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Ein Mann der kleinen, aber auch der großen Gesten: Daniel Kahn.  Foto: Ralf Dombrowski
Ein Mann der kleinen, aber auch der großen Gesten: Daniel Kahn. Foto: Ralf Dombrowski
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Unterhalten ist ein seltsames Wort

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Daniel Kahn und seine Band „The Painted Bird“ zwischen New Klezmer und neuem Volkslied
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„Was Jiddisch? Ich dachte, Juden sprechen Hebräisch“, kommentiert ein junges Mädchen vor dem Konzert in der Münchner Kranhalle die fachmännische Einführung eines Bekannten zu Daniel Kahn und seiner Band The Painted Bird. Aber wenigstens hat der Sänger und Musiker diese 1.000 Jahre alte Sprache für sich entdeckt, ansonsten könnte man seine jiddische Version von „Lili Marleen“ – nur begleitet von einer kleinen Handdrehorgel – heute nicht erleben. Zwei Stunden später tanzen, johlen und klatschen das Mädchen und viel anderes junges bis mittelaltes Publikum ausgelassen zu den punkigen Klezmerinterpretationen der Band, die übrigens nach einem Roman des polnischen Autors Jerzy Kosinski benannt ist.

Als Kind kam Daniel Kahn, geboren 1978 als Sohn jüdischer Eltern im US-amerikanischen Detroit, erst einmal gar nicht mit Klezmer oder jüdischer Musikkultur in Berührung. Aber er schauspielerte seit seinem zwölften Lebensjahr, studierte Theater, Dramatik, Poesie und Politik an der Universität von Michigan und beschloss einen Tag nach seinem Abschluss, nun doch Singer-Songwriter zu werden. Mit 15 reiste er das erste Mal nach New Orleans und verliebte sich in alten Jazz, in Brass Bands, hörte HipHop, Rock’-n’-Roll, Folk und ein bisschen Klassik, lernte Klavier spielen, aber die jiddische Klangwelt „spielte erst einmal keine Rolle in meinem Leben“.

Er geht für ein paar Jahre nach New Orleans und hört dort zum ersten Mal Klezmer live, lernt den Bassisten Michael Tuttle kennen, der bis heute einer seiner musikalischen Wegbegleiter ist. Sie tun sich sofort zusammen und treten mit Tom-Waits-Covers auf. Kahn entwickelt aber auch sein eigenes Songwriting weiter, schreibt seine ersten Lieder und übersiedelt schließlich 2004 nach Berlin. „Ich hatte die Schnauze voll von Amerika.“ Sein Lehrer für Klezmer-Akkordeon Alan Bern bietet ihm eine Wohnung an, Michael Tuttle will auch nach Europa. Es gab – und gibt – eine lebendige internationale Klezmer-Szene in der deutschen Hauptstadt. Schon während seines Studiums in Michigan lernte er Brecht, die politische Kultur und das Theater des 30er-Jahre-Berlins kennen und schätzen, bis heute bereut er seine Entscheidung nicht: „Ich bin Berliner, Heimweh habe ich nur, wenn ich weg bin von Berlin“, erklärt er mit rauer Stimme, liebenswertem Akzent und immer mit einem schelmischen Augenzwinkern.

2005 gründet er seine Band The Painted Bird, in der heute neben Michael Tuttle noch der schwedische Drummer Hampus Melin und der Geiger Jake Shulman-Ment mit von der Partie sind. „Yiddish Punk Cabaret“ nennen sie ihre wilde musikalische Mischung selber. Kahn singt englische, deutsche und jiddische Lieder – mal traurig, mal fröhlich, auch böse und voller Dramatik. Dazu spielt er Akkordeon, Gitarre, Klavier, Mundharmonika und eine Ukulele, die aus einer alten Zigarrenschachtel besteht. Das ist ganz und gar nicht politisch korrekt: „Für mich besteht keine Wahl, politisch engagiert zu sein. Auch unpolitisch zu sein, ist eine politische Entscheidung. Musik, die Kunst, ist politisch. Unsere Zuhörer sollen auch nachdenken. ‚Unterhalten‘ ist ein seltsames Wort …, als wenn man ‚unten gehalten‘ würde“, sagt er im Interview.

