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Nur wer Fragen stellt, bekommt auch Antworten

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Seit dreißig Jahren herrscht beim Düsseldorfer notabu.ensemble neue musik der Wille zur Präzision
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Friedrich Cerha winkt ab. „Dreißig? Ist doch kein Alter!“ Der Wiener Meister, der notabu vor gut zehn Jahren als „Ohren auf Europa“-Kurator kennen- und schätzen gelernt hat, muss es wissen. Mit der „Reihe“ hatte Cerha vor gefühlten Urzeiten selber ein Solisten­en­semble gegründet.

Er weiß also, was es heißt, sich durchboxen, in einem Milieu seinen Weg gehen zu müssen, das gerade bei den wichtigen ersten Schritten mit wenig Anerkennung, dafür mit um so mehr Skepsis, Gleichgültigkeit und zuweilen offener Ablehnung aufwartet. Sicher, die Neue-Musik-Situationen 1958 und 1983 lassen sich kaum gleichsetzen. In Teppichgeschäften musste notabu zum Glück nicht spielen. Und doch bleibt die Frage: Wie schafft es ein ambitioniertes Ensemble während der unausbleiblichen Durststrecken, den Glauben an sich, an seinen Stern zu behalten? Und: Wie fasst man Fuß, ohne am selbst­gesetzten Anspruch Abstriche zu machen und auch ohne in Bitterkeit oder Resignation zu verfallen?

Ein Desiderat und eine folgenreiche Frage

Beide Gefahren – Scylla und Charybdis noch jeden künstlerischen Entwurfs in der freien Szene – hat notabu erfolgreich umschifft, hat bewunderungswürdig Kurs gehalten. Dabei ist man gestartet allein aus sich heraus, mit nicht mehr als mit dem Glauben an die eigene Mission und ans eigene Sendungsbewusstsein. Am Anfang war diese eine Frage, die die Gemüter bewegt hat: Wie kann es sein, dass wir im 20. Jahrhundert nicht auch die Musik unserer Zeit studieren und spielen? Um diese (heute sagen wir: berechtigte) Frage von Instrumental­studenten des Jahres 1983 an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule hat sich das spätere notabu ensemble neue musik gebildet. Botschaft: Besser nicht warten aufs erweiterte Curriculum, sondern sich lieber gleich als studentische Selbsthilfe­initiative formieren. Und schon im Februar 1984 gab man das erste Konzert, damals noch unter dem Namen ensemble neue musik Düsseldorf. Geburtshelfer übrigens ist Hochschul­professor Günther Becker. Dessen Kompositi­ons­klasse fungiert als Schutz-, Bewährungs- und Probenraum sowie nicht zuletzt als Veranstalter für die ersten konzertierenden Aktionen. Eine Verantwortlichkeit der Hochschule, die weder seinerzeit noch heute selbstver­ständlich ist. Bis heute ist Günther Becker denn auch im Ensemble unvergessen. Ohne ihn, ohne seine Unterstützung wäre es anders, mit Sicherheit schwieriger geworden. Umgekehrt, mit dem Zuspruch und auch mit den Zuwendungen des menschenfreund­lichen Alten Herrn, vor allem aber mit ganz viel jugendlichem Enthusias­mus geht es voran. Man stürzt sich in die Klangwelten von Isang Yun, Luigi Nono, Edgar Varèse. Schon ein Jahr danach, 1985, ist man unter der Intendanz von Peter Girth Bestandteil der Konzertplanung der städtischen Tonhalle. Wer angesichts dieser überraschend zügigen Entwicklung nach Erklärungen sucht, tut gut daran, auch die Örtlichkeit selbst in den Blick zu nehmen. Mit anderen Worten: Was ist denn nun mit la belle ville de Düsseldorf wie Heine das ausgedrückt hat? Nun, in Neue Musik-Kreisen hatte (und hat?) man die Stadt, berühmt für seine Akademie, für seine tatkräftige Geschichte der Bildenden Kunst, kaum auf der Rechnung. Es ist kein Pflaster dafür. Was sich in diesem Fall als entscheidender Vorteil herausstellte, konnte (und kann) man sich hier doch vergleichsweise unbehelligt entwickeln. Wovon notabu denn auch ausgiebig Gebrauch gemacht und womit es selbst zu jener mentalen Haltung ästheti­scher Offenheit gefunden hat, die das Ensemble bis heute auszeichnet. Entschei­dender Punkt: Man hält Abstand. Zum nahen Köln sowieso, aber auch zu den anderen Zentren einer (mit großem N geschriebenen) Neuen Musik-Elite. Man lässt sich nicht vor den Karren spannen. Man bleibt skeptisch gegenüber den Moden, mehr noch gegen die umhergeistern­den Doktrinen in der zeitgenössischen Tonkunst.

Hier macht es denn auch am meisten Sinn, dieses „Kein Tabu!“ im Ensemblenamen. Wenn neue Musik das Neue in der Musik ist, ist es kontraproduktiv, so notabu, irgendetwas auszuschließen oder sich gar als Erfüllungsgehilfen dieser oder jener Ästhetik zu verdingen. Vielmehr sollen sie alle und jeder ihr Recht haben: notabu, ein anderes Wort für Freiheit.

Eine Ensemble-Haltung, die in den zehn Biennnale-Runden „Ohren auf Europa“ äußerst praktisch geworden ist. Da war diese wirklich schöne Idee, Komponisten Gelegenheit zu geben, ihre Sicht der Dinge in Gestalt eines kompletten Konzert­wochenendes darzulegen, mit anderen Worten: auf dem Ensemble spielen zu dürfen. Dass notabu dies ohne Murren und ohne Abstriche gestemmt hat, gehört zu den staunens­wertesten Leistungen überhaupt.

Die Zukunft liegt im Westen

Womit wir beim anderen Kennzeichen des Ensembles angelangt wären. Eines, das eigentlich an erster Stelle genannt zu werden verdiente: der Wille zur Präzision. Unter allen Umständen möchte man sich Geist und Anspruch der Werke gewachsen zeigen. Ein Realisierungswille, den notabu-Leiter und Gründungsdirigent Mark-Andreas Schlingensiepen verkörpert, scheint ihm doch offenbar keine Partitur zu undurch­dringlich, zu vertrackt, als dass er nicht einen Weg finden würde, um seinen Musikern die komponierten Keilschriften zu übersetzen und einen Weg vorzuschlagen. Das Ergebnis spiegelt sich in der Zufriedenheit (um ein älteres Wort zu gebrauchen), im Glück der Komponisten. Letzteres ist das untrüg­liche Indiz dafür, dass ein künstleri­scher Anspruch aufgegangen und hier im Ganzen eine Erfolgsgeschichte erzählt werden kann. Eine mit Fortsetzungspotenzial, ist man doch gerade dabei, die Fühler weiter auszu­strecken. Beim kommenden „Carinthischen Sommer“ in Villach wird notabu mit Wolfgang Rihms „Fetzen“ dabei sein, um gleich anschließend die Kooperation mit seinen holländischen Freunden fortzusetzen. Geplant sind Aufführungen von Messiaens „Des Canyons aux étoiles“ mit dem Rotterdamer Doelen Ensemble in Rotterdam, Düsseldorf und Amsterdam. Und schon jetzt herrscht viel Vorfreude auf den Sommer 2015 und die neue Kooperation mit dem belgischen Spectra-Ensemble Gent. Die Zukunft, zumindest die, die notabu angeht, liegt im Westen.

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