Mit der Oper „Die Trauung“, nach Witold Gombrowicz begann 1975 die Karriere des Komponisten Volker David Kirchner. Weitere erfolgreiche Bühnenwerke, aber auch zahlreiche Instrumentalkompositionen folgten. Am 25. Juni 2012 wurde Volker David Kirchner siebzig Jahre alt, Anlass für ein Gespräch, das Achim Heidenreich mit dem Komponisten geführt hat.
neue musikzeitung: Volker David Kirchner, 70 Jahre sind kein Pappenstiel. Was geben Sie als Lebensweisheit weiter?
Volker David Kirchner: Dass man am Ende nicht schlauer ist als am Anfang.
nmz: Wie schlau sind Sie denn am Ende?
Kirchner: Zu wissen, dass Erfolg ein kurzfristiges Denken ist. Weil Erfolg, die Ziele, die Erfolg ausmachen, permanent wechseln. Statt Nachdenklichkeit regieren nur noch die Moden. Auch in der Kunst leben wir in einer Wegwerfgesellschaft.
nmz: Was verbindet Sie mit Wiesbaden?
Kirchner: Dort waren meine theatralischen Anfänge, die auch nur deshalb mögliche waren, weil der damalige Generalmusikdirektor Siegfried Köhler, auch die Intendanten Alfred Erich Sistig, dann Peter Ebert, meine ersten Opern – „Die Trauung“ und „Isaac Babel – bei mir in Auftrag gegeben haben. Ich war bis dahin ein unbeschriebenes Opernblatt. Die Premiere von der „Trauung“ war ein Skandal, Trillerpfeifen gegen Bravorufe. Am Ende blieb das Bravo. Danach spielte man „Die Trauung“ an etwa fünfzehn Opernhäusern, darunter München und Hamburg.
nmz: Wiesbaden – übrigens auch einmal das Haus des großen Kritikers und Intendanten Paul Bekker, von dem der Begriff Neue Musik stammt – wurde so etwas wie Ihr sicherer Hafen. Was war denn das Neue bei Ihnen?
Kirchner: Ich habe eigentlich nie eine traditionelle Oper geschrieben. Oper ist das Haus, meine Werke sind ganz anders konzipiert. Sie sind offene Formen, jedes Werk hat ein anderes dramatisches und klangliches Konzept. Die Besetzungen wurden aufgebrochen, die Guckkastenbühne wurde zum Amphitheater, die Choristen bei „Erinys“ (1986/89) kamen aus dem Zuschauerraum. Der Raum wurde anders begriffen, da bin ich ganz Schüler von Bernd Alois Zimmermann, der mit seinen „Soldaten“ nicht nur Maßstäbe gesetzt hat, sondern der Oper eine Zukunft gab.
nmz: Haben Sie sich bei den Inszenierungen aus der Regie herausgehalten?
Kirchner: Ich hatte die besten Regisseure, meist bei meinen Wiesbadener Produktionen: Herbert Wernicke, Kurt Horres, Friedrich Meyer-Oertel, Lukas Kindermann. Das war damals noch kein Regietheater, wie wir es heute nur noch als Selbstbedienungsladen für die Neurosen von Regisseuren kennen: Tristan auf dem Klo, Freischütz im Hühnerstall. Wie gehen sie denn mit Figuren um? Sarastro als Koloratursopran und die Königin der Nacht als Bass – so gehen sie mit Figuren um! Außerdem: Wo entsteht überhaupt noch ein Repertoire? Ex und hopp ist die gängige Devise. Uraufführung und tschüss! Die Werke werden gar nicht mehr in einen geschichtlichen Kontext überführt. Hauptsache, die Schräge und die Drehbühne waren in Betrieb.
nmz: Mit der eben fertig gestellten Oper „Gutenberg“, die noch auf ein Uraufführungshaus wartet, bieten Sie ein erschreckend aktuelles Panorama auch unserer Zeit.
Kirchner: In Mainz ist Gutenberg, jedenfalls der, den ich schildere, ein Fremder und war es immer. Mich wundert, dass es in Mainz noch keine Gutenbergkugeln à la Salzburg gibt. Auf seinem Sockel vor dem Theater tut er niemand weh. Er stört wegen Sichtbehinderung nur etwas bei der Aufstiegsfeier des Mainz 05. Mittlerweile ist es sogar schick geworden, als bekennender Antikulturmensch in der Politik Karriere zu machen. Ich warne aber: Popularisierung hat noch nie zu mehr Popularität geführt. Qualität zählt und das heißt, künstlerische Seriosität im Zeichen der Aufklärung!
nmz: Der Betrieb fordert seine Opfer, leider. Gibt’s Gegenbeispiele?
Kirchner: Ja, natürlich, aber auch da mit weinendem Auge. Es gibt nichts mehr zu lachen: Das inzwischen abgesägte Ensemble Villa Musica hat in der Region große Kunst gemacht. Jetzt ist die Villa in Mainz quasi dicht! Vor allem aber Matthias Breitschaft möchte ich danken. Er hat herausragendes in der Kirchenmusik geleistet. Er war immer wieder offen für Neues, hat unermüdlich für hohe Qualität gesorgt. Kultur ist kein Museum. Nach vorne denken und sich seiner Wurzeln bewusst sein. Tradition, dass ist der Filter in die Zukunft.