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Der Künstlerische Leiter von MaerzMusik, Matthias Osterwold. Foto: Kai Bienert
Der Künstlerische Leiter von MaerzMusik, Matthias Osterwold. Foto: Kai Bienert
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Klang, Bild und Bewegung in befruchtender Interaktion

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Matthias Osterwold über die zehnte MaerzMusik vom 18. bis 27. März 2011 in Berlin
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Der Soziologe und Musikwissenschaftler Matthias Osterwold, 1983 Mitbegründer von Freunde Guter Musik Berlin e.V., einer Organisation zur Förderung experimenteller Musik und Musikperformance, ist seit April 2001 Künstlerischer Leiter von MaerzMusik – Festival für aktuelle Musik bei den Berliner Festspielen. Mit ihm sprach unser Mitarbeiter Albrecht Dümling.

neue musikzeitung: Im Mittelpunkt der diesjährigen MaerzMusik­ steht die Beziehung von Klang, Bild und Bewegung, also von Akustischem und Optischem. Wer ist Gewinner dieser Erweiterung von Musik zum Gesamtkunstwerk?

Matthias Osterwold: Gewinner sind wohl die Künste insgesamt – Tendenzen zu ihrer Entgrenzung und gegenseitigen Durchdringung entstehen wieder neu gegen Ende des 19. Jahrhunderts und entwickeln sich dann ganz vehement im 20. Jahrhundert. Was damals vielfach utopisch war, ist heute mit digitalen Technologien real umsetzbar, da Geräte, die eine integrale Behandlung und Steuerung von Optischem und Akustischem ermöglichen, inzwischen halbwegs erschwinglich sind. Es entsteht dadurch aber auch die Gefahr einer x-beliebigen klischeehaften Verwendung. In diesem Feld bewegt sich MaerzMusik in diesem Jahr. Sie versucht, sich mit qualitativ exemplarischen Produkten gegen Tendenzen der Inflationierung und Verflachung zu behaupten.

nmz: Die Musik war im 19. Jahrhundert noch ein Leitmedium, während im 20. und 21. Jahrhundert wohl das Visuelle dominiert und man – etwa im Film – oft nicht mehr so genau hinhört.

Osterwold: Durch die Programmauswahl wollen wir gegen diese Tendenz arbeiten, etwa bei „Neue Musik zu alten Filmen“, also zu klassischen Stummfilmen. Wenn wir jetzt die Musiken hören werden, die Komponisten von heute für solche Filme geschrieben haben – etwa Martin Matalon zu „Metropolis“ –, dann schaffen sie zum Bild eine Spannung, auch einen Kontrapunkt. Auf diese Weise hören Zuschauer die Musik gewissermaßen deutlicher mit, weil sie eine Reibung erzeugt. Bei der mitternächtlichen Filmreihe „Tonspuren, Filme hören“ im Babylon laden wir dazu ein, markante Tonspuren berühmter Spielfilme bewusster zu hören, als es sonst üblich ist.

Die anderen Projekte, bei denen Bild und Musik vorkommen, wollen jenseits des modischen Musters „Bilder zur Musik“ agieren, etwa bei „ROAD WORKS“ mit dem Fotografen Beat Streuli und einer Gruppe von Musikern, die Christoph Gallio zusammengestellt hat. Bei dem in Berlin sehr bekannten Videokünstler Lillevan kommt es bei „Licht – Zeiten“ zu einer echten Interaktion mit Michael Wertmüller und seinen Musikern; diese reagieren auf Bildimpulse, und die Bilder reagieren auf musikalische Impulse.

nmz: Auf dem Programm stehen in diesem Jahr neun Ur- und zehn Erstaufführungen. Besitzen eigentlich bei audiovisuellen Werken Uraufführungen noch die gleiche Bedeutung wie bei „klassischen“ Konzertwerken?

Osterwold: Ich bin mir dieser Problematik bewusst. Wir haben bei der Auflis­tung darauf geachtet, dass es in einem echten Sinne Uraufführungen sind, also speziell beauftragte und so nie gemachte Projekte.

nmz: Schon in den 70er-Jahren hat man versucht, durch Wandelkonzerte die traditionelle Konzertform aufzubrechen. Welche weiteren Möglichkeiten szenischer Konzerte bieten Sie an?

Osterwold: Wir eröffnen mit einer neuen Fassung von Rebecca Saunders’ „Chroma“ – einem Werk, das für jede räumliche Situation eine neue Fassung bedingt. 14 Musiker spielen laut Partitur auf 20 verschiedenen Positionen. Das deutet darauf hin, dass sie sich zwischen diesen Positionen bewegen müssen, wobei es zu immer anderen Gruppierungen kommt. Wir machen das Stück im MOSKAU an der Karl-Marx-Allee, in DDR-Zeiten bekannt als schickes Café-Restaurant, zu dem nur die Angehörigen der Nomenklatura und Geschäftsleute Zutritt hatten. Es ist ein Wandelkonzert sogar im doppelten Sinne: Nicht nur die Besucher wandeln, sondern auch die Musiker. Weil jeder Besucher seine eigene Hörperspektive hat, wird dieses Stück zweimal hintereinander aufgeführt, um den Weg noch einmal anders zu suchen.

nmz: Sie erinnern auch an die Bewegung des Futurismus, der schon vor 100 Jahren die traditionelle Konzertform aufzubrechen versuchte. Zum Beispiel gibt es im Programm eine „Futuristische Küche“. Was ist das?

