Spricht man mit Leuten, die in den 1950er- und 1960er-Jahren im Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks gearbeitet haben, so kommt man zwangsläufig und stets auch gerne auf Gottfried Michael Koe-nig zu sprechen, den, wie manche ihn damals genannt haben, „Außenminister“ derjenigen Institution, die das Fundament legte zu einem der seither weltweit wichtigsten Orte der Neuen Musik: Köln.
Koenig, der „Außenminister“ übrigens deswegen, weil er kontaktfreudig-kollegial die projektbezogen im Studio arbeitenden Komponisten aus aller Welt tatkräftig bei ihren Vorhaben unterstützte, sich, auch eine diplomatische Fähigkeit, in die ästhetischen Konzepte anderer hineinzudenken wusste und mit den Urhebern, wo sich Probleme auftaten, gemeinsam nach technischen Lösungen suchte und zumeist auch welche fand.
György Ligeti, Hans G Helms, Franco Evangelisti, Bengt Hambraeus, Konrad Boehmer sind nur einige temporäre „WDR-Studioarbeiter“, die begeistert von Koenigs Hilfsbereitschaft, vor allem aber von seiner außerordentlichen Kenntnis im elektronischen Metier berichtet haben. Mauricio Kagel, der 1957 von Buenos Aires nach Köln übergesiedelt war, eigens um im Elektronischen Studio arbeiten zu können, schenkte dem Außenminister und Entwicklungshelfer Gottfried Michael Koenig im selben Jahr zum Geburtstag einen Text, der so manch kleines Detail der damaligen ästhetischen Diskussionen spielerisch-ironisch fixiert. Ein Ausschnitt: „‚Ich befinde mich zwischen Gott und der Freiheit‘, sagte der Mann. ‚Natürlich, du heißt Gottfried‘, warf ihm Phon vor und dachte an die Ära der Prä-Elektrizität. ‚Watt willst du‘, wies ihn die Stimme zurecht, ‚noch eine Ordnung schaffen?‘ ‚Nein, im Gegenteil‘, schrieb der Mann, ‚das Positive ist negativ, ich bin ein Negativist!!‘ ‚... des Positivismus‘, sagte Ohm und gähnte. Währenddessen stöberte er seinen perfekten Kreis auf. ‚Ich werde dir ein Verslein sagen‘, sagte der Raum mit seinem Echo: ‚Die beste Hierarchie ist die Anarchie. Als ich sie am meisten wollte, hat sie mich belogen ...‘“
Ordnung und Chaos, seriell und aleatorisch, elektronisch und instrumental (nur in den frühesten Jahren auch vokal), positiv und negativ (physikalisch-elektrisch wie philosophisch) – das sind nur einige Begriffe, denen man im Diskurs der jungen Nachkriegsavantgarde wiederholt begegnet – Stichwort „Darmstadt“ – und die sogar bis heute noch immer eine gewisse Rolle spielen, je nachdem wo sich der/die Gesprächspartner ästhetisch verorten (lassen/wollen). Natürlich sind die Begriffe auch für Koenigs Musikdenken wesentlich – nachzulesen in seinen zahlreichen Essays und Kommentaren, die unter dem Titel „Ästhetische Praxis“ als sechsbändige Edition im Pfau-Verlag Saarbrücken erschienen sind (1991–2006) – als Gemeinschaftsprojekt mit dem Fachbereich Musikwissenschaft der Universität des Saarlandes, deren Philosophische Fakultät I ihm 2002 die Ehrendoktorwürde verliehen hat. (1) Gottfried Michael Koenig, geboren am 5. Oktober 1926 in Magdeburg, studierte an der Nordwestdeutschen Akademie in Detmold unter anderem Komposition (bei Günter Bialas) und Analyse (bei Wilhelm Maler). 1953 zog er nach Köln. Der Grund: die Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung, die er in Vorträgen von Werner Meyer-Eppler und Herbert Eimert bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt kennengelernt hatte. Denn die Faszination, die diese neuen Musikproduktionskonzepte auf ihn ausübten, ließ ihn nicht mehr los, hatte er doch bei der Studienwahl lange zwischen Musik und einer naturwissenschaftlichen Disziplin geschwankt. Herbert Eimert, auf dessen Initiative hin die WDR-Intendanz die Studiogründung 1951 befördert hatte, war es auch, der Koenig nach dem bereits dort tätigen Karlheinz Stockhausen als zweiten Komponisten mit technischen Aufgaben für die Studioarbeit verpflichtete.
