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Joe Viera. Foto: Ralf Dombrowski
Joe Viera. Foto: Ralf Dombrowski
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Swing für alle

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Am 4. September wird Jazzprofessor Joe Viera 90 Jahre alt
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Es gibt Musiker, die den Jazz verändert haben. Charlie Parker war so ein Fall, John Coltrane oder Ornette Coleman. Und es gibt Musiker, die für Kontinuitäten sorgen. Das ist die Domäne von Joe Viera. Denn seit den 1960er-Jahren gehört der Münchner Saxophonist, Pädagoge und Bandleader zu den Persönlichkeiten im Hintergrund, vernetzt die Szene und sorgt für Grundlagen, die es der Musik ermöglichen, weiter zu wachsen. Ursprünglich studierter Physiker, hatte er sich mit eigenen Bands zunächst dem traditionellen und dezent modernen Jazz seiner Zeit zugewandt, bald aber erkannt, dass es nicht genügt zu spielen, um über den eigenen Wirkungskreis hinaus etwas zu erreichen.

So begann er gleichzeitig zu Auftritten mit Gleichgesinnten wie Ed Kröger, Erich Ferstl, Sigi Busch und übrigens auch Manfred Eicher – bevor jener als Produzent seine Wege ging – Seminare zu geben, Vorträge zu halten, Infrastruktur zu schaffen. Es gab kaum Noten und Arrangements amerikanischer Profis, also versuchte Viera, auf manchmal verschlungenen Wegen Sheets und Partituren zu importieren. An den Universitäten galt Jazz als Orchideenfach, also unterrichtete er von den Siebzigern an zunächst bei Ilse Storb in Duisburg, dann an den Hochschulen in Hannover, München, Passau und verfasste Unterrichtswerke wie die „reihe jazz“, um historisches und musikalisches Wissen unter die Studierenden zu bringen. In der Schule, stellte Viera fest, lag in Sachen Improvisation vieles im Argen, also gründete er an der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen 1993 die Lehrer Big Band Bayern, leitete die Pädagogen an, gab Publikationen zu Kultur und Funktionsweise von Jazzorchestern heraus und schrieb gleich auch die passende Geschichte dazu, die unter dem Titel „Jazz - Musik unserer Zeit“ dem zwar kompetenten, aber überbordenden Jazz-Buch von Kollege Berendt ein kompaktes Pendant entgegensetzte.

Wenn heute darüber spekuliert wird, warum Big Bands sich auch unter einheimischen Künstler*innen seit rund zwei Jahrzehnten stetig steigender Beliebtheit erfreuen, fällt der Blick auf Joe Viera, der gemeinsam etwa mit „Noten-Dealern“ wie Kurt Maas den Boden dafür bereitet hat.

Und noch ein Beispiel für die Unermüdlichkeit, die eigene Leidenschaft für andere zu multiplizieren. Ende der Sechzigerjahre hatte es Jazz in Deutschland in die Cliquen der Avantgarde geschafft. Wer blies wie Brötzmann, wurde als jung und wild im Geiste des ästhetischen Widerstands gegen die mentale Trägheit des Wirtschaftswunders gewürdigt. Wollte man jedoch die damals bereits klassische Moderne des Jazz swingen und boppen lassen, womöglich sogar jenseits des Urbanen, musste man selbst aktiv werden. Daher tat sich Joe Viera 1970 mit Helmut Viertl zusammen, der im ehemals „Bayerischen Löwen“ in der Altstadt von Burghausen einen Jazzclub eingerichtet hatte, und lud kurzerhand Künstler wie Oskar Klein zu einem Festival ein, das sich von da an zu einem international angesehenen Reigen der Koryphäen entwickelte. Musikkurse, Jam-Sessions und bald auch Rundfunk und Fernsehen unterstützten die Burghauser Entwicklung, Nachwuchs wurde preisgekrönt oder über Unterricht und eigenes Spielen inspiriert.

„Warum Jazz? Weil er eine der wesentlichsten Musikformen des 20. Jahrhunderts ist“, schrieb Joe Viera in der Einleitung seiner Jazzgeschichte. Das mag die offizielle Begründung sein, die auf die historische Bedeutung verweist. Jazz ist aber auch Lebenselexier, Kommunikation, eine Sprache des Miteinanders. Nimmt man außerdem Improvisation als dessen Grundlage ernst, dann ist er eine Haltung, die im Geis­te eines gemeinsamen künstlerischen Ziels die Basis des vielfältig Menschlichen berührt. Vor allem aber macht er ungemein Spaß, auf der Bühne wie im Publikum. Diese Mischung der Impulse hat Joe Viera seine ersten 90 Jahre lang beseelt und ihn mit Begeisterung, Umsicht und Könnerschaft zu einer zentralen Persönlichkeit des deutschen Jazz werden lassen. 

  • Am 19.September reformiert sich die ursprünglich 1994 von Joe Viera gegründete Uni Big Band München für ein Jubiläumskonzert zu seinen Ehren in der Unterfahrt. Beginn 20.30 Uhr www.unterfahrt.de

 

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