. Schon die Tatsache, dass diese beiden Kompositionen separat oder simultan aufgeführt werden können, verrät einen beträchtlichen Konstruktionsaufwand. Und in der Tat besteht Adriana Hölszky auf solider Konstruktion: von der initialen Idee, die bei ihr immer zugleich eine Form konstituiert, bis zur minutiösen Sorgfalt bei der Ausformung eines jeden Details.

Adriana Hölszkys eigene Äußerungen über ihre Musik lassen bemerkenswerte Idiosynkrasien im Umgang mit den Basalparametern „Raum“ und „Zeit“ erkennen. Sie beschreibt ihre Werke gern als unterschiedlich strukturierte „Klangräume“. Auch die Zeit existiert bei ihr nicht in der Einzahl: Es sind immer vielsträngige Zeitverläufe, die kosmische Zeit, die irdische Zeit, die unendliche Vielfalt der unterschiedlichen Erlebniszeiten, die sich in ihrer Musik überlagern und durchdringen.

In einem Gespräch mit dem Musikwissenschaftler Hartmut Möller im Jahr 2000 gab die Komponistin dafür ein drastisches Beispiel: „Jeder trägt in sich sein eigenes Drama, seine eigene Erlebniszeit. Wenn ich daran denke, im Kosovo-Krieg: die unterschiedlichen Zeiterfahrungen aus der Sicht der Piloten – und unten auf der Erde die gedehnten Sekunden während der Detonationen. Eigentlich ist es kaum zusammenzubringen, diese Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Erlebniszeiten zum selben Zeitpunkt – aber genau dieses Gewirr verschiedener Zeiten, dieser schwindelerregende Wechsel der Perspektiven betrifft im Kern mein Komponieren.“

So wenig Adriana Hölszky also die Zeit linear denkt, so wenig sind andererseits ihre Räume statisch. Es gibt da „expandierende und schrumpfende Räume“, es gibt Wechsel von einem Klangraum zum anderen, die sie mit filmischer Montage vergleicht, hart geschnitten oder sanft geblendet, es gibt plötzliche „Einblendungen“ eines Klangraumes in einen anderen und es gibt schließlich die Überlagerung zweier oder mehrerer Klangräume, oftmals mit Absicht nicht koordiniert, und damit spezifische Unschärfen des Klanges erzeugend. Und es gibt den Zusammenbruch oder die Explosion von Klang-räumen: Mitunter sind sie sogar dem graphischen Erscheinungsbild der Partituren abzulesen – so, wenn in ihrer Komposition „Dämonen“ die Verläufe der 48 Chorstimmen das Bild züngelnder Flammen und einstürzender Säulen oder Türme evozieren; da ist der optische Eindruck kaum weniger erregend als der akustische. Die Dichte der Klangereignisse, die Vielfalt wechselnder, widerstrebender Bewegungsimpulse, Komplexität und Katastrophe, und damit die spezifische Expressivität dieser Musik – sie ergeben sich mit großer Konsequenz aus solchen Dispositionen, sind aber niemals Selbstzweck. Selbst da, wo die Musik den Hörer tatsächlich packt und überwältigt, können doch immer noch Ursache und Wirkungen dechiffriert werden.

Das trifft schon auf ihren ersten großen Erfolg zu: „Bremer Freiheit“, das „Singwerk auf ein Frauenleben“, uraufgeführt 1988 bei der ersten Münchner Biennale. Mit dem Begriff „Oper“ vermeidet sie zugleich die traditionellen Requisiten der Konfliktdramaturgie und einer stereotypen Expressivität. Anders als im Theaterstück Rainer Werner Fassbinders geht es im „Singwerk“ auch nicht um den tödlichen Kampf von Individuum und Gesellschaft. Die Komponistin konnte nämlich auch die originalen Prozessakten des zugrundeliegenden Kriminalfalles einsehen – und so veränderte sich ihr Bild der Hauptperson, der 1831 hingerichteten Giftmörderin Gesche Gottfried: Deren Tatmotivation lag eben nicht in erlittenem Unrecht, sondern in ihr selbst, ihrer Person, ihrem Charakter, ihrer psychischen Disposition. Die Eigendynamik dieses Prozesses ist es, die die musikalische Form von Adriana Hölszkys Stück bestimmt: Sie versetzt das musikalische Geschehen gleichsam in eine sich beschleunigende Rotation. Statt also die simple Parole „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ auszugeben, stellt das Stück die sehr viel beunruhigendere Frage nach der inneren (Un-)Freiheit jedes Einzelnen. Eigentlich müsse es „Bremer Unfreiheit“ heißen, hat Adriana Hölszky einmal gesagt.

