Selbst für ein Ensemble, das sich wie das Bayerische Kammerorchester programmatische Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, war dieser Konzertabend eher außergewöhnlich. Aus Anlass des 100. Geburtstages von Peter Kreuder widmete das Orchester seine Neujahrsgala im König-Ludwig I.-Saal Bad Brückenau dem in den 20er- bis 40er-Jahren so beliebten Unterhaltungs-Komponisten. Programmatisch der Titel des Konzerts, entliehen einer der bekanntesten Melodien Kreuders: „Musik, Musik, Musik“. Weniger programmatisch begreift das Orchester allerdings die berühmte Textzeile des Songs: „Ich brauche keine Millionen…“. Alleine mit Musik, die alle Beteiligten verbindet, lässt sich ein solcher Apparat eben nicht zusammenhalten – aber um eine halbwegs gesicherte Finanzierung musste das Ensemble in den letzten Jahren verstärkt kämpfen und bangen. Das berichtet der Mitbegründer, Dirigent und Intendant des Bayerischen Kammerorchesters (ehemals „Kammerorchester Schloß Werneck“), Ulf Klausenitzer.
Am liebsten will sich der querköpfige Geiger, Dirigent und Pädagoge – seit einigen Jahren ist er auch Professor an der Musikhochschule Nürnberg – nur um Programmplanung und musikalische Qualität kümmern. Um das Orchester aber halten zu können und voranzubringen bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auch kulturpolitisch und organisatorisch für sein Orchester einzusetzen, das er vor 25 Jahren gemeinsam mit einer Handvoll junger engagierter Musiker in Werneck (bei Schweinfurt) gründete. Ziel war und ist es, ein hochkarätiges Ensemble aus Profimusikern vorzuhalten, das sich den unterschiedlichsten musikalischen Herausforderungen stellt: Werke mit historischen Instrumenten stehen dabei ebenso auf dem Programm wie Neue Musik, Jazz mit Partnern wie Dave Brubeck oder Jacques Loussier gehört zu den Schwerpunkten. Aber auch das Klassik Open Air „zum Träumen und Picknicken im Kurpark“, die „Last Night of the Proms“ oder kabarettistische Abende mit Gerhard Polt oder Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig finden sich wie selbstverständlich im Jahresprogramm.
Hintergrund für die Vielfalt ist ein besonderes Verständnis von Musik und Musikerpersönlichkeiten – stark geprägt und transportiert vom Kopf des Ganzen, von Ulf Klausenitzer. „Die Idee war es immer, den Musiker in seiner pädagogischen, seiner spielerischen, seiner programmplanerischen Fähigkeit zu nutzen.“ Die Mitglieder des Ensembles, die von dem, was sie bei Arbeits- und Konzertphasen des Orchesters verdienen, nicht leben können, sondern anderweitig – sei es durch Unterrichten, sei es durch feste oder freie Stellen in anderen Orchestern – ihre Brötchen verdienen müssen, werden durch diesen Gedanken gefordert, aber auch gefördert. So gehörte das Ensemble zu den Ersten, die sich des Themas „Musikvermittlung für Kinder“ systematisch annahmen und es mit ihrem Konzept „Musik zum Anfassen“ in Kindergärten und Schulen auch realisierten. Klausenitzer träumt von einer noch engeren Kooperation mit Ganztags- und Musikschulen, die immerhin bereits auf den Weg gebracht wurde.
