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Marko Nikodijevic. Foto: Manu Theobald / Ernst von Siemens Musikstiftung
Marko Nikodijevic. Foto: Manu Theobald / Ernst von Siemens Musikstiftung
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Solitäre Gestalten, fraktale Melancholie

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Der kompositorische Loop des Marko Nikodijevic (und Gesualdo ist auch dabei)
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Vielleicht sind die interessantesten Komponisten immer diejenigen gewesen, denen es gelang, scheinbare Widersprüche in eine besonders eigenwillige Sprache zu transformieren. Der 1980 im serbischen Subotica geborene Marko Nikodijevic ist ein solcher Komponist und vielleicht deshalb einer der momentan auffallendsten Vertreter seiner Zunft, frisch ausgezeichnet mit dem Musikautorenpreis für Nachwuchskünstler der GEMA.

Bereits 2013 erhielt er den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung. Technokultur und Orchesterklang, Computerprozess und Intuition, Eklektizismus und Personalstil sind für Nikodijevic keine ästhetischen Antagonismen, sondern konstituieren ein Spannungsfeld, aus dem die Intensität von Musik erst erwächst, zumal einer zeitgemäßen.

Zur Erklärung der Besonderheit seiner instrumentalen Klangräume ist immer wieder, oft eher vordergründig und unzureichend, „der Techno“ ins Feld geführt worden. Aber was heißt das eigentlich? Wummernde Bässe und stramme Beats wird man eher selten in der Musik des Serben finden, auch wenn Stücke „GHB/tanzaggregat“ (2009/11) heißen und dann irgendwann auch so klingen: „Das ist gewissermaßen das ästhetische Umfeld, das mich inspiriert. Konkret ist es die Arbeit mit pulsierenden Rhythmen und Loops und langsamen tembralen Änderungen. Nehmen wir das Klavierkonzert ,gesualdo dub/raum mit gelöschter figur‘ (2012): Grundlage ist die Transkription eines Audiofiles für Instrumente. Das Audio-file selbst besteht aus einem Loop, wenigen ‚rausfiltrierten‘ Teilen aus dem Gesualdo-Madrigal ,Moro lasso‘ (der Loop selbst ist der Anfang des Madrigals).

Eine praktisch endlose Schicht von Effektgeräten (Hall, Filter, Delay-Schichten, Reverse-Effekte etc.) bearbeitet dann dieses auf ein Minimum reduzierte Material.“ So körperlich die Musik von Nikodijevic im Rekurs auf die rhythmischen Aspekte des Techno werden kann, so exzessiv kann sie einer Langsamkeit huldigen, die das Klingende gleichsam zum Objekt wandelt, wo (ähnlich wie bei Ligeti) Kontinuität ins Dreidimensionale umkippt.

Auf die naheliegende Frage, warum er überhaupt an der „traditionellen“ instrumentalen Oberfläche festhält und nicht rein elektronisch-digital arbeitet (Nikodijevic könnte ja auch Musik machen wie Carsten Nicolai), entgegnet er: „Ich mag einfach Instrumente, Stimmen und ihre artikulatorische und klangfarbliche Vielfalt. Mit dem Missverständnis, dass ich einfach Techno für Instrumente transkribiere, kann ich leben. Ich finde den Begriff Electronica ohnehin viel treffender. Seit einigen Jahren ist fast immer eine live-elektronische Komponente in meiner Musik. Reine Electronica mache ich gelegentlich mit Luka Kozlovacki, aber eher in einer Labor-Situation, wo wir ohne ein spezielles ‚Endprodukt‘ im Hinterkopf einfach Dinge ausprobieren.“

Nikodijevics offensichtliche und weniger offensichtliche Verbindungen zur technoiden Musikkultur betreffen neben strukturellen Aspekten ein viel grundlegenderes Phänomen, das in letzter Konsequenz Richard Wagner, Claude Vivier und das Berghain gemeinsam haben: das der Entgrenzung. Ein hypnotisches Abheben in transzendente Bezirke des Hörens ist auch Nikodijevics Kompositionen zu eigen; und in seiner düster um sich selbst kreisenden Melancholie ist ein Stück wie „gesualdo dub“ totale Romantik.

