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Das Opernhafte prinzipiell in Frage gestellt: Szene aus „Phaedra“ von Hans Werner Henze. Foto: Ruth Walz
Das Opernhafte prinzipiell in Frage gestellt: Szene aus „Phaedra“ von Hans Werner Henze. Foto: Ruth Walz
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Übergroß das Prinzip Abstraktion

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Hans Werner Henzes „Phaedra“ an der Staatsoper Unter den Linden
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Peter Mussbach, der bei früheren Inszenierungen oft auf eigene Bühnenbilder zurückgriff, arbeitet jetzt häufig mit prominenten Vertretern der bildenden Kunst zusammen. Wenn er Jörg Immendorff, Robert Longo, Jimmy Durham oder dem Duo Elmgreen & Dragset ein so großes Gewicht gibt, mag er an die spezifische Tradition der von ihm geleiteten Staatsoper denken, an die Krolloper, die in den zwanziger Jahren Bauhaus-Künstler wie Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy für ihre Bühnenbilder verpflichtete.

Wie damals sind auch heute viele dieser Künstler Opern-Debütanten, was der jetzt für Henzes „Phaedra“ engagierte Isländer Olafur Eliasson freimütig zugibt. Entsprechend war es für ihn kein Problem, ohne Kenntnis der Musik sein Bühnenbild beziehungsweise Raumkonzept zu entwerfen. Da Henze aber kein Unbekannter ist, hätte man wissen können, dass dieser wie kaum ein anderer Komponist vom Primat der Sprache ausgeht und mit Musik Inhalte vermittelt. Aber der Regisseur Mussbach versicherte, in „Phaedra“ gebe es „keine narrative Struktur“. Damit öffnete er Eliasson das Tor zur Abstraktion und zur Möglichkeit, das Opernhafte prinzipiell in Frage zu stellen.

Eliasson leitet seit 1995 in Berlin ein „Labor für Raum- und Zeituntersuchungen“. Von daher sein Interesse an Fragen der Wahrnehmung. Für „Phaedra“ entwarf er ein Raumkonzept, das opernübliche Hierarchien auf den Kopf stellt: nicht mehr die Bühne ist die Hauptsache, sondern der Zuschauerraum, nicht mehr die Darsteller, sondern das Publikum. Um „die Beziehung von Absender und Empfänger neu zu definieren“, drehte er auch das Orchester um; es spielt nicht mehr vorn im Orchestergraben, sondern hinter dem Publikum im Parkett. Dem opernüblichen Primat des Ohres setzte Eliasson die optische Wahrnehmung entgegen. Passend dazu erblickte man in der Aufführung (wie auf dem Programmheft) zunächst nur eine riesige Pupille. Es ist laut Mussbach die des Opernbesuchers, also des „Zuschauers“: „In jedem Zuschauer ist praktisch die Zentralperspektive als Fluchtpunkt gebunden.“

Diese Versuchsanordnung, die in der Nachfolge von Nonos „Prometeo“ das Verhältnis von Bild und Ton thematisieren wollte, war technisch grandios umgesetzt. In Spiegelwänden erblickte das Publikum sich und das Orchester. Wenn aber die Protagonisten diese Wände durchschritten, wurden sie transparent.

Leider aber hatte dieses Raumkonzept nur wenig zu tun mit dem Libretto von Christian Lehnert mit Regieanweisungen und erzählenden Momenten sowie – last but not least – der Musik von Hans Werner Henze.

Die Inszenierung ließ die Handlung nur in Umrissen erkennen. Wald- und Jagdszenen waren nicht einmal angedeutet und die bei Henze individuell behandelten Figuren so typisiert, dass man etwa Phaedra und Artemis kaum unterscheiden konnte. Wie im Vorjahr bei Pascal Dusapins „Faustus, the Last Night“ (vergleiche nmz 3/2006) berücksichtigte Mussbach den Duktus der Partitur kaum.

Dass die Uraufführung dieser „Konzertoper“ (so die von Mussbach allzu wörtlich verstandene Gattungsbezeichnung) dennoch zum umjubelten Ereignis wurde, lag neben der perfekten Raumgestaltung vor allem an der Originalität und Durchsichtigkeit der Partitur sowie am hohen Niveau der Interpretation. Das von Michael Boder geleitete Ensemble Modern sowie die fünf Gesangssolisten (Maria Riccarda Wesseling als Phaedra, Marlis Petersen als Aphrodite, John Mark Ainsley als Hippolyt, Axel Köhler als Artemis und Lauri Vasar als Minotaurus) leisteten in Intonation und Textverständlichkeit Maßstäbliches. Man konnte das Werk also auch – wie einst Bruckner in Bayreuth – mit geschlossenen Augen als primär musikalisches Ereignis genießen. Wie der zum Schluss wiedergeborene Hippolyt hat der 81-jährige Komponist mit diesem jugendfrischen Spätwerk noch einmal zu unerwarteter Schaffenskraft zurückgefunden.

Um die autobiographischen Züge zu unterstreichen, hatte Mussbach dem Hippolyt eine gewisse Ähnlichkeit mit Henze gegeben. Der Bühnenfigur im Parkett saß im 1. Rang sein Alter Ego gegenüber, gefeiert wie schon lange nicht mehr. Hippolyt – Henze: Dies war die eigentliche Fluchtlinie, die Konkretisierung des sonst allzu abstrakten Abends.

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