Es entstanden seine ersten elektronischen Stücke, die seither zum Kanon der Neuen, der elektronischen Musik gehören: Klangfiguren I und II (1955–56), Essay (1957/58), Terminus I (1962). In Köln formulierte Koenig die ersten ästhetischen wie theoretischen Kapitel für das gelebte Handbuch der schwingenden Elektronen, vorwiegend in praktischer Lehre während der Studioarbeit („learning by doing“) sowie zeitweise als Dozent an der Kölner Musikhochschule und an anderen (akademischen) Institutionen. Die nächsten Kapitel entstanden dann an der Universität Utrecht, wo er zwischen 1964 und 1986 als künstlerischer Leiter des neugegründeten „Instituut voor Sonologie“ tätig war. Hier setzte er seine Lehrtätigkeit fort, feilte er an den intensiven Reflexionen über Technik und Ästhetik des Komponierens, des elektronischen wie des instrumentalen. Denn unter den rund sechzig Werken, die Koenig geschrieben hat, ist der umfangreichere Teil „unplugged“. Aber auch in diesen Kompositionen für akustische Instrumente ist er – anders als viele seiner Kollegen (auch als die von einst) – dem seriellen Ansatz treu geblieben, hat ihn sogar konsequent weiterentwickelt. Dabei spielt die Einbindung des Computers seit vielen Jahren schon eine zentrale Rolle. In Koenigs Programmen Projekt 1 (ab 1963), Projekt 2 (ab 1966) und Projekt 3 (ab 1985) können die aus dem Serialismus entwickelten Kompositionsstrategien – wozu er auch die mathematisch definierte Aleatorik zählt – dargestellt werden. Und das vermag bei der Planung des Werkes zu helfen wie auch dem inneren Zusammenhalt der Parameter. Allerdings sind die Programme ohne musikalisches Vorstellungsvermögen kaum adäquat zu handhaben. Koenigs Projekt(e)-Software ist weder ein digitales noch ein kognitives „plug&play“-System, die Projekt(e) suspendieren keineswegs die Kreativität und ästhetische Verantwortung des Komponisten.
Als in den 1980-/90er-Jahren das Etikett „Postmoderne“ Usus wurde, setzte ihm der Musiktheoretiker und frühe Koenig-Exeget Heinz-Klaus Metzger die Vokabel „Prämoderne“ entgegen: Da die Moderne sich noch lange nicht erfüllt habe, könne von einem „nach“ schließlich keine Rede sein. (2) Und nach wie vor befindet und bewegt sich der Komponist und Theoretiker Gottfried Michael Koenig in der Ära der Prämoderne, übrigens gleich uns. Nur dass Koenig als ästhetischer Negativist (des Positivismus) immer noch die Ideen und Ideale des musikalischen Fortschritts verfolgt.
Anmerkungen
(1) Siehe zu Koenigs Musikdenken auch die Publikationen Gottfried Michael Koenig, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München: text + kritik 1989
(= Musik-Konzepte 66); Gottfried Micha- el Koenig. Parameter und Protokolle
seiner Musik, hrsg. von Stefan Fricke, Saarbrücken: Pfau 2004.
(2) Heinz-Klaus Metzger, Kölner Manifest 1991, in: Blick zurück nach vorn –
ein Buch zur Praemoderne, hrsg. von Ingrid Roscheck, Heribert C. Ottersbach
und Manos Tsangaris, Köln: Thürmchen-Verlag 1992.