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Anders Eliasson
Anders Eliasson
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Konstanter Akt der Befreiung

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Der schwedische Komponist Anders Eliasson
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Nie ist der „Fortschritt“ in der Musik, was auch immer man unter ihm verstanden hat, als eine so fragwürdige Kategorie empfunden worden wie in jüngster Zeit. Und natürlich hat man Gründe aufgetan: Ein lineares Fortschreiten, womöglich gar wie in der Automobiltechnik im Sinne eines „immer besser“, ist in der Kunst eine Absurdität – auch in rein technischer Hinsicht. Es gibt noch einen anderen Terminus aus der Welt der Autohersteller: die „innovatorische“ Dimension. Hier verhält es sich andersherum, ist doch der Automobilbau dazu gar nicht in der Lage, die Kunst hingegen stirbt ohne diese Impulse. Mit anderen Worten: Technik macht Fortschritte, Kunst lebt durch Erneuerung. Diese Erneuerung muss primär eine geistige sein, soll sie den Menschen ernähren. Der eminente englische Symphoniker Robert Simpson konstatierte: „What is an ‚advanced idiom’? This can only come from an advanced idiot. First of all, only the thought can be advanced.“

Was also innen entsteht, sucht sich den Weg nach außen, mit den geeigneten Mitteln, die Vision Realität werden zu lassen. Der 1947 in der schwedischen Provinzstadt Borlänge geborene Anders Eliasson war schon in früher Zeit von jener inneren Vision beseelt. Als Kind hatte er den Aufstieg als Jazztrompeter gemacht, war zehnjährig Leader seiner eigenen Jazzband. Existenzielle Krisen suchten ihn, der „komponierte, um zu überleben“, heim und er fand Zuflucht in Stockholm bei Valdemar Söderholm, der ihn in jahrelangem Studium in die Welt Johann Sebastian Bachs einweihte. Dann studierte Eliasson Komposition bei Ingvar Lidholm, einem führenden Vertreter der herrschenden „modernen“ Ästhetik. Er durchlief verschiedene experimentelle Phasen und fand, dass er sich von der wahren Musik schmerzlich entfernte. Um 1970 fand er einen Weg, der sich ihm als unerschöpflich auswies. Er war auf das gestoßen, was er als sein „Alphabet“ bezeichnete – technisch gesprochen einfache Modi lydischen und dorischen Charakters, die eine Ausdruckswelt ohne die Limits erfundener, komplexer und eben auch artifizieller Systeme eröffneten. Das Komponieren ist für ihn das Hineinhören in die der Musik innewohnenden Triebkräfte, ganz im Sinne des von Sibelius ausgesprochenen Satzes: „Ich bin der Sklave meiner Themen.“ Der Komponist findet einen geeigneten Anfang und nun „bin nicht ich es, der zu einem Ende kommt. Es ist die Musik selbst und ich versuche, meine Finger heraus zu halten.“

Eliasson ist sich gewiss, eine neue Tonalität entdeckt (nicht erfunden!) zu haben, die die Geschlechterdualität des Dur-Moll-Systems transzendiert – nicht als Fortschritt im Sinne einer blind anmaßenden Verbesserung, sondern als Schritt in eine andere Dimension, die damit auch die mit den Hörerwartungen verbundene Sentimentalität hinter sich lässt, jene Fangfessel der herkömmlichen Tonalität, die mit dem Sprung in die „Atonalität“ zwar abgeschnitten, doch keineswegs überwunden war – und man kann nicht übersehen, dass die allerorten geübten Versuche, die alte Tonalität zu reanimieren, mehr denn je von den seichten Gewässern sentimentaler Anhaftung bedroht sind. Die Dimension, in welcher sich Eliassons Musik bewegt, wird von Beobachtern gerne als „kosmisch“ charakterisiert, was sicher durch die schwerelose Dynamik des Geschehens bedingt ist. Diese Musik ist tatsächlich immer im Fluge, stets in Kontakt und in unausgesetzter Wechselwirkung mit einander entgegengesetzten Gravitationszentren und sich in der Konsequenz doch immer über diese hinwegsetzend, ein konstanter Akt der Befreiung, sozusagen eine zwölftönig multiple Grundtönigkeit. In diesem freien Raum sind die Protagonisten, also die Themen, unerhörten Energieströmungen und gewaltigen Störimpulsen ausgesetzt und die Kunst der organischen (aus sich selbst wachsenden) Gesamtformung als lebendigem Prozess liegt darin, diese Protagonisten über alle Klippen hinweg zu retten. Wohin? „Das hängt nicht von mir ab, sondern von der Musik.“ Diese Musik fordert vom Hörer bedingungslose Hingabe, lässt keinen Raum für Zerstreuung, das träge Verweilen in Zuständen und Stimmungen.