Und er spricht immer wieder von der zukunftsweisenden Struktur des Orchesters, die sich nicht nur in der Programm-, sondern auch in der Besetzungsflexibilität beweist. „Das ist der Traum von Herrn Eötvös, der sagt: Wir brauchen einen Orchesterpool,“ so Klausenitzer. Die circa 70 Mitglieder teilen sich regelmäßig in Projektgruppen, so dass eben nicht jeder alles bedient und kleinere wie größere Programme und Besetzungen möglich sind. Ein Muss, findet Ulf Klausenitzer, für ein Orchester, das sich sehr bewusst für einen Standort in der bayerischen Provinz, dazu noch in Randlage zum Hessischen, entschieden hat. Aber das Bekenntnis zur Regionalität, sonntags von Politikern gerne beschworen, findet montags keine Geldgeber. Von der Politik fühlen sich Klausenitzer und sein Team allein gelassen. Finanziert wird das Ensemble zu 50 Prozent aus öffentlichen Mitteln, das Land Bayern, der Bezirk Unterfranken, der Landkreis Bad Kissingen und die Stadt Bad Brückenau sind an diesem „Topf“ beteiligt. Die andere Hälfte der Finanzierung wird durch Sponsoren und Konzerteinnahmen eingebracht. Diese Quote aber, so der Intendant, hängt nicht mit der umwerfenden Höhe der Eigenmittel zusammen, sondern eher mit der bescheidenen Ausstattung durch öffentliche Geldgeber.
Flexibilität und Vielfalt sind Glaubenssatz und Markenzeichen des Ensembles. Wer jedoch die Vielfalt als Marke wählt, sieht sich in dem Dilemma, dass er gerade kein leicht erkennbares Spezifikum anzubieten hat. Nicht zuletzt dieses Dilemma führt womöglich dazu, dass der erwünschte Bekannheitsgrad auch über regionale Grenzen hinaus trotz Engagement und Qualität noch nicht erreicht ist. Dabei gibt es durchaus weitere Aspekte der Markenbildung, die Klausenitzer mit dem Kammerorchester verfolgt. „Orchester machen sich dann unentbehrlich, wenn sie eine spezifische Klangkultur haben. In allen Orchestern multikulturelle Klangkultur zu befördern, so dass alle gleich klingen, das finde ich sehr problematisch.“ Eine klare Wiedererkennbarkeit wünscht er sich, „sozusagen eine klingende Marke des Orchesters“, und die versucht er mit seinen Musikern zu realisieren.
Markenbildung ist immer auch eine Frage der Namensgebung. Die Umbenennung des vormaligen „Kammerorchester Schloss Werneck“ in „Bayerisches Kammerorchester“, verbunden mit dem Standortwechsel nach Bad Brückenau, sollte als Profilierungschance nicht ungenutzt bleiben; bietet der neue Name doch über bayerische und nationale Grenzen hinaus Unverwechselbarkeit und Identifikationsmöglichkeit, die der alte nicht hatte.
Dabei hat der Namenswechsel eine unschöne Vorgeschichte. Denn eigentlich wären Geschäftsstelle und Musiker gerne im viele Jahre zur „Heimat“ erklärten Werneck geblieben, wo sie alljährlich auch die Wernecker Schlosskonzerte gestalteten. Um hier jedoch eine – bei Open Air-Konzerten so wichtige – wetterresistente Lösung zu finden, plante das Orchester den Bau eines „teatro“ (die Pläne hierzu sind auf der Webseite des Orchesters noch einsehbar). Der Gemeinderat sagte Nein – und die Finanzierung nicht nur des Theaters, sondern auch der Schlosskonzerte war geplatzt. Ohne sachliche Auseinandersetzung, so Klausenitzer und der sehr sparsamen Bauplanung zum Trotz. „Dann hat schließlich die Fußball- und Blasmusikfraktion gegen die Hochkultur gewonnen. Ein soziologisch hochproblematischer Aspekt.“
Ein neuer Standort musste also her; den haben die Musiker nun in Bad Brückenau gefunden. Ob das Orchester hier wirklich andocken kann, muss sich erst noch zeigen. Erste örtliche Sponsoren wie das dem Konzertsaal direkt gegenüberliegende Dorint Hotel haben sich bereits gefunden. Das Jubiläumskonzert mit einer Uraufführung von Karlheinz Stockhausen hat das Publikum zunächst einmal nicht abgeschreckt. Und die Neujahrsgala mit Peter Kreuder versammelte die Brückenauer Prominenz, die die eingängigen Melodien offensichtlich genossen. Bleibt zu hoffen, dass man die bereits zitierte Zeile dort nicht wörtlich genommen hat. Denn um zu überleben, braucht das Orchester eben doch „die Millionen“.