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Lecker Sachen – gegen Depression und Dummheit

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Volksnahe Raps mit Texten aus dem Alltag mit unkonventionellen Instrumenten
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Die Branche stöhnt und jammert, der eintönige Dudelfunk dudelt, neue Künstler finden kaum noch öffentlichen Raum, nichts geht mehr. Ganz Germanien ist von Depression und Dummheit besetzt. Ganz Germanien? Nein, eine kleine unerschrockene Gang leistet erfolgreichen Widerstand im altrömischen Dorf Collonia Agrippina. Aber lesen Sie selbst...

Die Branche stöhnt und jammert, der eintönige Dudelfunk dudelt, neue Künstler finden kaum noch öffentlichen Raum, nichts geht mehr. Ganz Germanien ist von Depression und Dummheit besetzt. Ganz Germanien? Nein, eine kleine unerschrockene Gang leistet erfolgreichen Widerstand im altrömischen Dorf Collonia Agrippina. Aber lesen Sie selbst... Als vor vielen Jahren Jugendliche erstmals Bands wie die Beatles oder die Stones zu hören bekamen, da soll es ähnliche Stürme in den Konzertsälen gegeben haben. Hier war nun der Ort eher unpassend, das gesamte Zeremoniell ausgerechnet in einem pädagogischen Zusammenhang, alles eingebunden in einen feierlichen Auftakt von hohem missionarischen Wert. Anwesend dabei Persönlichkeiten aus Pop und Politik, die zwar auf die emotionale Kraft der Musik setzen wollten, aber selbst nicht genau wussten, was geschehen würde, wenn man den Deckel vom kochenden Topf nimmt. Im Hintergrund des Infernos blickte daher die Kultusministerin des Landes leicht irritiert in den Saal, der Schulleiter rieb sich Augen und Ohren und selbst die Organisatoren der Veranstaltung zeigten sich von derartiger Resonanz schwerstens überrascht. Mehr als 200 Schüler tobten am Bühnenrand, sprangen sich wie bei Reiterkämpfen gegenseitig auf die Schultern, jubelten und klatschten und schrien – und verlangten mehrere Zugaben in ihrer Aula, die nun keine mehr war. Auf der Bühne beherrschten junge Musiker solch unterschiedliche und in der Popwelt selten gewordene Instrumente wie Mandoline, Geige, Schlagzeug und Bass. Der Sänger rappte volksnah mit Texten aus dem Alltag und benutzte nebenher eher unkonventionell diverse Flöten. Das alles kam durchaus gefällig daher, in den Songs erkannte man unschwer Leidenschaft und Lust auf Musik. In der Aula der Gesamtschule Brachenfeld in Neumünster (Schleswig-Holstein) hatte soeben die Deutsche Phono-Akademie ein Feuerwerk abgebrannt, die sich damals – vor vier Jahren – entschlossen hatte, Deutschlands Schülern ein klein wenig musisch-kreativen Spaß zurückzugeben. Lange vor PISA hatte das Kulturinstitut der Musikwirtschaft beschlossen, dem Verfall des Musikunterrichts an den Schulen pure Musik und einfache aber wirkungsvolle Projekte und Programme entgegen zu setzen. So war dies ein Auftakt nach Maß.

