Wer sich ihren Terminkalender, ihre Repertoireliste anschaut, glaubt ihr „neue musik leben“, diesen schönen, diesen redenden Titel für ihren brandneuen Podcast sofort. Irene Kurka lebt in der Neuen Musik, lebt für sie.
Auf ihrer Homepage kommen erst die Uraufführungen (ein stattlicher Block Komponistennamen von Banasik, Christian bis Zimmermann, Walter) dann der Rest der Veranstaltung. Mittelalter, Barock, Klassik. Irene Kurka – eine umfassend ausgebildete, umfassend tätige Sängerin. Heute ein Workshop-Konzert für die Kompositionsklassen an der Musikhochschule Mannheim, morgen unterwegs in den Kunst- und Klangräumen der Republik, übermorgen ein Mendelssohn, ein Händel, ein Mozart. Regelmäßig konzertiert Irene Kurka in Berlin, Köln, Düsseldorf; die NRW-Landeshauptstadt auch ihr Lebensmittelpunkt. Dort treffe ich sie. Natürlich wegen „neue musik leben“, ihrem Podcast, der ganz frisch im Netz ist. Wie kommt man auf so was?
Kontext
Was folgt, ist eine Geschichte, die mit einem Buchprojekt beginnt, vom eindringlichen Hinweis eines Kulturexperten auf die „neuen Medien“ produktiv erschüttert wird, wobei es dann schließlich der Freund ist, der den Auslöseknopf betätigt. „Warum machst Du nicht auch so was!?“ In Podcasts gestöbert hatte sie schon des Längeren. In welchen, will sie nicht sagen. Jedenfalls nicht in musikspezifischen. Denn die habe es bisher – man glaubt es schier nicht, wenn es einem erzählt wird – nicht gegeben. „Ist ab jetzt Vergangenheit! Dies ist Premiere!“, sagt Irene Kurka. Ihr Stolz darauf unüberhörbar. „Noch nicht einmal zur klassischen Musik, gibt es so was“, fügt sie hinzu. Was einem dann noch erstaunlicher vorkommt, da die halbe Welt doch beinahe rund um die Uhr online ist, also zumindest prinzipiell aufnahmebereit, weil standortunabhängig – der ganze Dreh- und Angelpunkt. Im Café sitzen, auf den Bus warten, an der Kasse stehen – und doch bereit (wie früher zur festgelegten Sendezeit) für die Themen Nachrichten und Termine. Und damit auch für solche aus dem weiten Feld der Neuen Musik. Was liegt da näher, als Versorgungsstationen zu kreieren, um die vorgebildete, die im weitesten Sinn thematisch interessierte Community, die bei „Lied“ an mehr denkt als an Netta oder zwo, drei, vier, mit einem qualitativen Angebot zu erfreuen, zu bereichern? Neues vom neuen Kunstlied, Neues von und über die neue-alte Liedkunst, deren Techniken, deren Protagonisten. Das Ganze aus persönlicher Perspektive – dies, das Programm.
Bandbreite
Am Start ist Irene Kurka seit ein paar Wochen. Die Ouvertüre: Ausführungen, Anmerkungen zu „Extended Vocal Techniques“, also Umgang mit Stimme, Kompositions-, Spieltechniken, Musikstilen. Folge Zwei brachte „Neue Musik Techniken im Kontext“. Letzterer dabei erfreulich weit gefasst. Beginnend bei der General-Empfehlung an die Kollegen „Auf dem Körper singen!“ zwecks langer Karriere, über bereichernde Erfahrungen im Genre Musical bis zu begeisternden Begegnungen mit Freundin Maria Jonas oder dem dänischen Bariton Bo Skovhus. Man lernt: Singen heute, das heißt Bandbreite haben, Bandbreite bieten! Folge Drei dann – die Sprünge, nicht die Schritte sind ja der Normalfall in zeitgenössischen Gesangspartituren – ein Moritz-Eggert-Interview, das einen sehr aufgeräumten Komponisten vorführt. Nett wird da geplaudert rund um die Themen Beruf, Familie, Vorbilder, Zeitmanagement, Erfolg. Wer bestreitet, dass auch dies zum großen Thema „neue musik leben“ gehört? Vielleicht etwas wenig fachspezifisch für eine fachspezifisch aufgelegte „neue musik leben“-Hörerschaft. Immerhin hat Irene Kurka ja gerade „Ohrwurm“ aufgenommen, Eggerts Klavierlieder. Da läge der Übergang durchaus nah zum Thema Gesang und Sänger aus (kompositions-)technischer wie gesellschaftlicher Sicht.