Manchmal mag man es kaum glauben angesichts der emotionalen Intensität, die diese Musik ausstrahlen kann, dass ihren Abläufen komplizierte Rechenprozesse zugrunde liegen, die nur ein Computer generieren kann. Die Rolle des Rechners im Kompositionsprozess beschreibt der Komponist so: „Ich habe Computer sehr oft für algorithmische Prozesse verwendet: zur Herstellung fraktaler Schleifen oder für die automatisierte Transkription von Audiofiles in Notenschrift. Ich kann zum Beispiel einen Anfangsakkord durch Intervallmultiplikation immer neue Akkorde generieren lassen. Es gibt aber sehr wenige Modelle, die nicht zu einer sehr schnellen Entropie neigen. Computer machen eben nur das, was man von ihnen verlangt, sie stellen uns vor allem vor die Frage: Wie klar denken wir?“

Dass Nokodijevic kein Technik-Nerd, sondern zuvorderst ein sinnlich denkender Komponist ist, beweist schon die Tatsache, dass er viele seiner Kompositionen nach den ersten Aufführungen immer wieder über Jahre umarbeitet: „Es dauert manchmal lange, bis sich ein Stück wirklich materialisiert (obwohl ich im konkreten Fall sehr schnell komponiere). Ein Beispiel: ,cvetic, kucica…‘ nahm 2001 als Stück für Klavier und Elektronik seinen Anfang. 2002 schrieb ich dann eine erste Version für Orchester als Diplomarbeit an der Musikhochschule in Belgrad, die ich nach einer desaströsen Probenwoche mit dem Belgrader Rundfunkorchester 2004 komplett zurückzog. Trotzdem machte ich 2006 eine neue Version für Ensemble, weil mich diese Musik immer noch beschäftigte, um dann 2009 die endgültige Orchesterfassung zu schreiben. Man will oft das, was man noch nicht kann …“

Das digitale Prozedere ist ein wesentliches Werkzeug auch für die Auseinandersetzung mit bereits existierender Musik. Dabei scheint Nikodijevic seine Batterien bevorzugt an den Geniestreichen seiner Lieblingskomponisten aufzuladen. Exemplarisch hierfür schon der Titel von „music box/selbstportrait mit ligeti und strawinsky (und messiaen ist auch dabei)“, eine Anspielung auf Ligetis Klavierstück „Selbstportrait mit Reich und Riley (und Chopin ist auch dabei)“ von 1976. Die Verfahren sind vielfältig: „Oft wird eine fremde Aufnahme oder Partitur in ihre Bestandteile aufgelöst und dann nochmal neu zusammengesetzt. Manchmal sind es kurze Samples, zum Beispiel ein Akkord aus Claude Viviers ‚Bouchara‘, der in ‚chambres des ténèbres‘ wie eine Säule die ganze formale Konstruktion trägt und aus der vieles abgeleitet wird. ‚music box‘ ist komplett ohne fremdes Material erzeugt, auch wenn es nicht so klingt, die ganzen ‚als-ob‘-Stellen von Ligeti, Strawinsky, Messiaen etc. sind ein Zwischenprodukt algorithmischer Überlappungen.“

Ein ganzes Netzwerk von Allusionen, die aufeinander bezogen sind, knüpft das somnambul-verschattete „cvetic, kucica.../la lugubre gondola“ (2009). So geistert in dieser „Trauermusik für Orchester nach Franz Liszt“ nicht nur dessen verdüstertes Spätwerk umher, sondern auch reichlich Wagner und Sibelius – und das Bild eines im Kosovo-Krieg getöteten Mädchens. Zum „Musik über Musik“-Begriff hat der Komponist ein durchaus entspanntes Verhältnis: „Über was anderes kann Musik denn Auskunft geben als über sich selbst? Eine ‚persönliche‘ Sprache interessiert mich weniger, weil dahinter oft die marktbeeinflusste Tendenz zu spüren ist, dass Komponisten erkennbare ‚Marken‘ werden sollen. Wir sind doch alle Produkte der mehr oder minder individuell verarbeiteten Einflüsse unserer Umgebung, eine neurobiologische Verkabelung von Erfahrungswelt.“

Eine Erfahrungswelt, zu der sich Marko Nikodijevic besonders hingezogen fühlt, ist die Musik Claude Viviers. Bereits im Ensemblestück „chambrés de ténèbres/tombeau de claude vivier“ (2005/2007–2009/2012) hatte er dem franko-kanadischen Komponisten gehuldigt, bevor seine erste Oper „Vivier. Ein Nachtprotokoll“ die diesjährige Münchener Biennale eröffnete (siehe Seite 19) – rauschhaft-wolllüstige Klangbilder aus den „Darkrooms“ einer exzeptionellen Künstler-Seele, die leider schon 1983 von einem Pariser Strichjungen ins Jenseits befördert wurde. Bei der Frage, was ihn an Vivier besonders fasziniere, ist es dann mit der neurobiologischen Entsubjektivierung aber nicht mehr weit her: „Ich mag solitäre Gestalten, die von Systemen und Moden komplett losgelöst sind.“

CD-Tipp
Marko Nikodijevic: dark/room. Col Legno (im Rahmen der Edition der Ernst von Siemens Musikstiftung)

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