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Isabel Mundry. Foto: A.Ackermann
Isabel Mundry. Foto: A.Ackermann
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Mozart ohne Wissensballast

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Als Artiste étoile schafft Isabel Mundry für das Mozartfest 2022 neue Hörperspektiven
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„Alles in einem: Freigeist Mozart“. Unter diesem Motto feiert Würzburg vom 20. Mai bis zum 19. Juni 2022 zum einhundertundersten Mal sein Mozartfest. Das Festival steht unter dem Stern des Aufbruchs in ein neues Jahrhundert. Wobei der „Stern“ ganz wörtlich genommen werden kann, denn Artiste étoile ist in diesem Jahr erstmals eine Komponistin. Was könnte mehr Aufbruch signalisieren? Isabel Mundry, Komponistin, Hochschulprofessorin und prägende Figur in der Welt der Neuen Musik, kuratierte acht Programme für das Mozartfest. Vier ihrer Stücke sollen ihre Uraufführung in Würzburg erleben, darunter das Auftragswerk „Si­­­g­­na­turen“ für zwei Klaviere, Schlagzeug und Streicher.

Was eine zeitgenössische Komponistin an einem über hundertjährigen Mozartfestival reizt, beantwortet Isabel Mundry mit einer Gegenfrage; „Warum sollte es für eine Komponistin weniger interessant sein, im Kontext von Mozart gespielt zu werden, als in dem der Neuen Musik?“ Der experimentelle Umgang mit Kontexten ist das, was sie reizt. Ob es Mozart ist, Musik aus anderen Kulturen oder Popmusik – man könne noch viel mehr experimentieren, vorausgesetzt die Kuratierung sei sinnvoll, meint Mundry.

Für das Mozartfest musste jedoch ein Rahmen gesetzt werden. Allein Mozart und zeitgenössische Musik in allen Programmen zusammenzubringen, sei eine Herausforderung gewesen, die ihr manchmal Kopfzerbrechen bereitet habe, gibt die Kuratorin zu. Ihr wichtige aktuelle Fragen, zum Beispiel der Transkulturalität, waren in diesem Zusammenhang nicht einfach unterzubringen. Trotzdem lässt Mundry soziologisch-politische Aspekte in ihre Programme einfließen: „Bei Mozart sind viele Hörakte gelegt, die ich extrem mit unserer Rezeptionsgeschichte verbinde. Ich habe versucht, Programme zu entwickeln, die einladen, diese Musik ohne bestimmte Wissensgrundlagen zu hören. Letztendlich habe ich versucht, phänomenologisch ranzugehen.“ Mozart also einmal ganz anders, ganz neu wahrnehmen. Isabel Mundry möchte ihre Stücke in bestehende Hörperspektiven hineinbringen und gleichzeitig dazu einladen, diese Hörperspektiven auf anderes auszurichten.

Dieses Ziel verfolgt Mundry auch, wenn sie das klassische Konzertformat infrage stellt. Bei einigen Konzerten soll es zwischen den Stücken keinen Applaus geben; „Wenn das eine zu schweigen beginnt, geht das andere los“. Ihre Auftragskomposition „Signaturen“ greift den letzten Takt von Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur KV 448 auf und stellt einen nahtlosen Übergang dar. Mundry geht es um das Ineinandergreifen, das Spiegeln des einen im anderen, nicht um die bloße Gegenüberstellung. Im gleichen Konzert, in dem auch „Signaturen“ erklingen soll, verschränkt sie Mozarts Fantasie für Orgelwalze mit Bernd Alois Zimmermanns Monologen für zwei Klaviere. Statt beide Stücke nacheinander zu spielen, werden die einzelnen Sätze abwechselnd vorgetragen und so miteinander verwoben. Noch so ein Experiment, bei dem es um Wechselseitigkeiten geht und welches das Motto des Mozartfestes 2022 aufgreift: „Alles in einem“.

Den Kuratierungsprozess beschreibt Isabel Mundry als kommunikative Tätigkeit. Die Programme sind in enger Zusammenarbeit mit den Interpretinnen und Interpreten entstanden. Die Komponistin bringt viele Freunde und damit viel frischen Wind mit nach Würzburg: Leuchttürme der Neue-Musik-Szene wie das Ensemble Musikfabrik, Ensemble Recherche und Ensemble Resonanz sind zum ersten Mal zu Gast beim Mozartfest. „Es war naheliegend, meine Welt in dieses Fes­tival reinzuholen und es war auch mein Wunsch“. Gleichzeitig freut sich Mundry, mit anderen Künstler*innen und Klangkörpern, wie den Bamberger Symphonikern, zum ers­ten Mal zusammenzuarbeiten.

Während des Mozartfestes wird die Artiste étoile zwar vor Ort sein, aber auch ständig zu den Proben ihrer Stücke in verschiedenen Städten Deutschlands reisen: „Das wird ein großes Zick Zack“. Dennoch räumt Mundry Zeit für das MozartLabor ein, wo sie bei Gesprächsveranstaltungen in den Austausch mit dem Philosophen Dieter Mersch treten wird. Außerdem betreut sie eine Gruppe junger Komponist*innen: „Auch wir wollen unseren internen Austausch haben.“ Der findet unter anderem im Rahmen eines Think Tanks zwischen dem 28. Mai und dem ersten Juni statt. Fragen zu Traditionen, wie sie auch das Mozartfest verkörpert, und zum zeitgenössischen Komponieren werden hier im geschlossenen Raum diskutiert.

Dass das MozartLabor aber nicht nur im geschlossenen Raum stattfindet, sondern „Querverbindungen zwischen Theorie und Praxis“ spannt, wie im Programm zu lesen ist, zeigt sich bei unterschiedlichsten Veranstaltungen innerhalb eines viertägigen Programms, die von Yoga am Morgen über offene Proben mit prominenten Mozartfest-Künstler*innen bis zum Nachtkino am Abend reichen. Dazwischen kann man einen Livepodcast mit Elisa Erkelenz und David-Maria Gramse erleben, bei dem Violinistin Carolin Widmann und Streetworker Burak Caniperk zu Gast sein werden. Teilnehmer*innen des MozartLabors präsentieren am 31. Mai bei einer Abschlussveranstaltung die Ergebnisse ihrer Arbeiten zu verschiedenen aktuellen Themen, wie „Kreative Konzertformate“, „Klassische Musik und Digitalisierung“ und „Podcast“. Am selben Tag wird es ein Abschlusskonzert geben, bei dem das Arete Quartet und das Trio Abstrakt die Ergebnisse ihrer künstlerischen und interpretatorischen Arbeit präsentieren werden.

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