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Joseph Martin Kraus

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Originalität überwindet Konventionen im Einzelnen. Insofern ist die klassische Tonsprache nicht die Summe von Dialekten, sondern eine grammatische Orientierung, die persönlichen Stil erlaubt.

Wahrscheinlich hat der deutsche Komponist Joseph Martin Kraus (1756–1792), ein Zeitgenosse und Bekannter Wolfgang Amadeus Mozarts, nicht so abstrakt gedacht. Aber er hat Musik geschrieben, mit der er die Füllung klassischer Formen eigensinnig zusammensetzt. Seine Symphonien sind eine Folge solcher Experimente in den Formen. So beginnen zwei davon (cis-Moll und c-Moll) mit einem langsamen Satz, jeweils mit lyrischen Kantilenen. Die cis-moll Symphonie gar mit hochgespannten Wechseln zu Allegrosprüngen, wobei der Generalbass wie ein Raddampfer das Orchester vorantreibt. In der C-Dur Symphonie „funèbre“ sind dissonante Klagen zu hören, wodurch die betrübte Stimmung noch verstärkt wird. Diese Symphonien sind Dramen ohne Darsteller, entwerfen Szenen aus Konflikten und Dialogen. Solche zudem noch raffiniert orchestrierten Klänge haben eine seltsame Modernität, als ob J. M. Kraus visionär das nächste Jahrhundert vorausgeahnt hätte.

Vor allem hat er gern gegen gewohnte Erwartungen komponiert, etwa in der Symphonie in F-Dur, wo er Phrasen verlängert oder verkürzt, sodass die Syntax in den Formen transzendiert wird. Andererseits hatte er ein ausgeprägtes Sensorium für die Melodik, die oft aus Volksliedern entlehnt sein könnte. Humor in versteckter Ironie der Symphonie Es-Dur und pure Energie in den schnellen Tempi der Finalsätze sind weitere Merkmale seines Stils, den das Swedish Chamber Orchester in wundervollen, nuancierten Interpretationen aufgenommen hat.

Seine Karriere als Komponist machte J. M. Kraus allerdings nicht in Deutschland, sondern in Schweden, wo er 1787 zum Hofkapellmeister ernannt wurde. Seine überragende Begabung (er wird oft mit Mozart verglichen) ist also ex patria und fern der damaligen Musikhauptstadt Wien anerkannt worden. Trotzdem hat ihn wohl Heimweh geplagt, denn in seinen Streichquartetten erscheinen sehr persönliche Gefühlslagen. Hier hat er noch ausgiebiger experimentiert, so im Allegro des D-Dur Quartetts mit asymmetrischer Stimmführung oder mit Echowirkungen im D-Dur Quartett. Eine fahle Elegie und merkwürdig gebrochene Melodik im f-moll Quartett weist deutlich auf Melancholie hin. Vom Joseph Martin Kraus-Quartett liegt eine erste Sammlung dieser manchmal grübelnden, manchmal satirischen Werke in exzellenten Einspielungen vor.
Einige Klavierwerke hat Alexandra Oehler neu entdeckt. Die beiden Sonaten zeigen, dass J. M. Kraus sich auch in diesem Genre Freiheiten nahm, so bei der dynamischen Gestaltung. Anmut der Klangbewegungen und lyrische Intensität kennzeichnen diese empfindsame Musik.
Joseph Martin Kraus, der deutsche Emigrant in Schweden, war in gewisser Hinsicht ein Rebell, zumindest ein Querkopf. Auf jeden Fall ein Querkopf bester Originalität, er gehört ins Zentrum der Aufmerksamkeit bei der Rezeption klassischer Musik.

Diskografie

  • Joseph Martin Kraus:
    Symphonies I/Olympic Overture
    Naxos 8.553734
    Symphonies II/Sinfonietta buffa
    Naxos 8.554472
    Symphonies III
    Naxos 8.554777
    Symphonies IV
    Naxos 8.555305
    Alle Aufnahmen mit dem Swedish Chamber Orchestra, Leitung: Petter Sundkvist
  • Klavierwerke
    Alexandra Oehler, Klavier
    Ars Musici AM 1326-2
  • Streichquartette I
    Joseph Martin Kraus-Quartett
    Cavalli CCD 224

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