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Als Vierjährige ging Elena Denisova zum ersten Mal in die Geigenstunde. Mit 28 war sie selber Dozentin und lehrte am Moskauer Konservatorium. Gleichzeitig führte eine rege Konzerttätigkeit die Solistin in die großen Städte der ehemaligen Sowjetunion, der Tschechoslowakei, der DDR und Ungarn. Im Alter von 30 hat mancher Solist bereits den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht und beginnt damit, seine Erfahrungen an den geigerischen Nachwuchs weiterzugeben – wie beispielsweise Anne-Sophie Mutter mit ihrer Stiftung. Eine eigene Stiftung kann Elena Denisova allerdings nicht vorweisen. Für sie ging es nach ihrer Auswanderung aus Rußland vor neun Jahren zunächst einmal darum, „den richtigen Platz für sich selber zu finden“. Und der kann für die selbstbewußte Geigerin nur auf dem Podium sein.
Im Rückblick empfindet Elena Denisova ihre Moskauer Lebenssituation auch heute noch als bedrückend: „Ich fühlte mich völlig eingesperrt in Moskau, der Westen blieb verschlossen.“ In der sowjetischen Hauptstadt war das Publikum übersättigt, hier spielten internationale Stars wie Rostropowitsch oder Kremer. Es blieben nur Tourneen in die russische Provinz. Es konnte geschehen, daß die staatliche Konzertagentur die Künstlerin an Lebensmittelgeschäfte vermittelte. Einmal trat sie sogar im Gefängnis auf. „Es ist nicht besonders romantisch, vor einigen hundert Gefangenen zu spielen“, sagt Denisova heute nicht ohne ein Spur von Sarkasmus. „Neben mir stand ein Wachoffizier, und das Publikum klatschte auf sein Kommando.“ Beinahe drei Jahrzehnte hatte Elena inzwischen Geige gespielt, es war ihr Lebensinhalt. Und das sollte alles gewesen sein? Die junge Geigerin sah keinen Weg mehr, ihren Traum von der Solokarriere zu verwirklichen. Doch da trat Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika auf den Plan und öffnete somit auch für Elena Denisova das Tor in den Westen. „Nur mit ihrer Geige im Gepäck“ (so schrieb damals die Presse) verließ Denisova Rußland in Richtung Österreich und nahm Anfang 1990 eine Stelle als 1. Konzertmeisterin im Kärntner Sinfonieorchester an. Sie fragte um einen zinslosen Kredit beim örtlichen Theater an. Dann erst konnten Ehemann Alexej Kornienko und ihr dreijähriger Sohn Lev nachkommen. Doch die Denisova wollte mehr als eine feste Stelle. 1992 erhielten sie und Kornienko die österreichische Staatsbürgerschaft, jetzt erst konnten sie reisen – wichtigste Voraussetzung für den Aufbau einer internationalen Karriere.
Die frischgebackene Österreicherin gab ihren Orchesterposten auf und begann, wieder als Solistin zu arbeiten. Sie gründete das Moskauer Nationalquartett, dann, zusammen mit ihrem Mann Alexej, ein Kammerorchester, das Collegium Karinthiae. Spielen, spielen, spielen, hieß es nun für sie. Das war nicht einfach, denn im Klassikbetrieb sind die Engagements oft drei, vier Jahre im voraus festgelegt. Um die Form nicht zu verlieren, nahm sie selbst relativ unbedeutende Engagements in kleinen Orten an: „Ich habe, seit ich hier angefangen habe, nie etwas abgesagt.“ Inzwischen gibt sie wieder 60 Konzerte im Jahr, 1998 war beispielsweise auch ein Konzert im Salzburger Festspielhaus sowie im Brucknerhaus in Linz dabei. Dennoch: „Für ein Resümee ist es noch zu früh“, sagte sie, „ich beginne erst jetzt, dort zu spielen, wo ich möchte.“
Seit Jahren bemüht sich die Geigerin konsequent um ihr persönliches Repertoire. „Es gibt viel Sololiteratur, aber meist mit Orchester.“ Denisova spricht damit ein allseits bekanntes Problem an, aber sie zeigt auch gleich ihren individuellen Ausweg auf. „Mir persönlich fehlten Capricen, eine kleine Form, in der sich Virtuosität auch in unserem Jahrhundert entwickeln kann.“ 1993 sprach sie 13 verschiedene Komponisten an, darunter den renommierten Opernkomponisten Franz Hummel, der sie sowohl 1997 wie auch 1998 auf seinen Sinfonischen Sommer nach Riedenburg holte. Schon ein Jahr später hatte sie 13 virtuose Capricen auf ihrem Notenpult, die seither oft als Einzelstücke, aber auch mehrmals als abendfüllender Zyklus zur Aufführung kamen. Diese Capricen sind auf Denisovas Art des Violinspiels zugeschnitten: farbenreich, klangvoll und theatralisch. Und wie geschaffen für eine weitere Stärke der Musikerin: das expressive, wandlungsfähige und zugleich technisch perfekte Spiel.
