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Pete Seeger bei der Amtseinführung Barack Obamas am Lincoln Memorial Washington, D.C. Foto: Donna Lou Morgan/Wikimedia Commons
Pete Seeger bei der Amtseinführung Barack Obamas am Lincoln Memorial Washington, D.C. Foto: Donna Lou Morgan/Wikimedia Commons
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Sag mir, wo die Blumen sind

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Zum Tod des amerikanischen Folksängers Pete Seeger
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Fast ein ganzes Jahrhundert lang war Pete Seeger ein Zeitgenosse gewesen, geboren kurz nach Ende des ers­ten Weltkriegs in New York. Er war das große „Link“ gewesen zwischen dem Dust-Bowl-Sänger Woody Guthrie und dem ewigen Wanderer Bob Dylan. Bevor ich seine Stimme und sein Banjospiel zum ersten Mal gehört hatte, klang in mir schon eines seiner Lieder, das ich – wie viele Deutsche in den Sixties – nur mit einem deutschen Text kannte: „Sag mir, wo die Blumen sind“.

Max Colpet hatte für Marlene Dietrich die ukrainische Volksweise, die Pete Seeger in den Fünfzigern bearbeitet hatte, „Where Have All The Flowers Gone?“ kongenial übersetzt. Und die Dietrich hatte sich das Antikriegslied auf Anraten ihrer Tochter, die den Song vom Kingston Trio kannte, komplett einverleibt. Obwohl sie sich immer als „Kriegerin“ verstand und nicht als Pazifistin, wie sie, die mit den „Boys“ gegen die Nazi-Deutschen gekämpft hatte, immer wieder betonte. Das „Blumen“-Lied jedenfalls wurde – auch dank Burt Bacharachs wunderbarem Orchesterarrangement – zu ihrem dritten Erkennungslied, nach Hollaenders „Von Kopf bis Fuß“ und „Lili Marleen“. Das Lied hatte eine Stimme gefunden. Einer ihrer größten Fans, Kenneth Tynan, hat es auf den Punkt gebracht: „Sie weiß, wo all die Blumen sind – vergraben im Schlamm von Passchendaele, in Schutt und Asche gelegt in Hiroshima, mit Napalm verbrannt in Vietnam –, und dieses Wissen liegt in ihrer Stimme.“

Einst in den frühen Vierzigern war der linke Troubadour mit Woody Guth-rie als Hobo durch Amerika gezogen und hatte die Almanac Singers gegründet. Musikalisch behandelte er das Material aus aller Welt „gleich manieriert“, wie Carl-Ludwig Reichert in seinem „Folk“-Buch so treffend anmerkt: „Andererseits war er einer der wenigen, der ein Publikum, das oft nicht einmal Englisch sprach, binnen Minuten zu aktiven Folksängern machen konnte. Seine spezielle Technik des ‚Sing-along‘ bestand aus einer Mischung von Charme, missionarischem Drang und angewandter Massenhypnose. So brachte er einmal in Moskau zehntausend Russen dazu, ‚Michael Row The Boat Ashore‘ als vierstimmigen Kanon zu singen, was den ‚Rolling Stone‘-Schreiber Gene Marine zu dem Fazit verführte: ‚Ich bezweifle, ob Barbara Streisand und Mick Jagger zusammen das geschafft hätten.‘“

Genau wie Barbra Streisand und Bob Dylan war Pete Seeger ein „Columbia Recording Artist“ gewesen. Aber von deren Umsätzen konnte er natürlich nur träumen, obwohl das Carnegie-Hall-Konzertalbum „We Shall Overcome“ 1963 zum Bestseller wurde, auch dank seiner Version des zynischen Malvina-Reynolds-Klassikers „Little Boxes“. Der Titelsong selbst war bereits zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung geworden und sie war auch erklungen beim berühmten Marsch zum Lincoln Memorial. Ein Jahrzehnt vorher noch war Pete Seeger mit seiner damaligen Gruppe „The Weavers“, die 1950 mit der Leadbelly-Nummer „Goodnight Irene“ den Hit des Jahres gehabt hatte, wegen seiner linken Gesinnung auf der „Schwarzen Liste“ des Kommunistenjägers McCarthy gelandet.

Und jetzt sangen plötzlich alle in Amerika die Songs, die er wieder ins Spiel gebracht hatte: „This Land Is Your Land“ oder „If I Had A Hammer“. Zum Gassenhauer freilich gemacht wurden sie von den anderen Greenwich-Village-Ikonen Peter, Paul & Mary. Als „Stimme Amerikas“ sollte er allerdings bald abgelöst werden, von einem Mann, der auch dabeigewesen war bei dem legendären Marsch: Robert Zimmerman. Als „freewheelin“ Bob Dylan sollte er bald den Ton angeben in der Folkszene und 1965 schließlich auf dem Newport Festival das ganze Genre „elektrifizieren“. Pete Seeger versuchte angeblich mit einer Feuerwehraxt das elektrische Kabel zu kappen, weil er das Ende der Bewegung sah. Dabei hatte Dylan nur seinen Walt Whitman sehr wörtlich genommen: „I sing the body electric“. Danach wurde Pete Seeger langsam zur „legend in his own time“. Und als diese „lebende Legende“ hat der linke Sänger sich bis zuletzt auch immer wieder feiern lassen.
 

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