Die Szene ist grotesk. Da fährt eine Norwegerin 24 Monate mit dem Fahrrad durch Oslo und nimmt so ziemlich jedes Geräusch auf, das ihr vor den Gesundheitslenker fällt. Doch es kommt noch schlimmer. Hanne Hukkelberg, besagte Norwegerin, nimmt diese Fundstücke und bastelt daraus Musik. Auf dem ersten Album „Little Things“ derart genial wie widerspenstig, dass die „Sunday Times“ das Album zu den zehn wichtigsten im Jahr 2005 zählt. Und Kritiker seitdem scheitern, die Musik greifbar zu machen.
Wie auch? Nimmt man Hanne Hukkelberg’s neues Album „Rykestrasse 68“, stellt man fest, dass Musik, die aus Geräuschen oder Stille besteht, und ab und an vom Kratzen einer Büroklammer auf Stanniolpapier touchiert wird, kaum einzuorden ist. Dazu der Gesang. Mystisch, hoch und crisp. Sicher in Jazzphrasierungen, doch stets das Gegenteil von dem tuend, was das gemeine Ohr so erwarten würde. Echten musikalischen Beistand holt sie sich selten. Und dann von nordischen Klanggenossen wie den wahnsinnigen Jaga Jazzist.
Die erste legitime Frage lautet somit: Warum hört man sich das an, wenn nichts passiert? Die Antwort ist schwer. Weil man sich wieder eine Umschreibung von „passieren“ zu Recht legen muss. Weil man wieder mal auf seine musikalische Gefühlswelt horchen sollte und was in einem selbst vorgeht beim Musikhören statt Konsumieren. Bei Hanne Hukkelberg ergibt sich eine seltsame Kreuzung. Hört man „Rykestrasse 68“ in Abgeschiedenheit, entfesseln die Lieder eine aufgekratzte Stimmung. Lässt man das Album in größter Abgelenktheit laufen, sedimentiert sich eine sympathische Ruhe. Wirr? „Sicher nicht“, schmunzelt Hanne Hukkelberg. „Ich war schon immer an solchen Auswirkungen meiner Musik interessiert. Deshalb verwende ich so untypische Instrumente. Das provoziert Emotionen, die in alle Richtungen strömen, manchmal auch gegensätzlich werden“.
Hanne Hukkelberg weiß also genau, was sie da macht. Sollte fast so sein, denn ihre Klangregionen scheinen einer strengen Planung zu unterliegen. Denn Songwriting geht mangels Band und Instrumente kaum. Zudem gibt es keine „Strophe/Refrain“-Scha-blone. „Zunächst bewege ich mich im Dunstkreis meiner musikalischen Identität“, erklärt sie. „Die lautet, dass es keine Regeln gibt. Wenn ich beginne zu schreiben, sitze ich am Piano und drücke meinen Finger auf eine Taste und warte was passiert. Wenn ein Akkord dazu kommt, der schräg klingt oder nicht in den Takt passt, ist mir das egal. Man muss seinem Spürsinn folgen. Und wenn der zur Songidee passt, verfolge ich den Gedanken weiter. Ein guter Song kann es nur werden, wenn man zu Beginn nicht weiß, was herauskommt“. Das sind die Parameter, die Hanne Hukkelberg justiert. Und nebenbei entwickelt sich ein cineastischer Effekt. Jedem Geräusch sein Bild, jedem Song sein Film. Eben weil man eine Schreibmaschine hört. Und los spinnt. Wo könnte die stehen, wer könnte sie bedienen? „Geplant war dieser visuelle Effekt nicht“, erinnert sich Hanne Hukkelberg. „Als ich meine Solokarriere begann, hatte ich keine Ahnung, wohin sich das entwickeln würde. Erst langsam entstand eine Theorie. Ich kann das nicht verlässlich erklären, weil ich mich selbst immer wieder überraschen lasse“. Bei Hanne Hukkelberg sieht man sich also mit Musik in einer Kunstform konfrontiert. Die menschelt und nie abhebt, um elitäre Kreise zu ziehen. Nicht zuletzt die Zusammenstellung einer Liveband zeugt davon. Denn die Geräuschkulissen der Songs aufzuführen, kann nur ein Erlebnis sein. „Um ehrlich zu sein“, lacht Hanne Hukkelberg, „es war beim ersten Album schwierig die Songs live zu spielen. Deshalb muss ich zugeben, dass der Livefaktor bei den neuen Songs im Hintergrund verankert war. Es ist eine Herausforderung, aber man gewöhnt sich daran“.
Hanne Hukkelberg zeigt sich als Geheimnis. Das man aushorchen kann. Ihre charmant-schrägen Songs innerhalb einer paradoxen Klangkathedrale haben Flair und Vision. Schnell lernt man die daneben liegenden Töne lieben, findet die Romanzen der Songs und freut sich über so viel Unangepasstheit und Ruhe. Ja, Ruhe. Denn nicht selten muss man warten, bis die Songs beginnen oder der dritte Song eine Verbindung zum siebten schafft. Nordisch kühl ist das nur auf dem Eisberg. Darunter prickelt eine fast rastlose Seele.
Schublade: Lässt man iTunes nach Hanne Hukkelberg (28, Trägerin des norwegischen Grammy Preises) suchen, erfährt man von zwei Alben und vier Genres: Alternative, Pop, Jazz und Electronic. Noch nie lag iTunes so daneben. Denn Hanne Hukkelberg ist ungreifbar. Vereint Versatzstücke der erwähnten Genres, aber die unzweifelhaft großartigen Auswirkungen bleiben unbeschrieben. Denn Hanne Hukkelberg ist orchestral, cineastisch, rau, charmant, diagonal und kursiv. Hat Blues in der Stimme, covert einzigartig den Pixies-Klassiker „Break My Body“ oder klingt nach tropfendem Wasserhahn. Und doch irgendwie, scheint das alles elektronisch zu sein.