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Spinde statt Schubladen, Ortung statt Einordnung

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Über den Musiker, Komponisten und Klangmaschinenerfinder Zoro Babel
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„Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, mich einordnen zu lassen. Viele Musiker versuchen gerade, in bestimmte Schubladen hineinzupassen, und das ist schlimm.“ Auch theoretische Selbstreflexion führt oft zu unnötigen Abgrenzungen. Zoro Babels Anspruch ist deshalb kein ausgesprochen ästhetisierender oder philosophischer. In erster Linie folgt er seinem Bedürfnis, auf intelligente Weise „Spaß“ zu haben und andere daran teilhaben zu lassen. Statt „verkrampft individuell“ sein zu wollen, pflegt er den Kontakt zu verschiedensten Musik- und Kunstbereichen. Vielfältiger als in der Neuen Musik-Szene üblich sind denn auch Einflüsse zahlreicher Lebensstationen auf Babels heutige künstlerische Physiognomie. Geboren 1967 in Petershausen,verbrachte Babel seine Jugend vor allem in der Toskana. Dort wuchs unter dem Eindruck der Bildhauerei seines Vaters die Begeisterung für Maschinen und Skulpturen aller Art. Seine Mutter leitete ihn im Schlagzeugspiel an. „Der Lärm der Eltern erweckte in mir ein ganz gewöhnliches Bedürfnis, Musik zu machen.“ Wichtig für ihn war dann klassischer Jazz, doch die Suche nach einem Jazz-Schlagzeuglehrer blieb erfolglos: „Immer sollte ich Swing nachspielen, so daß es nicht mehr wirklich swingte. Swing ist nicht lehrbar. Jeder muß seinen eigenen Groove mitbringen. Was Lehrer tun können, ist: zuhören, fragen: Was hast Du da gespielt, spiele das noch einmal. Bewußtsein schaffen für die Momente der Eigenständigkeit.“1983/84 besuchte Babel zweimal die Summer Sessions des Creative Music Studio in Woodstock, N.Y., „einer etwas abge-„space“ten Schule von Paul Berger, eine Art Jazz-Schule in einem umgebauten Motel“, wo er nach eigener Aussage die wichtigsten Impulse für seine weitere Laufbahn empfing. Hier hatte er das Glück, sehr guten Musikern zu begegnen, darunter Vertreter der damaligen Hippie-Kultur wie Trilok Gurtu oder Don Cherry. Er traf dort Schlagzeuger, die ihm klar machten, daß verkrüppelt zu spielen besser sein kann, als Perfektion zu suchen. Babels professionelle Laufbahn als Musiker begann 1985 auf Tourneen mit Markus und Simon Stockhausen. In derselben Zeit begann auch eine bis heute andauernde intensive Theater- und Filmarbeit. So wirkte Babel 1987 am Wiener Burgtheater als Darsteller und Musiker in den „Metamorphosen des Ovid“ von Achim Freyer mit. Zu vielen Filmen schuf er Soundtracks, etwa für „Anna im Glück“ von Lisi Frischengruber. Hier verwendete Babel die allerersten Töne, die er auf dem Akkordeon je gespielt hat. Für das Landestheater Tübingen erarbeitete er „akustische Bühnenbilder“, die der Entrümpelung der Bühne dienten, diese „weiter und transzendenter“ machten. Nach ersten Arbeiten mit Tonbandzuspielungen „brachte ich dann Klangkörper auf die Bühne, die auch etwas Skulpturales hatten. Sie sahen benutzt aus, hatten Patina.“ Wenig ist Babel daran interessiert, schwierige Theatersituationen mit Musik aufzufangen. „Gutes Sprechtheater kommt bestens auch ohne Musik aus.“ Unverschämt am Schlagzeug Inzwischen haben für Babel freie Improvisation und Komposition herausragende Bedeutung gewonnen. Seit 1990 mitbegründete er zwei Formationen, zunächst Focus Pocus, deren drei Protagonisten (mit Werner Puntigam und Gabriele Mirabassi) die meiste Zeit eigene Projekte verfolgen, um die jeweils gewonnenen Erfahrungen in die Gruppe einzubringen. „Gabriele kommt eindeutig vom Jazz, Werner spielte früher im Trachtenverein, übt sehr viel, kommt dann auf die Bühne und spielt bewußt keinen sauberen Ton...“, dazu Babels teils „unverschämtes“ Schlagzeugspiel. Vor kurzem erhielt Focus Pocus den Deutschen Schallplattenpreis zwar in der Kategorie „Jazz“, doch möchte Babel die „Ortung“ (nicht „Einordnung“) dessen, was Focus Pocus tut, lieber den Hörern überlassen. Ein Auftritt auf einem Festival Neuer Musik sei auch möglich. „Wir würden aus der Situation etwas machen.