Dass sie aus solchen Befunden durchaus auch aktuelle Konsequenzen zieht, zeigt sich in ihrem 2008 uraufgeführten Vokaldrama a cappella „HYBRIS/Niobe“ für 6 Solostimmen und 30-stimmigen Chor. Dem katastrophischen Klangstrom dieses Stückes, der Worte und Silben, Töne und Geräusche gleichsam mitreißt, ist der Begriff der Hybris nicht zufällig in Versalien vorangestellt: Die Menschheit sei, so die Komponistin 2008 im Gespräch mit Klaus-Peter Kehr, zu einer „Ausdehnung ins Maßlose und der Überschreitung einer Grenze gekommen, woher es kein Zurück mehr gibt, bis hin zum Kollaps, bei dem alles, wie bei einem Stern, zu einem schwarzen Loch zusammenschrumpft“.

Indessen ergeben sich auch aus solcher Aktualität keine Handlungsanweisungen: So, als ließe sich der Entwicklung mit dem Eintritt in die grüne Partei und dem Kauf von Bio-Produkten gegensteuern. Ganz generell stößt man bei Adriana Hölszky mit dem Versuch, direkte Linien zu ziehen zwischen ihrem Werk und irgendeinem aktuellen Debatten-Schlagwort, auf freundliche, aber bestimmte Ablehnung. Ihr geht es eben nicht um monokausale Erklärungsmuster, sondern, wie sie es einmal in einem Vortrag formulierte, um „widersprüchliche Wirklichkeiten“.

Oder, wie sie es 2010 im Gespräch mit Nora Bauer formulierte: „Das ist das Drama des Menschen, dieses Pendeln zwischen seiner Eigenschaft als biologischer Mensch und der Fähigkeit zum Sprung ins Metaphysische. Diese Spanne zwischen der unglaublichen Freiheit, Dinge zu erfassen – trotzdem zu sehen, dass er sie in ihrer Gänze nicht begreift – und dann diesem Rückfall ins Biologische, das ist etwas Ungeheuerliches. Diese Tragik begleitet den Menschen und damit fertig zu werden, ist für den Einzelnen sehr schwer.“

Es ist indessen nicht so, dass sich Adriana Hölszky mit dieser Konstatierung von „Conditio humana“ so einfach abfände, sich gar einverstanden erklärte. In ihrem Komponieren sind Trauer, leidenschaftliche Auflehnung (die um ihre Vergeblichkeit immer schon weiß) und die Lichtvisionen eines Besseren (zum Greifen nah, aber nicht auf den Begriff zu bringen) vielfach gegenwärtig. Konkrete Handlungsanweisungen wird man ihren Stücken an keiner Stelle entnehmen können, wohl aber eine akut geschärfte Wahrnehmung dessen, was ist.

Aktuelle Buchveröffentlichungen:
Maria Kostakeva: Metamorphose und Eruption Annäherung an die Klangwelten Adriana Hölszkys; Wolke Verlag, 256 Seiten, € 36,- ISBN 978-3-95593-053-0
Ulrich Tadday (Hg.): Adriana Hölszky; Edition Text + Kritik (Musik-Konzepte 160/161), 188 Seiten, € 28,- ISBN 978-386916-237-9

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