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Unterhaltung für Erwachsene

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Posaunist & Komponist: www.mikesvoboda.de
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Beiß in seinen Witz, bis zum Kern. Der ist trocken und ernst, und wenn er zerplatzt, gibt es ein bittersüßes Brennen. Hat man die unverschämte Frucht einmal auf der Zunge gespürt, verlangt man immer wieder nach ihr. Mike Svoboda verbreitet lebenswachen Hunger nach Neuem, über dreihundert Stücke hat er bis heute uraufgeführt. Spielwerkzeuge und Spielvorlagen werden bei ihm eins mit dem unendlich modulierten Atem in einer polyphon erlebten Welt. Wie fing das alles an?

Beiß in seinen Witz, bis zum Kern. Der ist trocken und ernst, und wenn er zerplatzt, gibt es ein bittersüßes Brennen. Hat man die unverschämte Frucht einmal auf der Zunge gespürt, verlangt man immer wieder nach ihr. Mike Svoboda verbreitet lebenswachen Hunger nach Neuem, über dreihundert Stücke hat er bis heute uraufgeführt. Spielwerkzeuge und Spielvorlagen werden bei ihm eins mit dem unendlich modulierten Atem in einer polyphon erlebten Welt. Wie fing das alles an? Es war einmal in Amerika – in der vierten Schulklasse durfte Mike ein Instrument lernen und entschied sich für die Klarinette. „Ein paar Wochen später kam aber mein Vater mit einer Posaune nach Hause. Da er selbst mal Horn gespielt hatte, zeigte er mir gleich eine Tonleiter. Später erfuhr ich, dass er die Posaune beim Karten spielen mit einem Nachbarn gewonnen hat. Diese Nachbarn haben meinen posaunistischen Werdegang immer interessiert verfolgt. Die haben sich irgendwie verantwortlich oder gar schuldig gefühlt, nehme ich an.“

Vierzehnjährig bekam er vom Musiklehrer einfache Kompositionsaufgaben: „Es war eine Freude wie beim Kreuzworträtseln, nur spielte ich mit Klängen statt mit Worten. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich so ans Komponieren heranführte und nicht mit trockenem Kontrapunkt. Seine Aufgaben waren frei und fantasievoll, ziemlich abgedreht. Kurz darauf spielten wir mit der Schuljazzband meine ersten Kompositionen. Die waren natürlich schrecklich, aber immerhin ein Anfang. Ich habe mehr oder weniger das nachgemacht, was ich auf Platten hörte: Maynard Ferguson, Buddy Rich, Thad Jones.“

Mit achtzehn erhielt er den „Louis Armstrong Award“ und gehörte nun zur Musikszene von Chicago, wo er drei Jahre zuvor als Aushilfe in einer sizilianischen Marschkapelle seinen Einstand gegeben hatte: „Es war 1975 und ich war der einzige Blonde in der Gruppe. Die Musik entsprach nicht dem Notenbild, klang ähnlich krumm wie in Jazzbands, aber doch ganz anders. Und die Männer hatten komische Instrumente, Klarinetten in Hoch-As, Es-Horn mit Piston-Ventilen.“ Instrumente: eine unendliche Geschichte. In einem Buch des Posaunisten Stewart Dempster las Mike, wie man aus einem Abflußrohr ein Didgeridoo bastelt: „Also radelte ich zum Baumarkt, besorgte mir ein 6-Fuß-Abflussrohr im angegebenen Durchmesser, und schon war mein Didgeridoo fertig. Ich wußte nicht, wie ein Didgeridoo klingt, aber das Abflussrohr habe ich zum Tönen gebracht. Auf ihm spiele ich übrigens immer noch.“ Und auf Gartenschläuchen auch. Was er anfasst und mit den Lippen berührt, das klingt, und so kann er das Banalste verzaubern, dieser musikalische Midas, der den Fluch erstarrender Theoreme nie gekannt hat.