Und nach der musikalische Stilrichtung „New Klezmer“ gefragt meint er: „Ich glaube nicht an reine Kategorien, alles beeinflusst alles. Klezmer hatte immer sehr offene Türen, keine Grenzen, eine gewisse ‚Sehens-‘, ‚Hörens‘- oder ,Ausdrucksart‘, ja, eine kulturelle Orientierung. Aber Klezmer ist ziemlich flexibel, genau wie Jazz. Es ist sehr unbestimmt, was Jazz heißt, man kann ihn nur historisch einordnen … New Klezmer, auch ein Teil von ‚New‘ ist andere Musik, ich schreibe neue Lieder auf Deutsch, Englisch, Jiddisch, ich adoptiere alte Lieder. Es gibt eine Klezmerbewegung – talentierte gute Musiker überall … Ich fühle mich ganz glücklich in dieser Familie. Ich habe aber auch andere Familien.“

Auf der nunmehr vierten CD der Band „Bad Old Songs“, die Ende 2012 erschienen ist und bereits auf der Vierteljahresbestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik steht, findet man neben Eigenkompositionen auch Lieder von Schumann und Franz Josef Degenhardt („Die alten Lieder“): „Die Beziehung der Deutschen zu ihrer eigenen Kultur interessiert mich sehr. The Painted Bird ist eine Berliner Band, und auf allen Alben war immer mindestens ein deutsches Lied. Und Degenhardt stellt eine wichtige Frage: Was ist mit den Liedern passiert, warum hört man sie nicht mehr? Wurden die Lieder, die Kultur durch die Nazis geschädigt? Schämen sich die Leute dafür? Wir spielen  viele Songs, die einfach nur Fragen aufwerfen, dieses Lied stellt wichtige interessante Fragen.“ Schumann entdeckte er für ein Theaterstück vor einigen Jahren: „Das hat mich berührt: Heines Ironie – seinen großen Schmerz und Liebeskummer vergleicht er mit den großen Symbolen der deutschen Kultur. Das finde ich witzig.“

„Good old days“ huldigt augenzwinkernd der DDR-Ostalgie: „Man sieht das überall in Berlin, den Kitsch, es ist ein kitschiger Rückblick auf die Vergangenheit. Aber wir machen Spaß mit dem Kitsch, bisschen selbstkritisch. Veralbern den Kitsch. Ich idealisiere auch den Sozialismus, weil wir bis zum ‚Hals im Kapitalismus stecken‘, (er zitiert Heiner Müller). Im ‚Kapital‘ sieht der Sozialismus sehr gut aus, aber das ist zu einfach. In Berlin betreibt man meist eine ästhetische kitschige Ostalgie ohne jeden poltisch-ökonomischen Inhalt, das finde ich ein bisschen problematisch.“

Das vierte Album ist auch sein bisher intimstes, man findet relativ wenig reinen Klemzer darauf. „Der einzige Song, der auf Klezmerart gespielt wird, ist eine Nummer von Leonard Cohen. Musikalisch sind wir hier eher von Nick Cave and the Bad Seeds beeinflusst. Ich mag düstere Musik, ich mache düstere Musik, dunkle Musik, nicht weil ich deprimiert bin, aber es macht mich froh. Ich fühle mich besser, wenn ich traurige Lieder höre, es ist mein persönlichstes Album.“

Live auf der Bühne agieren The Painted Bird immer authentisch und musikalisch mitreißend, wichtig ist ihnen das Geschichtenerzählen: „Wir sind ziemlich locker als Band. Wir kennen uns seit Jahren, wir spielen seit Jahren zusammen. Wir wollen nicht zu ernst auf der Bühne sein, ich mag es, wenn wir entspannt sind. Chaos spielt eine große Rolle, auch in der Musik, das ist wichtig für mich. Es gibt keine Illusion, wir wollen keine Illusion. Deswegen glaube ich an die Übersetzung von Liedern. Ich möchte nicht fremd bleiben, die Leute sollen nicht denken, wow, ist das cool, so anders … Wichtig ist, was bedeutet dieses Lied, was ist die Geschichte dahinter?“ Und abschließend fasst er zusammen: „Man muss immer ein bisschen Humor haben, vor allem wenn man schlechte Laune hat – oder Liebeskummer.“ Hoffentlich erzählt Daniel Kahn noch viele Geschichten …

CD-Tipp

Daniel Kahn & The Painted Bird:
Bad Old Songs
Oriente Musik (Fenn Music)

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