Maschinen, die kommunizieren — Reisen ins All — elektronisch erzeugte Musik: All das sind Komplexe, die in den letzten zwei Jahrzehnten enormen Aufwind erfahren haben. Zugleich sind es Themen, die den 1896 im damals österreichischen Lemberg geborenen, 1980 verstorbenen Komponisten Max Brand beschäftigten. Ein Porträt des bis heute wenig Beleuchteten.
Das Interesse für Technik und ihre Möglichkeiten einerseits und die Begeisterung für das Theater andererseits schlagen sich bereits in Brands frühen Schriften nieder. In seinem Artikel „Mechanische Musik und das Problem der Oper“, den er für die Sonderausgabe „Musik und Maschine“ der „Musikblätter des Anbruch“ 1926 verfasste, sprach er sich aus für eine „Loslösung musikalischer Geschehnisse und ihrer bühnenmäßigen Begründung vom rein menschlichen Beziehungsproblem“ und beschrieb das Potenzial mechanischer Musik besonders darin, Werke „unabhängig von der Unpräzision menschlicher Unzulänglichkeit wiedergeben zu können“. Zweifellos sind dies Gedanken, die auch Zeitgenossen umtrieben, etwa die italienischen Futuristen, Ferruccio Busoni oder auch Hanns Eisler. Doch Brands Faszination für technische Neuerungen hielt an, ja schlug in eine regelrechte Obsession um, die ihn sein weiteres Leben hindurch begleitete. Der 1927 an gleicher Stelle publizierte Aufsatz „Die bewegte Opernbühne“ verweist mit dem Begriff der „polyphonen Bewegung“ von Bühnenelementen, Licht und Klang bereits auf spätere künstlerische Konzeptionen, denn Brands Schaffen verlagerte sich in den anschließenden Jahrzehnten von der konventionellen Musikkomposition mehr und mehr zur Entwicklung multimedialer Werke.
Schillerndes Klangkolorit
Max Brands Leben lässt sich grob in drei Phasen aufteilen: Die erste reicht bis kurz nach seinem größten Erfolg, der Oper „Maschinist Hopkins“, die zweite ist geprägt von der Flucht vor den Nationalsozialisten ins Exil und in der dritten widmet sich Brand schließlich dem Erbauen elektronischer Klangerzeugnisse. „Mich selbst, was meinen Stil betrifft, bitte ich gehorsamst auf keine Richtung festlegen zu wollen“, äußerte er 1930 – womöglich ist gerade die Tatsache, dass eine kohärente musikalische Sprache seines Œuvre schwer greifbar ist, entscheidend dafür, dass eine umfangreichere Auseinandersetzung bis heute ausbleibt. Auch verweist diese Stilpluralität auf Brands musikalische Prägung. Bereits 1907 zog die Familie nach Wien, wo er ab 1918 von Franz Schreker unterrichtet wurde, dessen Einfluss sich in vielen Werken widerspiegelt: schillerndes Klangkolorit vereint unterschiedliche Stile. Gerade das Experimentieren mit diversen Ansätzen, aber auch die Stilvermischung prägt Brands kompositorisches Schaffen. Nach der Rückkehr aus Berlin, wohin er Schreker 1921 gefolgt war, erlebte Brand 1924 die Uraufführung von Schönbergs Bläserquintett. Die neu aufgekommene Zwölftonmusik beeindruckte ihn: „Ich halte Arnold Schönberg für den weitaus größten unter den Neuen“, schrieb er noch einige Jahre später. Unter diesem Einfluss entstand mit dem Untertitel „Zwölfton-Studien“ der fünfteilige Liedzyklus „Hebräische Balladen“, später offenbar aus Distanzierung zur Religiösität umbenannt in „Biblische Balladen“. Auch einige Opernwerke beinhalten Zwölftonreihen, mit denen Brand frei verfährt. Eine weitere „Zwölfton-Studie“ bildet das 1939/40 im Exil in Brasilien entstandene „Kyrie“.
Wie viele seiner Generation war auch Brand in den 1920ern im Austausch mit linksradikalen Gruppierungen. Erwähnte Balladen brachte ein anderer Schüler von Schreker zur Uraufführung: Felix Petyrek, der auch Mitglied der Novembergruppe war, die sich im Anschluss an die Revolution von 1918 gegründet hatte. Mit den politischen Theaterrevuen, die er gemeinsam mit Hans Rodenberg für die Österreichische Rote Hilfe inszenierte, positionierte Brand sich zudem selbst im linken Lager. Auf enorm vielfältige Weise trat er als Initiator diverser Kleinunternehmungen auf. Er gründete ein „Mimoplastisches Theater für Ballett“ sowie mit seinem Freund Hans Heinsheimer Anfang der 1930er die „Wiener Opernproduktion“. Wenngleich beide Projekte verhältnismäßig kurzweilig bestanden, so gelang ihm mit dem zweiten doch immerhin die Wiener Erstaufführung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, der neben Kurt Weill auch Ernst Krenek und Alban Berg beiwohnten. Zunehmend interessierte sich Brand außerdem für den Film, verfasste die Musik zu „Der zerbrochene Krug“ von 1937 und gründete sogar eine eigene Filmgesellschaft, die jedoch nach drei Kurztonfilmen in einem finanziellen Fiasko endete.
