Ein in vielerlei Hinsicht außerordentlicher Musiker wurde am 24. Februar 1911 in Nürnberg geboren. Bei allen, die ihn kannten, die mit ihm musiziert oder bei ihm studiert haben, hat er tiefe Spuren hinterlassen. Und doch sucht man heute den Namen Konrad Lechner in den bekannten Lexika vergebens. Das ist nicht nur ein Zeichen der akzelerierenden Vergänglichkeit in unserer Welt, sondern es widerspiegelt auch Lechners absolutes Desinteresse an äußerem Erfolg und Selbstvermarktung.
Deshalb hatten Schüler und Freunde zum „Centenar“-Anlass im Februar 2011 das Bedürfnis, Erinnerungen, Berichte und Analysen zusammenzutragen und ein Buch zum Gedenken an diesen bedeutenden Menschen und Künstler herauszubringen. Der kürzlich im Verlag „Edition Gamma“ erschienene Band wird anlässlich einer Gedenkveranstaltung in der Freiburger Musikhochschule, wo Lechner bis zu seiner Pensionierung als Professor wirkte, am 24. Februar 2011 der Öffentlichkeit präsentiert.
Fragt man sich nach dem Besonderen dieses Musikers, so wird die Antwort zuerst seine faszinierende, suggestive Persönlichkeit hervorheben, sodann die Intensität, mit der er immer das Wesentliche einer Sache, einer Situation, eines Problems fokussierte, ohne je an Konventionen oder Kompromisse zu denken. Und in Erinnerung bleiben besonders die bewunderungswürdige Vielseitigkeit und umfassende Lebenserfahrung, die ihn zu dem machten, der er war: ein unvergesslicher Lehrer und Gesprächspartner.
Ursprünglich ein erfolgreicher junger Cellist von höchster musikalischer und instrumentaler Begabung, ganz an der klassisch-romantischen Tradition orientiert, entwickelte er sich – immer auf der Suche, nie selbstzufrieden – bereits in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Alte-Musik-Freak, in einer Zeit also, da alle seine Kollegen auf die Musik vor Bach nur müde lächelnd herabschauten. Vom Cellisten wurde er zum Gambisten, entdeckte den Charme und die Beweglichkeit der Blockflöte, entwickelte sich vom Instrumentalisten zum Komponisten, vom Volkslied-Bearbeiter zum Schöpfer zukunftsweisender Orchestermusik; der Virtuose „mutierte“ zum Dirigenten, der Chorleiter zum Orchestererzieher, der Aufführende zum Akademie-Direktor, der Bühnenmensch zum Lehrer. Zahlreiche Schüler, und besonders die begabten (während die weniger fähigen seinem Unterricht nicht recht folgen konnten) erhielten eine Fülle von Anregungen von seinem vitalen Musikertum und seinem außerordentlichen Sensorium für Form, Klang, Differenzierung und Tiefe.
So erinnert sich etwa Mathias Spahlinger: „Kontraste, eine Musik in memoriam Béla Bartók, war das erste Stück von ihm, das ich in einem musica-viva-Konzert in Frankfurt hörte. Hier gab es keine Romantizismen, kein impressionistisches Farbenspiel, keinen Schwulst, keine falsch-empfindsamen Gesten; ebensowenig das hohl Ratternde, pseudosachliche Neobarock, sondern klar definierte, kraftvolle Gestalten und genau durchgehörte (frei- bis atonale), deutlich definierte Tonhöhenbeziehungen ohne die (damals überall anzutreffende) Beliebigkeit oder ihrer selbst nicht bewusste Entqualifizierung der Tonbeziehungen.“ Hans Leygraf schreibt: „Seine elementare Musikalität, sein untrüglicher Instinkt, kombiniert mit höchster geistiger Zielsetzung, wurden für mich richtungweisend während meiner ganzen Musikerentwicklung. Ich wüsste keinen Musiker, dem ich mehr zu verdanken habe.“ Bei Werner Heider liest man: „Diesem leidenschaftlichen Vollblutmusiker, dessen künstlerisches Verantwortungsbewusstsein in seinem Werk spür- und erkennbar ist, musste jeder, der mit ihm zu tun hatte, größte Hochachtung und Bewunderung entgegenbringen“. Und bei Dieter Schnebel heißt es: „Jedenfalls war er in Freiburg einer meiner wichtigsten Lehrer.“ (alle Zitate aus der unten angeführten Erinnerungsschrift)
Konrad Lechner war ein „musikalischer Philosoph“ von weitestem Horizont im Zeitalter hochgezüchteten Spezialistentums. Es gilt, ihm ein ehrendes Andenken zu bewahren.
- Gedenkveranstaltung mit Hans-Martin Linde, Ludwig Holtmeier, Anja Lechner, Ekkehard Weber und anderen am 24. Februar 2011, 19 Uhr, in der Musikhochschule Freiburg i.Br.
- Erinnerungsschrift: „In statu viatoris“ – KONRAD LECHNER: Leben, Werk, Erinnerungen, Dokumente, hrsg. von Peter Reidemeister, Edition Gamma, Bad Schwalbach 2011