Osterwold: Filippo Tommaso Marinetti, der theoretische Kopf der Futuristen, hat auch ein originelles Buch „Die futuristische Küche“ geschrieben. Es enthält neben echten Kochrezepten auch bildhafte Rezepte, etwa „Eisenbahnschwellen mit Grasnarbe“ oder „Kabelsalat“. Wir versuchen, mit dem Chefkoch im Radialsystem einen adäquaten Lunch zuzubereiten. Das wird für die Zunge wie auch für die Augen und Ohren ein futuristischer Genuss werden.
Dies ergänzt eine Aufführung mit dem Orchester der Futuristischen Geräuscherzeuger, den sogenannten Intonarumori, die Luigi Russolo und andere um 1910 entwickelt haben mit der Vision, Musik aus Geräuschen zu machen. Nur wenige Originalkompositionen sind erhalten. Aber die Instrumente sind anhand genauer Unterlagen von Luciano Chessa rekonstruiert worden, der für dieses Geräuschorches­ter eine Reihe neuer Kompositionen in Auftrag gegeben hat. Einen Tag vor diesem Konzert mit den Intonarumori gibt es von Enno Poppe und Wolfgang Heininger „Tiere sitzen nicht“, ein Konzert, bei dem sich auf der Bühne über 200 Instrumente chaotisch-anarchisch auftürmen. Was die Futuristen mit ihren Intonarumori visionär anstrebten, aber noch kaum verwirklichen konnten, ist heute, 100 Jahre später, mit diesem Instrumenten-„Zoo“ leicht zu schaffen. Diese Gegenüberstellung finde ich reizvoll.

nmz: In diesem Jahr ist das Haus der Berliner Festspiele wegen Umbauarbeiten geschlossen. Unter welchen Aspekten haben Sie nach neuen Veranstaltungsorten gesucht?

Osterwold: Ich beobachte immer schon aufmerksam das Zusammenspiel von Kunst- und Musikangebot mit einem gegebenen gesellschaftlich räumlichen Kontext – die Stadt als Organismus von Gebäuden und Menschen, die sich in einer bestimmten Weise dort anordnen, sortieren und bewegen. Das hat damit zu tun, dass ich früher Stadtsoziologe war. In Berlin ist es äußerst reizvoll, die Stadt zu „lesen“ und nach Lektüre der Stadtlandschaft zu sagen: Wir gehen mit diesen Projekten dahin und mit anderen dorthin. Die Umbauarbeiten bedeuten eine Erschwernis im technisch-logistischen Sinn, weil gerade das Programm von 2011 ursprünglich für unser eigenes Haus mit seiner neuen Theater­ausstattung gedacht war. Wir mussten neue Orte mit unserem Programm bespielen. MOSKAU habe ich schon genannt. Auch die Zusammenarbeit mit dem Berghain, einem inzwischen weltberühmten Club, macht außerordentlich viel Spaß. Ebenso bedeutet die Bespielung des noch nicht performativ genutzten Kraftwerks Mitte in der Köpenicker Straße, neuerdings TRAFO genannt, eine spannende Herausforderung.

Zusammen mit klassischen Konzertsälen und interdisziplinären Orten wie  den Sophiensälen ergibt sich eine Art Gesamtbespielung zentraler Bereiche von Berlin. Uns ist es in den letzten Jahren recht gut gelungen, trotz dieser Streuung ein großes Publikum zu finden. Wir haben sogar den Eindruck, dass wir durch die Variation der Spielstätten ein besonders vielschichtiges Publikum gefunden haben. In den Zuschauerzahlen und in der Zusammensetzung ist MaerzMusik ein echtes Pub­likumsfestival geworden.

nmz: Dies ist jetzt die zehnte Edition der MaerzMusik, die sich als Festival für aktuelle Musik versteht. Besteht die Aktualität mehr in den Formen oder auch in den Inhalten?

Osterwold: Natürlich beides. Für mich ist der Aktualitätsbegriff, positiv gesehen, eine lustvolle Auseinandersetzung mit der Tatsache, kein bindendes oder klar definiertes musikalisches Leitbild mehr vorzufinden, sondern ein sehr zerfasertes, zerstreutes Panorama verschiedener Ästhetiken und Szenen. Wenn ich als Untertitel den Begriff der aktuellen Musik gewählt habe, dann ist es das Bemühen, die verschiedenen Musiken miteinander in Gespräch und in Konfrontation zu bringen, also nicht das eine gegen das andere auszuspielen, sondern zu de-hierarchisieren und die Begegnung auf „Ohrenhöhe“ zu ermöglichen. Das ist mein Verständnis von Aktualität. Insofern kann dann als „aktuell“ auch historische Musik wieder vorkommen, wenn man gewisse Hörschneisen sucht, wenn man versucht, Entwicklungsstränge – also jetzt die Intonarumori versus „Tiere sitzen nicht“ – als eine Achse durch die Geschichte nachzuverfolgen. Eine weitere Dimension der Aktualität, die mir ein ganz großes Anliegen ist, besteht im Verfolgen von interkulturellen Entwicklungen in der zeitgenössischen Musik. Das ist für mich hochaktuell und für die Entwicklung Neuer Musik sehr fruchtbar.

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