Erkennt man hier noch Entwicklungspotential für den Podcast, ist man an anderer Stelle gleich dabei. Generell immer dann, wenn Irene Kurka aus ihrer Werkstatt erzählt. Sie macht das auf eine eigene, einfache Weise. Als Format fiel die Wahl auf das Gespräch mit einem virtuellen Hörer, zu dem sie vertrauensvoll Du sagt, ihn persönlich begrüßt und nach Themenschluss auch wieder persönlich verabschiedet: „Ich danke dir, dass du bei mir eingeschaltet hast. Lebe dein Leben und deine Musik!“ Die Texte und Worte dazu das Gegenteil von durchgefeilt, durchgestylt. Dass es nicht nach Konvention klingt, macht den Charme. Authentisch bleiben! Es ist ihr das Wichtigste.
Chancen
Ein anderes Thema, das liebe Geld. Frage: Muss man eigentlich was zahlen, wenn man abonniert? – Ganz und gar nicht! – Wie sich das dann finanziert? – Die Antwort läuft auf das Modell Umwegrentabilität hinaus. Was Irene Kurka in „neue musik leben“ investiert, soll sich, so die Hoffung, irgendwann amortisieren. Durch neue Aufträge, neue Engagements. Wichtig sei zweierlei. Zum einen will sie autark bleiben, die Dinge in der Hand behalten, um relativ spontan (geplant, alle zwei Wochen) mit Themen reagieren zu können. In der Summe soll dies ihrem Hauptanliegen zu Gute kommen, nämlich zeitgenössische Musik generell bekannt(er) zu machen – über die Ingroups hinaus, die Zirkel, die üblichen Verdächtigen. Übrigens soll dabei auch mit so manchen Missverständnisssen aufgeräumt werden, etwa dem, dass Neue Musik angeblich die Stimme „kaputt“ mache. Ein bis heute nicht ausgestorbenes Vorurteil, sagt sie, leider auch unter Gesangspädagogen, weswegen man gespannt sein kann, wie das Angebot von der Fachklientel aufgenommen werden wird. Ein Werbebrief an die hiesigen Musikhochschulen ist bereits gepostet.
So geht das Gespräch munter vonstatten. Schnell ist der mitgebrachte Stichwortzettel vollgeschrieben. Das Schöne dabei, man fühlt sich gleich aufgerufen, selber Themen ins Spiel zu bringen. Wie wäre es mit diesem, mit jenem? Welche Riesenchance in einem solchen Angebot liegt, ahnt, wer mit offenen Augen durch die Welt geht. Als wir uns zum Gespräch treffen, ist Netta, die ESC-Siegerin, gerade in aller Munde. Da wäre es ja durchaus spannend zu erfahren, wie so was aus der Perspektive einer Neue Musik-Sängerin ausschaut? Loop-Techniken, exzessive Bühnen-Inszenierungen, Shows und dergleichen mehr. Überhaupt: Singen mit/vor dem Mikrophon – was ist da anders? Worauf kommt es an? Braucht einer, braucht eine da „noch“ Gesangsunterricht? Mit Blick auf die ungezählten Netta-Fans, die genau das wollen, nämlich den Erfolg in der Welt, vor aller Welt, könnte auch so ein Seitenblick von Interesse sein. Vielleicht hören sie ja gerade zu, da draußen ... Apropos. Die kommenden Themen auf „neue musik leben”, wie sieht es aus damit? – Irene Kurka gibt Entwarnung: „Kein Problem, reicht für die nächsten drei Jahre!“ Also einfach mal nachschauen, reinhören. Hier der Link dazu: https://www.irenekurka.de/podcast.html