Hans-Christian Bartel konnte Geschichten erzählen: von Konzerten, die er erlebte und die ihn berührten und inspirierten, von Kollegen, Schülern, Zeitgenossen, von Werken der Kunst, Dichtung und Musik, die ihn eine Zeit oder das Leben lang begleiteten. All das berichtete der einstige Solobratscher des Gewandhausorchesters eindrücklich im persönlichen Gespräch, nicht selten aber auch in seinen Kompositionen: Da geht es um Freude und Optimismus, um Aufmüpfigkeit und Distanz, um Konfrontation und Verlust – manchmal im Kleinen und mit scheinbar kindlichem Sinn, bisweilen aber auch untrennbar verbunden mit der politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Am 27. Dezember 2014 ist Hans-Christian Bartel 82-jährig in Leipzig gestorben.
Zur Welt kam er im thüringischen Altenburg; hier erlebte er den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg sowie die Nachkriegs- und frühe DDR-Zeit, bevor er 1951 nach Leipzig umzog. Bis 1956 studierte Bartel an der hiesigen Musikhochschule Violine (ab 1954 auch Viola) bei Gerhard Bosse und ab 1952 Komposition bei Ottmar Gerster. Neue Musik lernte Bartel bei dem Musikhistoriker Hermann Meyer und bei seinem Klavierlehrer Manfred Reinelt kennen.
Die Umsetzung seiner neuen Erkenntnisse findet sich 1955 im Oboenquartett, seinem ersten zwölftönigen Stück. Ein Jahr später wurde Bartel Dozent für theoretische Fächer am Zwickauer Robert-Schumann-Konservatorium; hier brachte er den Studenten Werke von Webern und Strawinsky näher - was in parteioffiziellen Augen der „Jugendverhetzung“ gleichkam. Ein Glücksfall war in dieser Zeit die Position als Bratscher im Gewandhausorchester zum 1. März 1958; im Jahr darauf wurde Bartel Solobratscher und blieb es bis 1996. In den 1960er-Jahren entstanden jene beiden Orchesterwerke Bartels, die sicher dauerhaft bekannt bleiben werden.
Zum einen das spannungsreiche und vielseitige „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“, das Václav Neumann mit dem Gewandhausorchester 1963 aus der Taufe hob; Solist war Hans-Christian Bartel selbst. Zum anderen das „Konzert für Orchester“, uraufgeführt 1967 wiederum unter Leitung von Václav Neumann. Dieses einsätzige Werk basiert als letztes Zwölftonstück Bartels auf derselben Reihe wie jenes im Studium komponierte „Oboenquartett“ sowie auf (fast) demselben Hauptthema. Musikalisch zwingend baut Bartel hier gleichsam ein persönliches Desaster, eine Art Leidensgeschichte, in der es um die Position des Einzelnen in einer doktrinären Gesellschaft geht. „Oboenquartett“ und „Konzert für Orchester“ umschließen so eine Phase in Bartels kompositorischer Entwicklung, die musikalisch in Niedergeschlagenheit endete.
Danach wirkte Bartel rund 20 Jahre lang ausschließlich als Interpret, eine zeitlang auch in der legendären „Gruppe Neue Musik ,Hanns Eisler‘“. In der „Szene“ neuer Musik war Bartel nie heimisch. Was immer gerade Mode war – er betrachtete es mit „Argwohn“ und schrieb auch selbst seit den späten 80er- und 90er-Jahren weit gelassener: In den jüngeren Instrumentalwerken gibt es keine Tutti-Solo-Konflikte mehr; das harmonische Miteinander wird nur noch episodenhaft angespannter. Auch im Ruhestand entstanden weiterhin nur wenige Stücke, allesamt sorgsam konzipiert und meist für lange auserwählte Interpreten erdacht. So schrieb Bartel mit „Laudato si, mi Signore“ ein Werk für den Thomanerchor und für Thomas Zehetmair ein Violinkonzert, das 2008 im Gewandhaus uraufgeführt wurde.
Hier wurde 2013 auch sein letztes Werk aus der Taufe gehoben: die Vokalsinfonie „Lieder vom Menschen“. Noch einmal erzählt Bartel in dem gut einstündigen Werk, was ihm wichtig ist. Und beendet sein „Doppelleben“ (Bartel) als Komponist und Interpret in einer üppigen und positiven Überhöhung.