Ein weiteres Projekt ist für dieses Jahr geplant. Denisova spielt zeitgenössische Partiten und Sonaten auf einer modernen Violine. Es sind Werke, die ihr, ähnlich wie die Capricen, teilweise zugeeignet sind. Nach der Pause wird dann als Kontrast Bach mit einem sogenannten Originalinstrument aus der Barockzeit auf dem Programm stehen. „Ich bin überzeugt, es kommt sowieso mein Klang heraus“, äußert sie selbstbewußt und ohne Angst vor neuen, unbekannten Instrumenten. „Ich liebe das Risiko, Stabilität ist nicht unbedingt etwas Positives, weder im Geigenspiel noch im Leben.“
Seit sie mit 16 von der Dreiviertelgeige auf die ganze wechselte, besaß Elena Denisova ein hervorragendes Instrument, eine Guarneri del Gesu. Doch das Instrument sprach sie nicht an. „Man kann wertvollen Schmuck haben, der trotzdem nicht unbedingt zu einem paßt“, umschreibt sie bildhaft ihr Problem mit dieser Guarneri, einem Erbstück. Vor zwölf Jahren nutzte sie eine unverhoffte Gelegenheit und tauschte während eines Meisterkurses bei Oleg Kagan ihre Violine gegen seine. „Man schätzt das Instrument als Ruggeri. Ich habe allerdings kein Zertifikat, doch das ist mir egal. Es ist ein Instrument, das exakt auf mich zugeschnitten ist.“ Eine lebenslange Bindung zwischen Künstlerin und Instrument ist jedoch auch dieses Mal nicht garantiert. Kürzlich lernte sie wieder ein neues Instrument kennen und lieben, wieder eine Guarneri, diesmal aus dem Jahre 1704, im Wert von zirka 700.000 Mark. Jetzt hofft sie darauf, daß der Staat Österreich die Geige erwirbt und sie das Instrument als Leihgabe spielen darf.
Herausforderungen suchen
Elena Denisova legt Wert auf die zeitgenössische Musik in ihrem Repertoire. Aber: Sie will nicht zur Spezialistin werden. Als Moskauer Geigerin hat sie natürlich ihre Hausaufgaben gemacht. Das heißt, sie beherrscht das „russische Repertoire“, auch wenn sie sagt: „Ich liebe Schubert, ich liebe Mozart, nicht diesen ewigen Tschaikowsky, Schostakowitsch, Prokofieff.“ Auf gewisse Tendenzen im „Alte-Musik-Betrieb“ reagiert sie allerdings allergisch: „Barockmusik gehört heute beinahe schon zum Unterhaltungssektor. Ein paar alte Instrumente, ein paar Kostüme, das Publikum entspannt sich und wird nicht gefordert – mit Musik hat das wenig zu tun.“ Dennoch hat sie keine Berührungsängste vor einer ernst gemeinten „historischen“ Aufführungspraxis. „Ich spiele Bachkonzerte auch einen halben Ton tiefer, warum nicht. Das ist nur eine Frage der Übung.“ Eigentlich geht es ihr aber nicht darum, Moden und Trends des heutigen Musikbetriebs zu bedienen, sondern um die eigene Aussage: „Wenn ich ein Stück von Bach interpretiere, dann muß ich das so machen, daß das Publikum einen Sinn darin sieht, sich das trotz Schallplatte und zahlloser Aufführungen noch einmal anzuhören. Sauber und schnell, das ist gewiß nicht mein Konzept für Bach. Das haben schon all die andern in Moskau gelernt.“