Schon als Kind wollte Johannes Wallmann (*23.2.1952) „die Erde mit den Ohren umarmen“. Doch alsbald stieß er mit seinen visionären Klangvorstellungen an die Grenzen der Realität. Die außergewöhnliche musikalische Begabung des gebürtigen Leipzigers, der in Dresden aufgewachsen ist, wurde zwar früh erkannt, seine Entwicklung aber nicht lange gefördert, im Gegenteil.
Er geriet ins Visier von Kulturbürokratie und Staatssicherheit, in deren Akten zu lesen ist, dass „Inhalt und Ausdruck seiner Kompositionen eine negative und staatsfeindliche Thematik und Zielstellung vermuten lassen“. Sein Kompositionsstudium musste Wallmann 21-jährig vorzeitig abbrechen, sein Auskommen fand er als Orchestermusiker. 1975 gründete er die „Gruppe Neue Musik Weimar“, die mit ihren unkonventionellen Programmen für Aufsehen sorgte. Eine Genugtuung war es auch, dass ihn Friedrich Goldmann 1980/81 als Meisterschüler an der Ostberliner Akademie der Künste unterrichtete. Wichtige Anregungen erhielt Wallmann zudem von Bildenden Künstlern, zumal von Kurt W. Streubel.
Zwar erwuchs aus dem Gegensatz zwischen individuellen Neigungen und gesellschaftlichen Bedingungen ein brisantes Spannungsfeld, auf seine DDR-Vergangenheit reduzieren lässt sich Wallmann aber nicht. 1988 reiste er mit seiner Frau in die BRD aus; und auch im bald darauf vereinten Deutschland reflektierte er über sein Komponieren hinaus intensiv über Bedeutung und Akzeptanz „moderner Kunst“. Ausformuliert hat er seine weit ausgreifende Gedankenwelt in der Publikation „Integrale Moderne – Vision und Philosophie der Zukunft“ (2006). Darin legt Wallmann dar, dass die Menschheit nur in dem Maße Zukunft habe, wie sie Kultur zu einem ideologiefreien Wertesystem weiterzuentwickeln vermag. Kunst ist für ihn nicht einfach Modell oder Vorschein der Wirklichkeit. Vielmehr erfasst seine Utopie von einer „Integralen Moderne“ alle Lebensbereiche, die er als Netz von Verknüpfungen ansieht. Eine ebenfalls spannend zu lesende Fortsetzung ist sein 2009 erschienenes Buch „Die Wende ging schief – oder warum Biografie mehr als nur eine rein persönliche Angelegenheit ist.“ Eindringlich zog Wallmann anhand seines eigenen Lebens, das als Beispiel gleichwohl über sich hinausweist, schlüssige Verbindungslinien zwischen schöpferischer Arbeit , sozialem und kulturellem Umfeld.
Hand in Hand mit seinem Entwurf einer „Integralen Moderne“ geht sein seit Anfang der 1980er-Jahre verfolgtes Konzept einer „Integral-Art“, mit der er auf eine enge Korrespondenz zwischen Kunst und Lebensalltag im öffentlichen Raum zielt. Sticht bereits in seinen traditionell besetzten Werken, vom Solo bis zum Orchesterstück, die besondere Berücksichtigung des Aufführungsraums hervor, so kommt dieser Aspekt in seinen „Landschaftsklang-Kompositionen“ noch stärker zum Tragen. Sein erstes Projekt dieser Art trug den Titel „Schweben und hören, von Klang zu Klang“ (1992) – realisiert im Rahmen des von ihm initiierten Klangkunst-Festivals „Bauhütte Klangzeit Wuppertal“.
Weitere „Landschaftsklang-Kompositionen“ waren „Klangfelsen Helgoland“ (1996) und „Der blaue Klang“ (2004). Sehr bekannt geworden ist sein 1995 entstandenes „Glocken-Requiem Dresden“, eine „Stadtklang-Komposition für 129 vernetzte Kirchenglocken“ zu Erinnerung an die Zerstörung Dresdens 50 Jahre zuvor. „Die Erde mit den Ohren zu umarmen“ und zugleich metaphorisch philosophische und gesellschaftliche Fragen aufzuwerfen und in Klang zu abstrahieren, ist auch für seine jüngsten Werke maßgeblich – so in dem betörenden „Rainer-Kunze-Zyklus“ (2009) und in den in „Solo Universe“ (2009/10) vereinten fünf Konzerten für Solobläser und Orchester. Dass Arnold Schönberg und dessen Organisation des musikalischen Materials nach wie vor das Fundament seinen kompositorischen Ansatzes bilden, drängt sich dem Hörer nicht auf – schließlich schlug Wallmann, der in diesen Tagen seinen 60. Geburtstag feiert, auf dieser Basis ganz eigene Wege ein.