In Schweden ist Eliasson wie alle seine wirklich genialen Vorgänger (nicht nur der von Eliasson so bewunderte Allan Pettersson) höchst umstritten. In Deutschland kennt man ihn noch kaum. Das will überhaupt nichts besagen, als dass er anpassungsresistent ist. Allerdings fällt sein Name in letzter Zeit doch viel häufiger und manch anspruchsvoller Musiker sieht in seinem hochkonzentrierten Schaffen den höchsten Gipfel zeitgenössischen Komponierens, so beispielsweise der Altsaxophonist John-Edward Kelly. Dieser hat am 30. Juni diesen Jahres in Vaasa mit dem Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Juha Kangas Eliassons jüngstes Konzert für Altsaxophon und Streicher uraufgeführt. Kelly bekennt freimütig, dass es „das schwerste Werk ist, was für mein Instrument existiert“, aber zugleich auch eine weitgespannte Komposition von unausschöpflicher Substanz. Für die Ausführenden gewiss außerdem ein extremer Selbsterfahrungstrip, wollen sie die unter der bewegten Oberfläche pulsierenden Energien in all ihrer Mannigfaltigkeit und Unmittelbarkeit zu tönender Aussprache bringen. Vielleicht bedarf es jahrelanger Beschäftigung, um hier den Kern ganz offenzulegen. Am 12. Februar des kommenden Jahres werden Kelly und Kangas mit dem Münchner Kammerorchester das Werk erstmals hierzulande präsentieren. Ein anderer, der sich intensiv mit Eliassons Sprache einließ, ist der Oboist Ingo Goritzki. Als künstlerischer Leiter holte er den Komponisten im Juni diesen Jahres zum „Sommersprossen“-Festival ins schwäbische Rottweil. Im wuchtigen alten Kraftwerk am Neckar gaben der Trompeter Wolfgang Bauer und das Percussion Ensemble Stuttgart eine vorzügliche Aufführung von „Kimmo“, sozusagen eines Trompetenkonzerts mit Metallorchester. Unter den Kammermusikaufführungen sei mit exemplarischer Qualität das dicht verschlungene „Dai cammini misteriosi“ für zwei Oboen, Fagott, Kontrabass und Cembalo genannt. In Uraufführung wurden „Wellen“ für Fagott und Klavier und „Pentagramm“ für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier gegeben – letzteres ein fünfteiliges Stück von geradezu klassischer Ausgewogenheit und laut Eliasson (vielleicht mit einem leichten Seitenblick auf das Mozart’sche Meisterwerk in diesem Genre) „die schwerste Kombination von Instrumenten, für die ich bisher geschrieben habe“. Eliassons jüngstes Werk für Streichorchester heißt „Ein schneller Blick, ein kurzes Aufscheinen“ und kommt am 15. November in Stockholm zur Uraufführung. Und kurz zuvor gibt es in der Münchner musica viva am 7. November die deutsche Erstaufführung von Eliassons Dritter Symphonie für Altsaxophon und Orchester durch den Widmungsträger Kelly und das BR-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Udo Zimmermann. Endlich erreicht dieses 1989 entstandene, fünfteilige symphonische Drama in einem Satz, welches für Kelly den „einsamen Höhepunkt der Literatur für Saxophon und Orchester“ bildet, die nichtskandinavische Hörerschaft.

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