Dabei waren Bands wie Kind of Blue, das Jazz-Quintett der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, die Klassikpianistin Beatrice Bernhardt und die bereits in ihrer Wirkung auf das junge Publikum beschriebenen Lecker Sachen aus Köln. Letztere waren insofern der gute Stern vom Rhein, der über der Initiative „MachtMehrMusik/Schule braucht Musik“ aufging. Mit Lecker Sachen hatte man jene Faszination für Musik auf die Bühne gestellt, die man sich stets wünscht, die sich aber nicht verordnen lässt. Lecker Sachen sind independent, im Februar soll das nächste Album (das dritte) erscheinen. Sie haben sich das Jigit!-Team beziehungsweise Jigit Records als Label und Agentur für Booking und Promotion geschaffen, soeben in ihrem Widerstandsnest die Single/Remix-EP mit Videoclip-Präsentation „Wir sind für die Leute da“ veröffentlicht und sich damit endgültig für die Oberliga angemeldet. Lecker Sachen sind Markus „Herr Be“ Brachtendorf (Gesang, Mandoline, diverse Flöten), Prinzessin Elise (Geige), Ingo Stern (Schlagzeug) und Christoph „Meister Fader“ Stoll (Regler, Mixer, gehört zur Band). Seit jenem legendären Schulauftritt entwickelten sie sich konsequent weiter. Sie mischen Folk-Ethno, Pop und Tradition im eigentümlichen Verbund und auch mit anderen Künstlern. Zehn weiteren Acts mit dieser antizeitgeistigen Gesinnung haben sie auf ihrem Label Veröffentlichungen ermöglicht. Sänger Markus Brachtendorf merkt im Gespräch mit der nmz an, dass „wer aus der HipHop-Hörtradition kommt, der mag Lecker Sachen als Weiterentwicklung empfinden, wir sind aber weder HipHop-Act noch Folkband“. Ihr munterer Crossover ist sinnvoll, weil er keine Schubladen akzeptiert und sich lediglich neuen musikalischen Erkenntnissen verpflichtet fühlt. Jugend forscht. Markus Brachtendorf: „Rap hat als Bestandteil von HipHop große Auswirkungen. In den letzten Jahren hat das viele sozialisiert. Unsere Musik ist aber die Summe aus verschiedenen Elementen, die für uns populäre Musik ausmachen.“ Inzwischen werden auch die Majors hellhörig. Bei Universal Publishing unterschrieb man einen Verlagsvertrag, das Label Jigit wiederum vertreibt über Bellaphon. Die aktuelle Single versteht sich klar als Anrempler gegen die Hamburger Schule und die Berliner Luft. Die Kölschen Eigenbrötler bemängeln, dass ihre Stadt höchstens bei Karneval noch im Gespräch sei, die Bedeutung dieser musikalischen Region ansonsten zu wenig thematisiert würde.

Nun erinnert man sich ausgerechnet in Umbauzeiten an alte Aufbauzeiten, das Presseinfo ziert folgender Satz: „Lasst uns unser Köln wieder aufbauen! – Josef Kardinal Frings, 1887 – 1978“. Brachtendorf erklärt dies so: „Der Bischof Frings war volksnah und deshalb so beliebt bei den Leuten. Die vier Acts auf unserer Platte sind sehr unterschiedlich, Ska, Folk, Reggae, HipHop – das spiegelt neben der Elekt-ronik die Kölner Szene wider.„ Und mit der will man gemeinsam aufbrechen und es unter anderem der Berliner Mitte zeigen. Begleitet wird dies von heftiger Kritik an Um- und Zuständen. Aus Köln schallt es mit Brachtendorf heraus: „Die Musikbusiness-Misere kann ich so nicht nachvollziehen. Man mosert an den Konsumenten herum, nimmt das Publikum aber nicht ernst, es soll funktionieren. Musik-Marketing darf keine Hundedressur sein, über die Konsequenzen darf man sich dann nicht wundern.“ Brachtendorf organisiert die linksrheinische Revolte mit Slogans wie „Basisnahrungsmittel Musik“, „Reaktion auf die Konditionierung im Medienmusikgeschäft, welches den Fans den Geschmack diktieren will“. Um dann Fazit zu ziehen: „Auf unseren Konzerten wird der Unterschied klar: kein simpler Event, keine CD, die einfach in den Plattenspieler geschoben wird, Musik ist bei uns ein Erlebnis.“ Und weil die kritisierte Industrie auch mal Bündnispartner gegen den grauen Alltag sein kann, ist man demnächst dann trotzdem schon wieder dabei. Auf der geplanten „SchoolTour“ der Deutschen Phono-Akademie, die die wohldosierte Anarchie dann erneut von Aula zu Aula tragen will.

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