Das Klavier hatte die im Januar 1927 in Pilsen geborene Zuzana Ružicková schon als Kind fasziniert. Eigentlich hatten die Eltern ihr keinen Musikunterricht geben wollen. Als die achtjährige Zuzana während einer schweren Lungenentzündung aber immer von Musik und vom Klavierspiel träumte, erfüllten sie ihr diesen dringenden Wunsch.
Die Klavierlehrerin entdeckte schnell die besondere Begabung ihrer Schülerin für Johann Sebastian Bach. „In Bachs Musik fand ich mich zuhause.“ Von der Lehrerin erfuhr sie, dass der Leipziger Thomaskantor nicht für das Klavier, sondern für Orgel oder Cembalo komponiert hatte. Da Zuzana aber lärmempfindlich war und ungeheizte Kirchen fürchtete, bevorzugte sie das zartere Cembalo, obwohl solche Instrumente in Pilsen damals nicht vorhanden waren. Nachdem sie Grammophonplatten mit Wanda Landowska gehört hatte, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Schulzeit nach Frankreich zu gehen, um bei dieser berühmten Cembalistin zu studieren.
Dazu kam es nicht mehr. Unter der deutschen Besatzung wurde das jüdische Mädchen im Januar 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie nahm Bachs Französische Suiten mit. Aber nur selten erhielt sie die Möglichkeit, diese auf einem alten Flügel zu spielen. Dagegen konnte sie bei Smetanas „Verkaufter Braut“ im Chor mitsingen und an den Proben für die Kinderoper „Brundibar“ teilnehmen. Dann aber wurde sie im Dezember 1943 mit ihrer Mutter nach Auschwitz transportiert. Hierhin durfte Zuzana keine Notenbände mehr mitnehmen. Sie schrieb aber ihr Lieblingsstück, die Sarabande aus der Französischen Suite E-Dur, ab. Dieses Notenblatt war ihr Talisman, den sie auch bei sich behielt, als man ihr bei der Ankunft alles Gepäck abnahm. Als Mutter und Tochter getrennt wurden, brachte das durch einen Windzug verwehte Blatt beide wieder zusammen.
In Auschwitz gab es kein Klavier. Wenn sich das damals 16-jährige Mädchen aber im Kopf die Bach-Sarabande vorstellte, fand sie bessere Gedanken. Den inhaftierten Kindern sang sie Lieder vor und gab ihnen damit Hoffnung. Wie durch ein Wunder blieben Mutter und Tochter vereint und entgingen der Ermordung. Im Juli 1944 wurden sie in ein Außenlager des KZ Neuengamme verlegt und als Arbeitskräfte im bombenzerstörten Hamburg eingesetzt. Noch schlimmer wurde es, als sie im Februar 1945 ins KZ Bergen-Belsen kamen. Hier fehlte es an allem. Mutter und Tochter erkrankten schwer an Flecktyphus und wären gestorben, wäre das Lager nicht am 15. April durch britische Truppen befreit worden. Als Zuzana Ružicková nach der Rückkehr in Pilsen ihre alte Klavierlehrerin traf, brach diese in Tränen aus. Denn die Hände der einstigen Schülerin waren durch die schwere Zwangsarbeit so ruiniert, dass eine Musikerkarriere unmöglich schien. Trotz verzweifelter Momente hielt die junge Frau an ihrem Traum fest und fing mit dem Klavierspiel wieder ganz von vorne an. Mit eisernem Fleiß brachte sie es so weit, dass sie im Herbst 1947 an der Prager Musikakademie die Klavier-Aufnahmeprüfung bestand. Sie bevorzugte nun Werke der Romantik, des Impressionismus und der Moderne. Zu Bach fand sie erst wieder, als die Hochschule im dritten Studienjahr das neue Nebenfach Cembalo einrichtete. Zuzana Ružicková schrieb sich sofort ein. „Alle Probleme, die ich bis dahin mit Bach auf dem Klavier hatte, waren weg. Erst auf dem Cembalo klang seine Musik, wie ich sie mir vorstellte.“