“ Denn „warum soll man sich immer dem unterjochen, zu dem man gerade spielt“? Was hält Focus Pocus zusammen? „Da gibt es klare gemeinsame Vorstellungen, zum Beispiel wie man kollektiv mit Musik umgeht, wie man eigene musikalische Interessen einbringt, wie der andere darauf reagiert. Jeder spürt genau, was kann er tun, was nicht. Möglich, daß der eine mal raucht, Werner seine Posaune putzt, und ich mein Ding durchziehe. Das kann eine gute Sache sein.“ Vor etwa einem Jahr gründete Babel zusammen mit Elmar-H. Guantes (Bass) und Christoph Reiserer (Saxophon) eine weitere frei improvisierende Formation, die musikalisch in eine andere Richtung geht. Hier ist im Gegensatz zu Focus Pocus größere Baßlastigkeit gewünscht, die Musik ist fast rockig, mit einer großen Lust an repetitiven Abläufen, aber auch an ungewöhnlichen Rhythmen. Geschichte des Reibens Beeindruckend ist immer wieder Babels starker physischer Einsatz bei seinen Auftritten. Dabei sind eruptive Schlagzeugsoli nicht expressiv motiviert, sondern stellen einfach eine der Möglichkeiten dar, musikalisch zu „arbeiten“. Indem er an physische Grenzen geht, werden materialimmanente Widerstände hervorgetrieben, das Instrumentarium emanzipiert sich. Babel beläßt den Gegenständen Autonomie, ordnet sie nicht in hierarchische Zusammenhänge ein oder etwaigem Ausdrucksbedürfnis unter. „Es wird nicht gerieben, um damit symbolisch etwas auszudrücken, sondern ‚die Geschichte des Reibens‘ selbst wird erzählt.“ Und so nehmen sich auch die von Babel selbstgebauten Instrumente eher wie Skulpturen aus. Sie sind den Musikern ebenbürtige „Darsteller“. So kann etwa die Vorliebe für regelmäßigen Beat in Konflikt mit dem Eigenleben der Skulpturen geraten, indem Babel beim Drehen eines Mechanismus’ bis an die Grenzen geht und so in Bereiche vordringt, wo Kontrolle verlorengeht, die Maschine nicht mehr das macht, was man erwartet. Der Bau der Instrumente geht von den klanglichen und optischen Eigenschaften von Gegenständen aus, die Babel im Alltag vorfindet. Dabei dienen Gegenstände nicht ästhetischer Simulation, sondern werden als eigenwertig akzeptiert. „Bühnenbilder bekommen so schnell etwas Requisitöses! Das gilt auch für das Schlagzeug. Ursprünglich wollte ich perkussive Instrumente hängend spielen, doch die üblichen Rahmengestelle sind mir zu wenig autonom.“ In den letzten Jahren bespielt Babel deshalb neben Schieferplatten, Steinkugeln etwa umgebaute Metallspinde. Diese haben ein ausgeprägtes Eigenleben, produzieren unkontrollierbare Nebengeräusche. Zudem sind sie ideale Resonanzkörper für die perkussive Bespielung und eingebaute Mechanismen und Gegenstände wie Ketten, Stoßdämpfer, Zahnräder, Kurbeln oder Tuba. Spätestens anhand der Partituren Babels wird klar, daß es nicht darum geht, Experimente um ihrer selbst willen zu präsentieren. Die verschiedenen Klangerzeugungen sind erst interessant, wenn sie im richtigen Zusammenhang stehen, Musik eigenen Inhalts entsteht, man „nicht in der Selbsttätigkeit des Experiments“ verharrt. So spannt er konstruktive Bögen, bildet durch optisch und akustische Überraschungen Kontraste, schafft hier Erinnerungswerte, erzählt dort Geschichten, die an unbekannte Orte führen. Notiert wird das durch mehr oder weniger detailliert ausgeführte Diagramme, Ablaufpläne mit ungefährem zeitlichen Raster. Die Dauer einzelner Abschnitte richtet sich nach der konkreten Aufführungssituation. Hier wird Babels Erfahrung als Improvisator fruchtbar:Vorrang hat immer die musikalische Spannung. Deshalb werden den Musikern Spielräume belassen, nicht nur aufeinander, sondern auch auf die Atmosphäre im Publikumsraum zu reagieren, die damit gewissermaßen zum kompositorischen Parameter erhoben wird. Dabei macht es „mir nichts aus, wenn die eine oder andere Sache länger dauert als notiert. Hauptsache, man ist Musiker genug zu spüren, wie lange das Publikum es aushält. Das habe ich beim Improvisieren gelernt und warum sollte ich hier darauf verzichten?“

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