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Musikalisches Surrounderlebnis im Pater Noster

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„piano possibile“ – das Münchner Ensemble für Neue Musik ist immer auf der Suche nach alternativen Auftrittsorten
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Piano possibile: So leise wie möglich – ah ja, hier will sich Neue Musik quasi durchs Hintertürchen in unsere Ohren schleichen. Ein Nashorn im Logo des Ensembles sorgt jedoch für Verwirrung: vielleicht doch eher kraftvoll vehement im Auftritt? Trotz durchaus subtiler Klangkultur sind die Musiker von „piano possibile“ keine interpretatorischen Leisetreter – der Name, der in zarter Ironie zur ursprünglich kruden blechlastigen Grundbesetzung des Ensembles gewählt wurde, täuscht auf’s erste. Das junge Münchener Ensemble, das für seine forsche Herangehensweise an den Partiturtext gelobt und gerügt wird, beschreitet vielmehr energisch und voller Überzeugungskraft den schmalen Pfad der Neuen Musik, will zeitgenössischer Kunst mit einer Verbindung aus Musik und Szene einen neuen Weg öffnen. Ein erstaunlich homogenes Ensemble ist hier innerhalb von nur wenigen Jahren aus 15 Musikern gewachsen, die aus so unterschiedlichen Richtungen wie Klassik, Avantgarde und Jazz kommen. Sinnliche Intensität des Klangs, gestische Individualität in der Tongebung und szenische Präsenz sind mittlerweile Markenzeichen der jungen Instrumentalisten, die nicht nur innerhalb des Ensembles, sondern auch solistisch und in anderen Formationen aktiv sind; die beiden Bratschen beispielsweise spielen im renommierten Münchner Kammerorchester, Klarinettist Heinz Friedl ist Mitglied im Improvisationsensemble „Baader 66“ der Jungen Deutschen Philharmonie. Das Repertoire von „piano possibile“ umfasst überwiegend zeitgenössische Musik ab ungefähr 1960, besticht durch eine ästhetisch vorurteilsfreie Auswahl, die neben klassischer Avantgarde der letzten Jahrzehnte auch Ur- und Erstaufführungen junger deutscher Komponisten der 90er-Jahre umfasst. Ab und zu geht das Ensemble auch in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück, leistet darüber hinaus in München Pionierarbeit mit selten gespielten Stücken international bedeutender Komponisten – Werke des portugiesischen Komponisten Emmanuel Nunes beispielsweise, Ensemblestücke von Xenakis oder des Spektralisten Tristan Murail, einer Schule, die in München bisher noch nie präsentiert wurde. Momentan erarbeiten die Musiker in einer Konzertreihe systematisch musikalische Porträts einzelner europäischer Länder, die jeweils ein repräsentativer Komponist programmatisch betreut. Für Programmauswahl und dramaturgischen Hintergrund von „piano possibile“ zeichnet, zusammen mit dem Komponisten Klaus Schedl, Carl Christian Bettendorf (ebenfalls Bose-Schüler) verantwortlich. Bettendorf, der primär die klassische, nicht-szenische Konzertlinie des Ensembles verfolgt und die Vorzüge der relativ liberalen Münchener Szene durchaus zu schätzen weiß, setzt sich in der Auswahl der Stücke bewusst einem größeren Einflußbereich aus: „Viele Ensembles bevorzugen letztendlich doch bestimmte ästhetische Ecken – wohl oft auch durch ihren Wirkungsort bedingt. Die Münchener Szene ist da eigentlich bemerkenswert bunt und offen, vielleicht irgendwie gesünder als in anderen Städten –, es gibt hier keine allzu dominante Figur, nach der das gesamte Musikleben ausgerichtet ist; deshalb kann ‚piano possibile‘ in der Wahl seines Repertoires auch so offen sein.“ Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen – meist in kleiner Grundbesetzung, die projektbezogen erweitert wird – ist „piano possibile“ in München die einzige Neue-Musik-Formation, die wirklich konstante Ensemblearbeit leistet. „Wir versuchen, in unserer London-Sinfonietta-Besetzung (jedes Instrument ist hier einfach besetzt) in erster Linie kontinuierlich zu arbeiten, einen ganz eigenen Klang zu entwickeln – im Prinzip funktioniert das wie große Kammermusik“, erklärt Bettendorf, der in Vertretung des festen musikalischen Leiters Christian Günther, momentan in Halle engagiert, zwischenzeitlich die nächsten Konzerte dirigieren wird. Erklärtes Ziel ist es, ein unverwechselbarer Klangkörper zu werden: „Die klassischen Repertoirestücke sollen auch wirklich nach uns klingen – das ist durchaus nicht unbedingt selbstverständlich für die Neue Musik, die oft nach dem Prinzip Karteikartenensemble zusammengewürfelt wird.“ Eine konkurrenzorientierte Abgrenzung zu anderen Münchner Formationen gibt es kaum – dazu sind Fluktuation und Austausch in der relativ überschaubaren Szene einfach zu groß. Und „piano possibile“ versteht sich andererseits ja durchaus auch als Pool für verschiedene kleinere Projekte, auch in Zusammenarbeit mit anderen Ensembles. Den Musikern ist es wichtig, flexibel und mobil zu bleiben, „eventmäßig auch kurzfristig in ein Projekt hineinzugehen“, sich individuell entwickeln zu können und die Ideen dann wieder ins Ensemble miteinzubringen. „Vor allem szenische Produktionen, meist nur mit einem Teil des Ensembles, sind ein anderer Schwerpunkt unserer Arbeit“, erklärt Trompeter Philipp Kolb, Gründungsmitglied und einer der Hauptorganisatoren mit besonderer Vorliebe für die Verbindung von Musik und Szene. „Die Impulse dazu kommen meist von den Musikern selbst, Gruppen bilden sich dann automatisch.“ Der Schauspielunterricht, den „piano possible“ für bestimmte Projekte organisiert hat, hilft aber auch für die normale Konzertsituation. „Man bekommt einfach ein anderes Bewusstsein dafür, wie man auf der Bühne wirkt – eine Präsenz, die man, denke ich, auch spürt. Vielleicht ist es das, was unsere Live-Konzerte auch mit ausmacht – oder andererseits Neue Musik auf CD auch sehr schwierig macht, eben weil sie dann sehr schnell kalt wirkt.“ Um auch dem breiten Publikum einen erlebnisreichen Einstieg in die Klangwelten Neuer Musik zu verschaffen, ist „piano possibile“ immer auf der Suche nach alternativen Auftrittsorten und ungewöhnlichen Projekten – ein Konzert mit Nacht-Musiken zur Ausstellung „Die Nacht“ im Haus der Kunst beispielsweise, ein musikalisches Surrounderlebnis im Pater Noster von Münchens ältestem Hochhaus oder das „Ensemble Finale“, das das Endspiel der letzten Fußball-WM klangkräftig unterstützt hat. „Seriösere“ Projekte sind dagegen etwa Koproduktionen mit der Opernschule im Münchener Prinzregententheater, das musikalische Szenario „Brainwalker“ im Werkraum der Kammerspiele oder Konzerte im Rahmen der Münchener Biennale. 1997 wurde „piano possibile“ mit dem Kulturförderpreis der Stadt München gewürdigt, seither wird das Ensemble finanziell geringfügig unterstützt. „Das mit der Finanzierung ist trotzdem noch ein ziemlicher Spießrutenlauf, keine Institution ist wirklich bereit, kontinuierlich zu fördern – was am Anfang eigentlich unerlässlich ist und ja auch anderen Ensembles auf die Beine geholfen hat“, klagt Bettendorf. Dem „Ensemble Modern“ beispielsweise stellte die Stadt Frankfurt von Anfang an Probenräume und Administration zur Verfügung – „piano possibile“ darf zwar projektweise das Einstein Kulturzentrum nutzen, hat aber immer noch keinen kontinuierlichen Probenraum. Hin und wieder wird der selbstlose Einsatz auch gewürdigt: Anfang November erhält „piano possibile“ den Sonderpreis der Forberg-Schneider-Stiftung München – gerade rechtzeitig, um die nächste CD zu finanzieren, die im Frühjahr 2000 bei Cybele erscheinen wird.

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