In Prag war sie die einzige Cembalistin. Dieses Instrument galt den Kommunisten als ein feudales Relikt und wurde wenig geschätzt. Als sie mit den Goldberg-Variationen 1956 in München am ARD-Wettbewerb teilnahm, erhielt sie zu ihrer Überraschung den 2. Preis; der erste wurde nicht vergeben. Dabei hatte sie zunächst große Scheu, überhaupt wieder nach Deutschland zu reisen. Als sie 1967 zur Bachwoche nach Ansbach eingeladen wurde, fürchtete sie, im Publikum einen ihrer KZ-Peiniger zu treffen. Aber dann dachte sie an Bach und dessen Musik, deren heilende Kraft sie an sich selbst erfahren hatte. „Vielleicht ändert sie auch diesen Menschen.“
Mit einem Vertrag der Firma Erato begann sie 1965 eine Gesamtaufnahme aller Clavier-Werke Bachs. Diese Aufnahmen, die innerhalb von zehn Jahren in Prag und Paris stattfanden, bedeuteten für sie die schönste Zeit ihres Lebens. „Bach bedeutete für mich etwas, was den Menschen übertrifft, was die Bosheit der Menschen, die menschlichen Leiden überragt.“ Es folgten Auszeichnungen und Einladungen zu internationalen Konzertreisen, die der tschechische Staat gerne unterstützte, da sie Devisen einbrachten. In Leipzig traf die Cembalistin Günter Ramin wieder, den sie schon als junges Mädchen bei einem Zusammentreffen im Riesengebirge mit ihrem Bachspiel beeindruckt hatte.
Obwohl sich Zuzana Ružicková sonst nicht für Politik interessierte, begrüßte sie den Prager Frühling. Nach dessen Niederschlagung 1968 dachte sie zeitweilig an Emigration. Sie blieb dann aber doch in ihrer Heimat, wo sie und ihr Ehemann, der Komponist Viktor Kalabis, wenig Unterstützung fanden. Erst nach der Wende erhielt die Künstlerin in Prag eine Cembalo-Professur. Endlich erhielt sie damit auch in der Tschechoslowakei die Anerkennung, die sie im Ausland längst besaß.
Ihre Bach-Gesamtaufnahme, die auch die Sonaten für Violine und Cembalo (mit Josef Suk) sowie die für Viola da Gamba und Cembalo (mit Pierre Fournier) enthält, wurde anlässlich ihres 90. Geburtstages digitalisiert und auf 20 CDs bei Erato herausgebracht. Zu den interpretatorischen Höhepunkten gehört die Chromatische Fantasie und Fuge d-moll. Den Schluss der Fantasie hat die Cembalistin einmal als „wohl die stärkste Wehklage in der Musik überhaupt“ bezeichnet. „Und auf einmal kommt die Fuge – eine Ordnung, etwas, was unser verzweifeltes Elend überragt.“ Ohne einer bestimmten Schule anzugehören, sieht sich Zuzana Ružicková in ihrem Cembalo-Spiel geistesverwandt mit Ramin, Helmut Walcha und Karl Richter. Wie diese bevorzugt sie moderne Cembali der Marken Neupert und Ammer. Nur ganz selten verwendete sie in dieser Edition historische Instrumente. Ein schönes Beispiel ist die Suite B-Dur BWV 821, die auf einem doppelmanualigen Pariser Cembalo von 1761 besonders intim und klanglich flexibel wirkt. Es folgt auf der gleichen CD die Fantasie c-moll BWV 906, die fast orgelmäßig mit schwerer 16-Fuß-Registrierung beginnt; wie immer unterstrich die Künstlerin aber auch hier die formale Gliederung sinnvoll durch Registerwechsel. Die Französischen Suiten gestaltete sie in den Klangfarben besonders abwechslungsreich. Dies gilt auch für die vielgeliebte Sarabande aus der E-Dur-Suite, die sie wegen der Verknüpfung mit traumatischen Erinnerungen an Auschwitz sonst nie im Konzert spielte.