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Es gibt einiges zu entdecken: Thomas Blomenkamp. Foto: Christine Kühn
Es gibt einiges zu entdecken: Thomas Blomenkamp. Foto: Christine Kühn
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Jenseits von Main und Stream

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Zum 60. Geburtstag des Düsseldorfer Komponisten Thomas Blomenkamp
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Geschichte ist ungerecht, heißt es. Wie wahr. Man muss sich ja nur einmal anschauen, wie sie so geschrieben wird. Was da alles in Wegfall kommt! Zum Beispiel Thema Achtundsechzig, rebellische Generation. Als ob es den RCDS nicht gegeben hätte! Oder Thema jüngere Kunstmusik. Als ob es tatsächlich keine Welt gegeben hätte jenseits, unter- und außerhalb einer mit selbstredend großem N geschriebenen Neuen Musik. Eine Welt im Schlagschatten, über die man im Prinzip wenig weiß, weswegen man zum Beispiel auch Thomas Blomenkamp kaum kennt.

Überregional wahrgenommen hat man den Düsseldorfer Komponisten, Jahrgang 1955, erst mit seiner 2001 am Theater Krefeld uraufgeführten Dostojews­ki-Oper „Der Idiot“, die in den einschlägigen Feuilletons ansprechende, teils begeisterte Kritiken erhielt, was für eine dezidierte, am Trend denkbar knapp, aber doch auch wieder klar vorbeischrammende Literaturoper tatsächlich ein bemerkenswerter Erfolg ist.

Darüber stehen

Ein Ereignis, das in der öffentlichen Wahrnehmung dieses kompositorischen Werkes letztlich doch die Ausnahme geblieben ist. Der eigene Weg, dem man Blomenkamp immer schon attestiert hat („stiller Mut“, „zuversichtliche Konsequenz“: Thomas Daniel Schlee, „Abseitsstehen vom Marktschreierischen“: Detlev Glanert) – bis heute ist es sein Markenzeichen. Mitte der 1970er-Jahre tritt Thomas Blomenkamp als Jugend musiziert-Preisträger ein in die Kölner Kompositionsklasse von Jürg Baur und eben nicht in die von Kagel oder Stockhausen. Eine Entscheidung, die er im Gespräch vergleichsweise kurz abhandelt. Nicht „ästhetische Grabenkämpfe“ hätten ihn interessiert, sondern „Handwerk“. Und dafür stand Jürg Baur. Letzterer, wie Blomenkamp, gebürtiger Düsseldorfer. Da war der Draht natürlich sofort da. Außerdem habe Baur, fügt Blomenkamp mit Betonung hinzu, allen seinen Studenten Einzelunterricht gegeben.

Mit seinem 60. Geburtstag ist in die ‚verborgene Präsenz‘ dieses Komponisten insofern Bewegung gekommen als die Geburtsstadt Düsseldorf wie der Studienort Köln als Gratulanten aufgetreten sind, mit stattlichen Präsenten unter dem Arm. Die in diesen Dingen schon immer rührige Musikbibliothek der Landeshauptstadt hat Blomenkamp eine liebevoll aufgemachte Werkmonographie gewidmet, Köln in Gestalt der Hochschule für Musik und Tanz, ein Porträtkonzert. Eines, das mit einer einfühlsamen studentischen Darstellung von Blomenkamps „Drei Stücken für Klavierquintett“ den Herzschlag dieses bei David Levine ausgebildeten Pianisten und Komponisten offengelegt hat: die Kammermusik.

Zum Start einer „Eigengewächse“ betitelten „Alumni-Reihe“ der HfMT Köln“ war es an Stefan Irmer, Professor für Liedgestaltung, unter tatkräftiger studentischer Beteiligung, ein aussagefähiges Blomenkamp-Porträt auf die Beine zu stellen. Verdienstvoll muss man sagen, wenngleich sich gerade im Fall der ambitionierten Vertonungen von Nelly Sachs-Gedichten und Shakes­peare-Sonetten zeigte, wie sehr die intrikate Handschrift des Komponisten auf in jeder Hinsicht über den Dingen stehende Ausführende angewiesen ist.

Nischen ausleuchten

Blomenkamps bisher etwa 80 Kompositionen verlangen viel vom Interpreten. Das Einstudieren, die Noten allein, machen es nicht. Gerade bei einem Komponisten, der sich mit so erstaunlicher Konsequenz den Stilen und Moden verschlossen hat, braucht es das gewisse Etwas, damit diese Musik von den Noten loskommt, in ihren besten Teilen jene transzendierende Räumlichkeit entwickelt, die sie latent birgt. Eine Ahnung davon lieferte die 2012 beim Label Neos erschienene Porträt-CD.

Bei alledem ist auffällig, dass sich insbesondere die Klavierspieler um ein Blomenkamp-Werk geradezu gerissen haben und reißen. „Sieben oder acht“: Blomenkamp wusste es beim Kölner Porträtabend selbst nicht genau zu sagen, wie viele Interpreten sich bisher für die 1986 entstandene, in eigentümlicher Schreibweise daherkommende „Barkarole für Klavier“ eingesetzt und dieses Stück vielleicht gerade deswegen zu einem regelrechten Hit haben werden lassen, weil es keinem ‚Stil‘, weil es keiner Mode gehorcht, sondern nur sich selbst. Auch wenn sich Blomenkamp in dezidierter Romantik-Nachfolge sieht – mit einer gemächlich-gondeligen Wasserpartie hat dieses Stück weit weniger zu tun als mit einem sich selbst fortspinnenden, überrollenden Wucherprozess, einer Art auskomponiertem Musik-Tsunami. Ineinander verschränkte Hände beginnen im zweistimigen Piano, um sich bald die gesamte Klaviatur zu erobern, um schließlich kumulativ-final abzubrechen, ins Nichts zu stürzen.

Eine heikle Aufgabe für jeden Spieler: Er oder sie muss virtuos sein. Und: Sie oder er muss zugleich das Spielen im Sinn somnambulen Gespieltwerdens vorstellen können. Als losgelöster Trieb. In Köln versuchte die gegenwärtig viel besprochene Pianistin Schaghajegh Nosrati, sich mit dem rechten Pedal aus der Affäre zu ziehen.

Eine kritische Anmerkung, gewiss. Zugleich eine in durchaus konstruktiver Absicht. Immerhin, worum geht es, wenn nicht darum, den Musikern unter den Ausführenden Mut zu machen, Nischen auszuleuchten? Insbesondere solche, über die die „Geschichte“ – egal ob zwischen zwei Buchdeckeln oder zwei Mausklicks - so gern ehinweggeht. Will sagen: Es gibt einiges zu tun, zu entdecken. – Um beim Thema zu bleiben: Thomas Blomenkamp zum Beispiel.

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