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Tatjana Prelevic, Vlady Bystrov und Lenka Župková – Mitglieder des Ensemble Megaphon bei einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Fake News.  Foto: Sofie Puttfarken
Tatjana Prelevic, Vlady Bystrov und Lenka Župková – Mitglieder des Ensemble Megaphon bei einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Fake News. Foto: Sofie Puttfarken
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Interkulturalität und Interdisziplinarität

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Konsequent untypisch: das Ensemble Megaphon – ein Kollektiv aus Hannover
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Längst hat sich die Gegenwartsmusik von Genre-Zugehörigkeiten gelöst. Dass das auch auf der Ensemble-Ebene funktioniert, macht das Ensemble Megaphon vor: Es ist ein Ensemble für zeitgenössische Musik – aber auch ein Kollektiv aus Komponist*innen, Performance-Künstler*innen, Musiktheatermacher*innen und Musik­ver­mittler*innen. Logische Konsequenz dieser radikalen Vielseitigkeit ist, dass man ihre Konzepte aus Gegenwartsmusik, anderen Musik-Strömungen, Improvisation und Rekompositionen mit Bezug zu politischen und gesellschaftsrelevanten Themen sowohl im Theater, in Grundschulen oder auch im Kleinen Sendesaal des NDR in Hannover antreffen kann.

Wenn die künstlerische Leiterin und Violinistin Lenka Župková nach der Philosophie des Ensembles gefragt wird, dann erzählt sie von stetig „neuen künstlerischen Perspektiven“, die man einnehmen wolle, die man aber auch auf gesellschaftliche Perspektiven oder Themen übertragen würde, und natürlich von der Suche nach dem „Austausch mit dem Publikum“. Das klingt zugegebenermaßen nach den immergleichen Phrasen, mit denen Ensembles versuchen, eine scheinbare künstlerische Innovationskraft herbeizureden. Diesen Vorwurf muss sich das Ensemble Megaphon allerdings nicht gefallen lassen.

Wunsch nach Ausdruck

Lenka Župková hat es im Jahr 2007 zusammen mit dem französischen Tänzer und Choreographen Mikael Honesseau in Hannover gegründet, motiviert durch den Wunsch nach mehr interdisziplinären Ausdrucksmöglichkeiten des damaligen tschechisch-französischen Duos. In den nächsten Jahren etablierte sich eine projektorientierte Arbeitsweise, mit dem das Ensemble zweifelsfrei neue künstlerische Perspektiven erschloss und erschließt: Für jedes Projekt sucht Župková in Absprache mit dem Ensemble nach Künstler*innen, die für das jeweilige Konzept einen fehlenden Blickwinkel ergänzen und den Prozess mit neuen Denkweisen bereichern können. Oftmals bleiben sie dem Ensemble Megaphon erhalten, wodurch das Kollektiv mittlerweile auf mehr als ein Dutzend Mitglieder verschiedenster Nationen aus den Bereichen Musik, Videokunst, Tontechnik, Installation, Schauspiel, Tanz und Pädagogik angewachsen ist.

Ungebrochener Optimismus

Auch wenn ihre Projekte meistens kritische Positionen und düstere Missstände in den Fokus rücken, strahlt Župková einen ungebrochenen Optimismus aus. Sie glaubt fest daran, dass das Ensemble mit seiner Haupt-Kombination aus Gegenwartsmusik, anderen Künsten und gesellschaftsrelevanten Themen die Menschen öffnen, ein Bewusstsein für Themen stärken und Gedanken anstoßen könne. Möglicherweise herausfordernden inhaltlichen Fragen und Unsicherheiten am Anfang eines jeden Projekts begegnet sie souverän: „Sobald man sich auf den Weg macht, findet man etwas.“

Dabei warten in der Projektplanung mehr als nur inhaltliche und personelle Hindernisse. Schließlich ist das Ensemble an keine Institution angegliedert und hat mit den Herausforderungen der freien Szene zu kämpfen: Neben der dauerhaften finanziellen Unsicherheit stellt zum Beispiel die Probenortsuche, eigentlich eher eine Banalität, wegen des multidisziplinären Wesens des Ensembles besonders erschwerte Ansprüche. Das dürfte beim letzten Konzert „Aufwiegeln!?“ im Kleinen Sendesaal in Hannover zur Abwechslung eine weniger große Herausforderung gewesen sein. Eher untypisch spielte das Ensemble im Zuge der Reihe ­Musik21 in kleiner Besetzung ein verhältnismäßig konventionelles Konzert mit zeitgenössischer Musik von Olga Neuwirth, Vincent Bouchot, Charlotte Seither, Moritz Eggert, sowie eine Uraufführung von Ensemblemitglied, Komponistin und Pianistin Tatjana Prelevic, zwischendurch platzierten sie Bearbeitungen (bis Rekompositionen) von Liedern Franz Schuberts.

Projekt „Polytopia“

Ein ensemble-typischeres, unkonventionelleres „Konzert“ versteckt sich hinter dem aktuellen partizipativen Projekt „Polytopia“. Die Klang-Licht-Raum-Inszenierung mit Stücken von Iannis Xenakis und dem Ensemble selbst ist für das nach Redaktionsschluss stattfindende Klangbrücken-Festival Ende April geplant. Župková gibt einen geheimnisvollen kleinen Einblick: „In ‚Polytopia‘ interagieren verschiedenste Ebenen miteinander: Iannis Xenakis’ Musik, kinetische Objekte, Licht-Installationen, das Publikum im Sprengel Museum Hannover – außerdem nutzen wir einen Schwarz-Weiß Kurzfilm von Thomas Bartels als Partitur.“

Wiederum untypisch an dieser Veranstaltung ist der fehlende gesellschaftliche Bezug, wie das Ensemble ihn bei „…stumm herum. Das Ende vom Lied“ hatte – einem szenisch-literarischen Konzert zum Insektensterben; oder beim mehrteiligen Projekt „Niemals eine Atempause“, in dem sie ihre Musik mit Texten zu totalitären Systemen und Meinungsfreiheit verbanden; oder bei „Pinocchio Fake News“ (s. Foto). Die Liste lässt sich lange fortführen.

Auch wenn bei einem wandelbaren Ensemble nicht wirklich treffend von „typischen“ Programmen, Projekten oder Inszenierungen gesprochen werden kann, sind es eben solche Ensemble-Megaphon-„typischen“ Kultur-Veranstaltungen, weshalb sie mit dem Kulturpreis der Landeskirche Hannover ausgezeichnet wurden. Die Jury begründet: „[Ensemble Megaphons] interkulturelle und interdisziplinäre Herangehensweisen benennen alternative Ansätze auf der Höhe unserer Zeit, indem sie das Neue als Chance begreifen.“

Das soll nicht nur Hannover vorbehalten sein: Geht es um die Zukunft des Ensembles, freut sich Župková auf die immer neuen Begegnungen mit anderen Künstler*innen, ihren Geschichten, Perspektiven und dem Publikum – und auf die geplanten Auftritte in Frankreich, Lettland und Tschechien.

Radio- und Konzerttipps

  • Der Mitschnitt des Konzerts „Aufwiegeln!?“ wird am 13. Juni 2023 um 21.00 Uhr in der Sendung „neue musik“ auf NDR Kultur ausgestrahlt.
  • Am Sonntag, den 18. Juni 2023, um 18 Uhr, spielt das Ensemble mit Ibrahim Keivo in der Galerie Herrenhausen ein Benefiz-Konzert für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien.

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