Als er 1982 mit einem Kompositionspreis zu den Darmstädter Ferienkursen kam, erlebte er den Wald von Verbotsschildern als faszinierend buntes Laub. Beeindruckt „von der Vielfalt und der Intensität, mit der hier Musik gemacht wurde“, gab er das Komponieren auf und wollte fortan „der Neuen Musik dienen und den Komponisten helfen, bessere Werke zu schreiben, indem ich ihre Musik realisierte.“

Zur Wegmarke wurde Helmut Lachenmann. „Im Gegensatz zu Xenakis’ Werken, die nach Regeln jenseits des herkömmlichen Musizierens funktionieren, wirkt Lachenmanns Musik auf mich absolut klassisch. Als ich zum ersten Mal ein Werk von ihm hörte – es war ‚Pression‘ in Stuttgart 1984 – kam mir der Vergleich mit Schubert: Die Musik ist wie die von Schubert voller Saft und Leidenschaft, aber dann in einer Wanne in die Sonne gestellt. Alles ist noch da, aber konzentriert. Just add water… Lachenmann hat eine Art zu komponieren gefunden, die unnachahmlich ist. Mehr kann man nicht erreichen.“

Gleichzeitig schlug ihn ein anderer in den Bann: Karlheinz Stockhausen. In der spirituellen Farbigkeit seiner Partituren lebte Mike Svoboda zehn Jahre lang. Er wurde sein Luzifer. „Die Zusammenarbeit war geprägt von unserem Meister-Schüler-Verhältnis; ich lernte sehr viel über Aufführungspraxis, Spieltechnik, Live-Elektronik, Komposition und Durchhaltevermögen. Sein Sohn Markus half meinem Spiel enorm, er unterrichtete mich praktisch. Meine eigene Musik trug ich Stockhausen selten vor, aber sein Denken und sein Tun hat mich vieles gelehrt.“ Was bleibt, ist vor allem Dankbarkeit und der Versuch, „Werk und Schöpfer auseinander zu halten. Töne sind so unschuldig…“ – deshalb spielt Mike Svobodas Quartett „Adult Entertainment“ nicht nur Stockhausens „Tierkreis“ auf CD ein, sondern unternimmt auch „14 Versuche, Richard Wagner lieben zu lernen“: „Ich liebe Wagner nicht, aber ich bin ihm dankbar!“ Monomanen sind ein Pfahl im Fleisch; der Gedanke daran ist ein schmerzliches Zucken, spült galligen Humor ans Licht.

Seit 1994 schreibt Mike wieder eigene Stücke, am liebsten in der Eisenbahn. „Ich spiele die Sachen dann auf dem Klavier nach, um darüber zu reflektieren. Meistens komponiere ich für Leute, die ich gut kenne – ich schreibe eher für eine Person als für ein Instrument.“ Spontan, pragmatisch, fordernd fragt er, warum Komponisten, die unter Aufführungsmangel leiden, nicht eine Band gründen und in Clubs auftreten: Ohne Zuhörer geht nichts. „Wenn ich ein Quartett komponiere, schreibe ich eigentlich ein Quintett mit dem Publikum als fünftem Mitglied. Die Erfahrungen als Ausführender erlauben mir gar nicht, anders vorzugehen.“ Sein anarchisch freies Musizieren überwindet Gattungsgrenzen und Hierarchien. Für viele Kollegen „muss die Kunst vornehm bleiben, nicht aufdringlich, nicht entgegenkommend – aber ich mache einfach, was ich mag, und dabei ist mir die Verbindung zu den Hörern wichtig.“

Die begehren ihn als Solisten. Sein demokratisches Herz bewahrt ihn davor, zum Solipsisten zu werden. Wenn er will, geht er als gleichberechtigtes Mitglied einer Gruppe auf Entdeckungsreise: Auf der Porträt-CD des Ensembles „gelber klang“ wirkt er in „Io sol uno“ von Jens Joneleit mit, dessen musikalische Monolithe sich wortkarg, dunkel aus unserer Gegenwart abheben wie aus einem Vexierbild – es dauert, bis man sie erkennt, aber einmal wahrgenommen, bleiben sie unauslöschlich im Gedächtnis. „Jens ist ein großes Talent und verdient, mehr Aufmerksamkeit in Europa zu bekommen. Er schreibt eigentlich ganz in der europäischen Tradition. Er wohnt in den USA, aber seine Musik gehört hierher nach Europa.“

Europäisch oder außereuropäisch: Das Wechselspiel von Klingen und Singen interessiert Mike Svoboda, deshalb liebt er auch die „Canzona per sonare“ so sehr, das Altposaunenkonzert, das Wolfgang Rihm ihm widmete. „Ja, die Stimme ist mein Vorbild. Keine Frage! Gibt es ein besseres? Ich beneide die Sänger um die Unmittelbarkeit, mit der sie Musik vermitteln können. Mich inspiriert die Stimme überhaupt, nicht nur die gesungene. Auch im gesprochenen Wort ist viel Musik und offenbarte Emotion.“ Die harte Arbeit mit Komponistenkollegen ist im Idealfall ein klingendes, blitzendes Gespräch – man darf gespannt sein, was demnächst in dieser Werkstatt geschmiedet wird.

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