„Maschinist Hopkins“
Den größten Erfolg feierte zweifellos die „Zeitoper“ „Maschinist Hopkins“, die ab ihrer Uraufführung 1929 in Duisburg jährlich über 100 Aufführungen erreichte und mit Produktionen in mehreren deutschen Städten vertreten war. Die zyklisch angelegte Handlung spielt zum großen Teil in einer Fabrik, in welcher die Maschinen, repräsentiert durch den Chor, selbst zu Wort kommen und als nicht ganz eindeutige Agenten zwischen Arbeiterschaft und Eigentümer mit mörderischem Potenzial operieren. Ein Motiv aus vier Halbtonschritten durchzieht die Zusammenstellung aus gewaltvoll expressionistischen Chören, pathetischer Opernromantik und Jazz-Nummern. Die Sphären von Arbeit und Unterhaltung, von schöpferischer Kraft und exzessivem Rausch und nicht zuletzt von Technik und Natur treffen unerbittlich aufeinander. Auch durchzieht die Frage der Menschlichkeit und die der Entmenschlichung kontinuierlich das vom Komponisten selbst verfasste Libretto. „Das Theater im allgemeinen und die Oper im besonderen hat in den Nachkriegsjahren fast zur Gänze ihre große Beziehung zum Publikum verloren“ – im Lichte dieser Aussage von Brand kann „Maschinist Hopkins“ als erfolgreiches Vorhaben verstanden werden, ein breites Publikum mit aktuellen Themen anzusprechen. Die Kritik aus verschiedenen Lagern in Deutschland ging hart mit dem Werk ins Gericht, tat es etwa als „Kino-Kitsch“ ab. Adorno kreidete das Ausbleiben von „klaren Konturen des Klassenkampfes“ an. Interessierter zeigte sich die US-Amerikanerin Geraldine de Courcy, die in ihrer Kritik unter dem Titel „Europe’s Opera Stands Under the Shadow of the Machine“ der Musik ein „current idiom“ zusprach.
Die nationalsozialistischen Publizisten bezeichneten „Maschinist Hopkins“ indes als „Giftpflanze“ und Max Brand selbst als „Verherrlicher des Niederrassischen“. Der Erfolg des jüdischstämmigen Komponisten weilte nur kurz. Bereits sein nächstes großes Bühnenstück „Requiem“ wurde vor seiner Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin vom Spielplan genommen. Kann man den Aussagen über das verschollene Werk glauben schenken, soll es mit extremer politischer Stoßrichtung und in düsterer Vorahnung von einem Staat handeln, der sein eigenes Volk ausrottet. Erst gegen Ende der 1930er flieht Max Brand vor dem bedrohlichen Schatten, der sich über Europa zu legen beginnt über Lausanne und Paris zunächst nach Brasilien. Diese Phase ist gekennzeichnet von Experimenten an multimedialen Konzeptionen, womit seine künstlerische Tätigkeit Teil einer maßgeblichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts darstellt. Es entstehen Pläne für ein Vorhaben zwischen Film, Konzert und Installation. In Brands Notizen ist die Sprache von: „Musik, Chören und Volksliedern […] die Art der Photographie und Bildeinteilung, durch Montage Überblendungen etc.“ Neben unvollendeten Libretti und Opern entwirft Brand zudem Radiohörspiele, die für die NBC-Widerstandssendungen in New York angedacht sind. Mit „The Gate“ bringt er ein gewaltiges szenisches Oratorium unter der Regie von Erwin Piscator auf die Bühne der MET. Die Aufnahmen auf Glass-Disk gelten heute wie so vieles aus Brands Schaffen als verschollen. Sein letztes Bühnenwerk für Orchester „Stormy Interlude“ beschreibt der Musikwissenschaftler Christian Scheib als „altösterreichische[n] Sadomaso-Suspense im amerikanischen Hinterland“.
Die letzten Jahrzehnte gelten der Pionierarbeit an elektronischer Klangerzeugung, wofür sich Brand in seinem Haus in New York ein Studio einrichtet sowie mit anderen Pionieren auf dem Gebiet austauscht und zusammenschließt. Besonders Frederick C. Cochran wird zum langjährigen Weggefährten, der für ihn Mixer und Equalizer baut; Robert Moog stellt ihm einige seiner selbstentwickelten Synthesizer her. Und doch bleibt Brand gewissermaßen ein Einzelgänger: „Soweit es mein Studio betrifft, so ist es angelegt, dass sämtliche Funktionen von mir allein bewältigt werden können“, schreibt er 1973. Während das Opus Magnum „Adam und Eva“, das er über Jahrzehnte von 1926 bis 1969 konzipiert, bis zum Ende ein Entwurf in Grundzügen bleibt, setzt sich sein bekanntestes Werk „The Astronauts: an Epic in Electronics“ von 1961 bereits in ihrer frühen Anfangszeit mit der Raumfahrt auseinander.
Die Höhe des Erfolgs von „Maschinist Hopkins“ erreicht Brand als Komponist jedoch nicht wieder, noch einen vergleichbaren als Erfinder technischer Klangerzeuger. Bei seinem letzten Umzug zurück nach Wien 1975 erleiden große Teile seines Studios Schäden, die er notdürftig repariert. Seit dem Tod 1980 ist das Studio im Langenzersdorf Museum ausgestellt und der Nachlass auf Verfügung an die Universität Wien gegangen. Auch wenn seit den Neunzigern eine unregelmäßige Auseinandersetzung mit Max Brands Hinterlassenschaften erfolgt, ist bis heute vieles aus seinem umfangreichen und vielseitigen Werk wenig erforscht.
- Foto: Max Brand 1979 in seinem Tonstudio, das heute im Langenzersdorf Museum steht. Foto: Walter Szmolyan/Wikimedia Commons